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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Kleine Hauskomödien wie Musik

nicht heimatfremd geworden. Wir fühlen und denken und handeln heute ebenso
wie es unsere Altväter taten.

Darum geschieht es nicht aus willkürlichem historischen Interesse, sondern
aus einem ehrlichen, innigen Verlangen heraus, wenn wir heute einzelne von
den großen und kleinen Geistern, die der deutsche Genius im Laufe der Geschichte
gebar, neu erwecken, denn unser wiedergewonnenes Deutschtum gibt uns die
Gewißheit, daß wir uns an den früheren Schöpfungen der deutschen Kultur --
und zu dieser gehört vor allem die deutsche Kunst -- noch ebenso teilnahmvoll
ergötzen und erbauen können, wie sich zu ihrer Zeit unsere Vorfahren daran
ergötzt und erbaut haben. ^ - ..... -

Als ich im letzten Frühjahr ein neues Unternehmen in die Wege leitete,
das den Titel "Kleine Hauskomödien mit Musik" führen sollte, begegnete ich
manchem Kopfschütteln, Kurze fröhliche Singspiele für den Hausgebrauch, zu
deren Gesangs- und Tanznummern besonders gefällige und volkstümliche Einzel¬
stücke aus älteren vergessenen Opern und Singspielen verwendet werden sollten,
-- gewiß, die Idee an sich fand überall rückhaltlose Anerkennung. Aber --
"Wo denken Sie hin!" sagte mir mit mitleidigem Lächeln einer unserer aner¬
kanntesten Musiker. "Mögen Sie der älteren Opernliteratur noch so schöne, noch
so volkstümliche und eingängige Weisen entnehmen, was fragt unser modernes
Publikum danach! Eine möglichst pikante Kost, das heißt: möglichst seichte und
farblose Melodien mit einem recht gleichförmigen Leierkastenrhythmus und dazu
ein schlüpfriger Text, das ist es, was die große Masse will." Diesen herben
Worten schenkte ich jedoch keinen Glauben, sondern vertraute den vielen andern
erfahrenen Persönlichkeiten, die meinem Vorhaben alles nur erdenkliche Gute
und Schöne prophezeiten und sich gleichzeitig bereit erklärten, das Unternehmen
zu fördern.

Mit Beginn des Winters sollten die ersten Hefte erscheinen. Da brach
der Krieg aus, und mir schien es beinahe verletzend, inmitten so beispiellos
gewaltiger Vorgänge "Kleine Hauskomödien mit Musik" herauszugeben. Als
ich indessen wiederholt mit Verwundeten zusammenkam und von ihnen erfuhr,
wie in den Lazaretten alle, besonders aber die ans Bett Gefesselten, sich nach
recht harmlos fröhlicher Unterhaltung sehnten, wurde ich andern Sinnes. Auch
die Zeitungen berichteten gelegentlich manches Gute von solchen anregenden
Erheiterungen, die sogar auf den Verlauf der Heilung einen günstigen Einfluß
ausüben sollen. Alles dieses veranlaßte mich, die kleinen Hauskomödien zu¬
nächst für Aufführungen in Kriegslazaretten zu bestimmen. Das Zentralkomitee
der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, an das ich mich deshalb wandte,
erteilte mir die offizielle Erlaubnis, die "Kleinen Hauskomödien mit Musik" in
seinen Lazaretten aufführen zu lassen, falls dessen Einzelvorstände nichts dagegen
einzuwenden haben. Dafür verpflichtete ich mich gern, dem Zentralkomitee jedes
neu erscheinende Heft zur Prüfung durch seinen künstlerischen Beirat vorzulegen.


Kleine Hauskomödien wie Musik

nicht heimatfremd geworden. Wir fühlen und denken und handeln heute ebenso
wie es unsere Altväter taten.

Darum geschieht es nicht aus willkürlichem historischen Interesse, sondern
aus einem ehrlichen, innigen Verlangen heraus, wenn wir heute einzelne von
den großen und kleinen Geistern, die der deutsche Genius im Laufe der Geschichte
gebar, neu erwecken, denn unser wiedergewonnenes Deutschtum gibt uns die
Gewißheit, daß wir uns an den früheren Schöpfungen der deutschen Kultur —
und zu dieser gehört vor allem die deutsche Kunst — noch ebenso teilnahmvoll
ergötzen und erbauen können, wie sich zu ihrer Zeit unsere Vorfahren daran
ergötzt und erbaut haben. ^ - ..... -

Als ich im letzten Frühjahr ein neues Unternehmen in die Wege leitete,
das den Titel „Kleine Hauskomödien mit Musik" führen sollte, begegnete ich
manchem Kopfschütteln, Kurze fröhliche Singspiele für den Hausgebrauch, zu
deren Gesangs- und Tanznummern besonders gefällige und volkstümliche Einzel¬
stücke aus älteren vergessenen Opern und Singspielen verwendet werden sollten,
— gewiß, die Idee an sich fand überall rückhaltlose Anerkennung. Aber —
„Wo denken Sie hin!" sagte mir mit mitleidigem Lächeln einer unserer aner¬
kanntesten Musiker. „Mögen Sie der älteren Opernliteratur noch so schöne, noch
so volkstümliche und eingängige Weisen entnehmen, was fragt unser modernes
Publikum danach! Eine möglichst pikante Kost, das heißt: möglichst seichte und
farblose Melodien mit einem recht gleichförmigen Leierkastenrhythmus und dazu
ein schlüpfriger Text, das ist es, was die große Masse will." Diesen herben
Worten schenkte ich jedoch keinen Glauben, sondern vertraute den vielen andern
erfahrenen Persönlichkeiten, die meinem Vorhaben alles nur erdenkliche Gute
und Schöne prophezeiten und sich gleichzeitig bereit erklärten, das Unternehmen
zu fördern.

