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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Scokriegsrechts

Die neue Theorie eilt der völkerrechtlichen Entwicklung einen gewaltigen
Schritt voraus. Sie will den Rechtszustand, der nicht nur die jetzt im Kriege
befindlichen, sondern auch die neutralen Staaten in schwere Bedrängnis gebracht
hat, nicht mehr gelten lassen. Was sie sagt, mag heute in England verächtlich
abgetan werden. Die Theorie vom mars libsrum bedeutet aber ein
Programm für den völkerrechtlichen Fortschritt, sobald Englands
Seemacht unter den deutschen Waffen zusammengebrochen ist,
England sich nicht mehr der Fortentwicklung des Seerechts hemmend
in den Weg stellen kann, sondern vielmehr endlich reif geworden
ist, an der Entwicklung eines Seerechts mitzuarbeiten, das der
gesamten Welt zum Segen gereichen wird. Die Umgestaltung unserer
Politischen und weltwirtschaftlichen Verhältnisse, denen die rechtliche Entwicklung
nicht standgehalten hat, verlangt gebieterisch die Fortentwicklung des Seerechts.
Diese Erkenntnis ist in einsichtigen deutschen Kreisen längst allgemein, sie wird
es eines Tages auch in England werden. Treffender als auf irgendein
anderes Rechtsgebiet passen auf unser heute geltendes Seekriegsrecht die Worte
Mephistopheles: "Vom Rechte, das mit uns geboren, von dem ist leider nicht
die Rede." Mit dem Friedensschluß aber ist die Zeit für ein neues Seekriegs¬
recht gekommen. Der Gedanke an ein freies internationales Meer, der bis vor
kurzem noch als Utopie angesprochen wurde, ist der Wirklichkeit näher gerückt,
als man noch vor Ausbruch des Krieges annahm, und zweifellos ist er nicht
so utopistisch wie der an eine für längere Zeit aufrecht zu erhaltende See¬
herrschaft durch einen Staat.




Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Scokriegsrechts

Die neue Theorie eilt der völkerrechtlichen Entwicklung einen gewaltigen
Schritt voraus. Sie will den Rechtszustand, der nicht nur die jetzt im Kriege
befindlichen, sondern auch die neutralen Staaten in schwere Bedrängnis gebracht
hat, nicht mehr gelten lassen. Was sie sagt, mag heute in England verächtlich
abgetan werden. Die Theorie vom mars libsrum bedeutet aber ein
Programm für den völkerrechtlichen Fortschritt, sobald Englands
Seemacht unter den deutschen Waffen zusammengebrochen ist,
England sich nicht mehr der Fortentwicklung des Seerechts hemmend
in den Weg stellen kann, sondern vielmehr endlich reif geworden
ist, an der Entwicklung eines Seerechts mitzuarbeiten, das der
gesamten Welt zum Segen gereichen wird. Die Umgestaltung unserer
Politischen und weltwirtschaftlichen Verhältnisse, denen die rechtliche Entwicklung
nicht standgehalten hat, verlangt gebieterisch die Fortentwicklung des Seerechts.
Diese Erkenntnis ist in einsichtigen deutschen Kreisen längst allgemein, sie wird
es eines Tages auch in England werden. Treffender als auf irgendein
anderes Rechtsgebiet passen auf unser heute geltendes Seekriegsrecht die Worte
Mephistopheles: „Vom Rechte, das mit uns geboren, von dem ist leider nicht
die Rede." Mit dem Friedensschluß aber ist die Zeit für ein neues Seekriegs¬
recht gekommen. Der Gedanke an ein freies internationales Meer, der bis vor
kurzem noch als Utopie angesprochen wurde, ist der Wirklichkeit näher gerückt,
als man noch vor Ausbruch des Krieges annahm, und zweifellos ist er nicht
so utopistisch wie der an eine für längere Zeit aufrecht zu erhaltende See¬
herrschaft durch einen Staat.




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[0309] Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Scokriegsrechts Die neue Theorie eilt der völkerrechtlichen Entwicklung einen gewaltigen Schritt voraus. Sie will den Rechtszustand, der nicht nur die jetzt im Kriege befindlichen, sondern auch die neutralen Staaten in schwere Bedrängnis gebracht hat, nicht mehr gelten lassen. Was sie sagt, mag heute in England verächtlich abgetan werden. Die Theorie vom mars libsrum bedeutet aber ein Programm für den völkerrechtlichen Fortschritt, sobald Englands Seemacht unter den deutschen Waffen zusammengebrochen ist, England sich nicht mehr der Fortentwicklung des Seerechts hemmend in den Weg stellen kann, sondern vielmehr endlich reif geworden ist, an der Entwicklung eines Seerechts mitzuarbeiten, das der gesamten Welt zum Segen gereichen wird. Die Umgestaltung unserer Politischen und weltwirtschaftlichen Verhältnisse, denen die rechtliche Entwicklung nicht standgehalten hat, verlangt gebieterisch die Fortentwicklung des Seerechts. Diese Erkenntnis ist in einsichtigen deutschen Kreisen längst allgemein, sie wird es eines Tages auch in England werden. Treffender als auf irgendein anderes Rechtsgebiet passen auf unser heute geltendes Seekriegsrecht die Worte Mephistopheles: „Vom Rechte, das mit uns geboren, von dem ist leider nicht die Rede." Mit dem Friedensschluß aber ist die Zeit für ein neues Seekriegs¬ recht gekommen. Der Gedanke an ein freies internationales Meer, der bis vor kurzem noch als Utopie angesprochen wurde, ist der Wirklichkeit näher gerückt, als man noch vor Ausbruch des Krieges annahm, und zweifellos ist er nicht so utopistisch wie der an eine für längere Zeit aufrecht zu erhaltende See¬ herrschaft durch einen Staat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/309>, abgerufen am 15.05.2024.