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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das große Wecken

Aber der bleibt ruhig. Als gälte es, sich ungesehen an ein Wild heran -
zupürschen, sucht er das Gelände ab. Kehrt, in den Wald zurück und in dessen
Schutz am Waldrand entlang, bis eine Bodenwelle ihnen geschütztes Heran"
kommen gestattet. Ruhig gibt er seine Befehle, verteilt die Männer, gibt jedem
seinen Platz. Aber dann ist der Augenblick da -- und mit einem Male ist
Hans von Redow ein anderer geworden. Flammend der Stahl seines Auges,
biegsames Eisen seine Gestalt, zündendes Feuer das Erz seines Befehls. Und
schon jagt er, den andern voraus, auf den Feind. Sein Säbel blitzt in der
Sonne -- eines Erzengels Racheschwert.

9 Schweigend, mit verbissener Wut, die Lanzen eingelegt, folgen die andern.
Eben reiten die Kosaken aus dem Dorf heraus -- da bricht ihnen die Welle
deutscher Lanzenreiter entgegen. Ein Stutzen -- ein Halten -- dann das
Zurück. Nur ein paar Schüsse rattern den Angreifern entgegen. Dann hasten
die Brandstifter haltlos davon. Ein Widerstand -- der russische Führer stellt
sich den eigenen Leuten entgegen und zwingt ein paar zum Bleiben. So gibt
es doch noch ein Klingenkreuzen im brennenden Dorf. --

Auch Redow blutet. Kaum, daß er dem Gegner den Lanzenstich mit
einem tätlichen Hieb vergolten, so taucht hinter einer Mauer ein Kopf auf, und ein
Gewehrlauf droht gerade auf Werden. Ehe der den Schützen mit seiner Lanze
erreicht haben kann, muß er längst vom Sattel geschossen sein. Da klingt, scharf
wie ein Sensenhieb, Redows Stimme -- ein Befehl in russischer Sprache.
Und der Kosak läßt eingeschüchtert die Waffe fallen und hebt die Hände zum
Zeichen der Ergebung.




Abend war es. Da ritten zwei Reiter übers Feld. Die letzten von
Redows Schar: Redow und Werden. Die andern alle waren, teils als Ver¬
wundete nach dem Scharmützel im Dorf, teils beim weiteren Vordringen mit
wichtigen Meldungen, einer um den andern von Redow zurückgesandt.

Freunde waren die beiden geworden, die hier auf dem Kriegsplatz der
Zufall so seltsam wieder zusammengeführt.

Kein Schweiger war Redow. Freundschaft war ihm Vertrautheit und
Bekennen. Und ein fröhlicher Plauderer war er. Heute schwieg er.

Ein großer Ernst war über ihm und prägte sein Wesen. Wie etwas
Heiliges. Er hatte dem Tod ins Auge gesehen.

Und doch war alles heute nur ein Spiel gewesen gegen das, was ihnen
morgen bevorstand. Denn morgen, daß wußten sie, morgen war die
Schlacht.

Endlich wandte sich der junge Offizier an Werden -- einen Augenblick
zögernd, dann war er frei. Ganz ruhig war seine Stimme, ohne besonderen
Klang.

"Werden -- wenn ich fallen sollte, ich habe eine, die ich grüßen möchte . . ."
er zögerte.

Da sagte Werden und sah ihm ins Auge. . . "Ich weiß."

In Redows treuen Augen war eine Dankbarkeit. -- "Und Sie,
Kamerad?"

Werden schüttelte den Kopf.
"

"Ich habe niemand.


Das große Wecken

Aber der bleibt ruhig. Als gälte es, sich ungesehen an ein Wild heran -
zupürschen, sucht er das Gelände ab. Kehrt, in den Wald zurück und in dessen
Schutz am Waldrand entlang, bis eine Bodenwelle ihnen geschütztes Heran»
kommen gestattet. Ruhig gibt er seine Befehle, verteilt die Männer, gibt jedem
seinen Platz. Aber dann ist der Augenblick da — und mit einem Male ist
Hans von Redow ein anderer geworden. Flammend der Stahl seines Auges,
biegsames Eisen seine Gestalt, zündendes Feuer das Erz seines Befehls. Und
schon jagt er, den andern voraus, auf den Feind. Sein Säbel blitzt in der
Sonne — eines Erzengels Racheschwert.

9 Schweigend, mit verbissener Wut, die Lanzen eingelegt, folgen die andern.
Eben reiten die Kosaken aus dem Dorf heraus — da bricht ihnen die Welle
deutscher Lanzenreiter entgegen. Ein Stutzen — ein Halten — dann das
Zurück. Nur ein paar Schüsse rattern den Angreifern entgegen. Dann hasten
die Brandstifter haltlos davon. Ein Widerstand — der russische Führer stellt
sich den eigenen Leuten entgegen und zwingt ein paar zum Bleiben. So gibt
es doch noch ein Klingenkreuzen im brennenden Dorf. —

Auch Redow blutet. Kaum, daß er dem Gegner den Lanzenstich mit
einem tätlichen Hieb vergolten, so taucht hinter einer Mauer ein Kopf auf, und ein
Gewehrlauf droht gerade auf Werden. Ehe der den Schützen mit seiner Lanze
erreicht haben kann, muß er längst vom Sattel geschossen sein. Da klingt, scharf
wie ein Sensenhieb, Redows Stimme — ein Befehl in russischer Sprache.
Und der Kosak läßt eingeschüchtert die Waffe fallen und hebt die Hände zum
Zeichen der Ergebung.