Mit Beginn des Winters sollten die ersten Hefte erscheinen. Da brach
der Krieg aus, und mir schien es beinahe verletzend, inmitten so beispiellos
gewaltiger Vorgänge „Kleine Hauskomödien mit Musik" herauszugeben. Als
ich indessen wiederholt mit Verwundeten zusammenkam und von ihnen erfuhr,
wie in den Lazaretten alle, besonders aber die ans Bett Gefesselten, sich nach
recht harmlos fröhlicher Unterhaltung sehnten, wurde ich andern Sinnes. Auch
die Zeitungen berichteten gelegentlich manches Gute von solchen anregenden
Erheiterungen, die sogar auf den Verlauf der Heilung einen günstigen Einfluß
ausüben sollen. Alles dieses veranlaßte mich, die kleinen Hauskomödien zu¬
nächst für Aufführungen in Kriegslazaretten zu bestimmen. Das Zentralkomitee
der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, an das ich mich deshalb wandte,
erteilte mir die offizielle Erlaubnis, die „Kleinen Hauskomödien mit Musik" in
seinen Lazaretten aufführen zu lassen, falls dessen Einzelvorstände nichts dagegen
einzuwenden haben. Dafür verpflichtete ich mich gern, dem Zentralkomitee jedes
neu erscheinende Heft zur Prüfung durch seinen künstlerischen Beirat vorzulegen.


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[0292] Kleine Hauskomödien wie Musik nicht heimatfremd geworden. Wir fühlen und denken und handeln heute ebenso wie es unsere Altväter taten. Darum geschieht es nicht aus willkürlichem historischen Interesse, sondern aus einem ehrlichen, innigen Verlangen heraus, wenn wir heute einzelne von den großen und kleinen Geistern, die der deutsche Genius im Laufe der Geschichte gebar, neu erwecken, denn unser wiedergewonnenes Deutschtum gibt uns die Gewißheit, daß wir uns an den früheren Schöpfungen der deutschen Kultur — und zu dieser gehört vor allem die deutsche Kunst — noch ebenso teilnahmvoll ergötzen und erbauen können, wie sich zu ihrer Zeit unsere Vorfahren daran ergötzt und erbaut haben. ^ - ..... - Als ich im letzten Frühjahr ein neues Unternehmen in die Wege leitete, das den Titel „Kleine Hauskomödien mit Musik" führen sollte, begegnete ich manchem Kopfschütteln, Kurze fröhliche Singspiele für den Hausgebrauch, zu deren Gesangs- und Tanznummern besonders gefällige und volkstümliche Einzel¬ stücke aus älteren vergessenen Opern und Singspielen verwendet werden sollten, — gewiß, die Idee an sich fand überall rückhaltlose Anerkennung. Aber — „Wo denken Sie hin!" sagte mir mit mitleidigem Lächeln einer unserer aner¬ kanntesten Musiker. „Mögen Sie der älteren Opernliteratur noch so schöne, noch so volkstümliche und eingängige Weisen entnehmen, was fragt unser modernes Publikum danach! Eine möglichst pikante Kost, das heißt: möglichst seichte und farblose Melodien mit einem recht gleichförmigen Leierkastenrhythmus und dazu ein schlüpfriger Text, das ist es, was die große Masse will." Diesen herben Worten schenkte ich jedoch keinen Glauben, sondern vertraute den vielen andern erfahrenen Persönlichkeiten, die meinem Vorhaben alles nur erdenkliche Gute und Schöne prophezeiten und sich gleichzeitig bereit erklärten, das Unternehmen zu fördern. Mit Beginn des Winters sollten die ersten Hefte erscheinen. Da brach der Krieg aus, und mir schien es beinahe verletzend, inmitten so beispiellos gewaltiger Vorgänge „Kleine Hauskomödien mit Musik" herauszugeben. Als ich indessen wiederholt mit Verwundeten zusammenkam und von ihnen erfuhr, wie in den Lazaretten alle, besonders aber die ans Bett Gefesselten, sich nach recht harmlos fröhlicher Unterhaltung sehnten, wurde ich andern Sinnes. Auch die Zeitungen berichteten gelegentlich manches Gute von solchen anregenden Erheiterungen, die sogar auf den Verlauf der Heilung einen günstigen Einfluß ausüben sollen. Alles dieses veranlaßte mich, die kleinen Hauskomödien zu¬ nächst für Aufführungen in Kriegslazaretten zu bestimmen. Das Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, an das ich mich deshalb wandte, erteilte mir die offizielle Erlaubnis, die „Kleinen Hauskomödien mit Musik" in seinen Lazaretten aufführen zu lassen, falls dessen Einzelvorstände nichts dagegen einzuwenden haben. Dafür verpflichtete ich mich gern, dem Zentralkomitee jedes neu erscheinende Heft zur Prüfung durch seinen künstlerischen Beirat vorzulegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/292>, abgerufen am 15.05.2024.