Abend war es. Da ritten zwei Reiter übers Feld. Die letzten von
Redows Schar: Redow und Werden. Die andern alle waren, teils als Ver¬
wundete nach dem Scharmützel im Dorf, teils beim weiteren Vordringen mit
wichtigen Meldungen, einer um den andern von Redow zurückgesandt.

Freunde waren die beiden geworden, die hier auf dem Kriegsplatz der
Zufall so seltsam wieder zusammengeführt.

Kein Schweiger war Redow. Freundschaft war ihm Vertrautheit und
Bekennen. Und ein fröhlicher Plauderer war er. Heute schwieg er.

Ein großer Ernst war über ihm und prägte sein Wesen. Wie etwas
Heiliges. Er hatte dem Tod ins Auge gesehen.

Und doch war alles heute nur ein Spiel gewesen gegen das, was ihnen
morgen bevorstand. Denn morgen, daß wußten sie, morgen war die
Schlacht.

Endlich wandte sich der junge Offizier an Werden — einen Augenblick
zögernd, dann war er frei. Ganz ruhig war seine Stimme, ohne besonderen
Klang.

„Werden — wenn ich fallen sollte, ich habe eine, die ich grüßen möchte . . ."
er zögerte.

Da sagte Werden und sah ihm ins Auge. . . „Ich weiß."

In Redows treuen Augen war eine Dankbarkeit. — „Und Sie,
Kamerad?"

Werden schüttelte den Kopf.
"

„Ich habe niemand.


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[0360] Das große Wecken Aber der bleibt ruhig. Als gälte es, sich ungesehen an ein Wild heran - zupürschen, sucht er das Gelände ab. Kehrt, in den Wald zurück und in dessen Schutz am Waldrand entlang, bis eine Bodenwelle ihnen geschütztes Heran» kommen gestattet. Ruhig gibt er seine Befehle, verteilt die Männer, gibt jedem seinen Platz. Aber dann ist der Augenblick da — und mit einem Male ist Hans von Redow ein anderer geworden. Flammend der Stahl seines Auges, biegsames Eisen seine Gestalt, zündendes Feuer das Erz seines Befehls. Und schon jagt er, den andern voraus, auf den Feind. Sein Säbel blitzt in der Sonne — eines Erzengels Racheschwert. 9 Schweigend, mit verbissener Wut, die Lanzen eingelegt, folgen die andern. Eben reiten die Kosaken aus dem Dorf heraus — da bricht ihnen die Welle deutscher Lanzenreiter entgegen. Ein Stutzen — ein Halten — dann das Zurück. Nur ein paar Schüsse rattern den Angreifern entgegen. Dann hasten die Brandstifter haltlos davon. Ein Widerstand — der russische Führer stellt sich den eigenen Leuten entgegen und zwingt ein paar zum Bleiben. So gibt es doch noch ein Klingenkreuzen im brennenden Dorf. — Auch Redow blutet. Kaum, daß er dem Gegner den Lanzenstich mit einem tätlichen Hieb vergolten, so taucht hinter einer Mauer ein Kopf auf, und ein Gewehrlauf droht gerade auf Werden. Ehe der den Schützen mit seiner Lanze erreicht haben kann, muß er längst vom Sattel geschossen sein. Da klingt, scharf wie ein Sensenhieb, Redows Stimme — ein Befehl in russischer Sprache. Und der Kosak läßt eingeschüchtert die Waffe fallen und hebt die Hände zum Zeichen der Ergebung. Abend war es. Da ritten zwei Reiter übers Feld. Die letzten von Redows Schar: Redow und Werden. Die andern alle waren, teils als Ver¬ wundete nach dem Scharmützel im Dorf, teils beim weiteren Vordringen mit wichtigen Meldungen, einer um den andern von Redow zurückgesandt. Freunde waren die beiden geworden, die hier auf dem Kriegsplatz der Zufall so seltsam wieder zusammengeführt. Kein Schweiger war Redow. Freundschaft war ihm Vertrautheit und Bekennen. Und ein fröhlicher Plauderer war er. Heute schwieg er. Ein großer Ernst war über ihm und prägte sein Wesen. Wie etwas Heiliges. Er hatte dem Tod ins Auge gesehen. Und doch war alles heute nur ein Spiel gewesen gegen das, was ihnen morgen bevorstand. Denn morgen, daß wußten sie, morgen war die Schlacht. Endlich wandte sich der junge Offizier an Werden — einen Augenblick zögernd, dann war er frei. Ganz ruhig war seine Stimme, ohne besonderen Klang. „Werden — wenn ich fallen sollte, ich habe eine, die ich grüßen möchte . . ." er zögerte. Da sagte Werden und sah ihm ins Auge. . . „Ich weiß." In Redows treuen Augen war eine Dankbarkeit. — „Und Sie, Kamerad?" Werden schüttelte den Kopf. " „Ich habe niemand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/360>, abgerufen am 15.05.2024.