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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

ist, daß das Volk sich zum Schluß womöglich
überhaupt von aller Religion abwendet, daß
sich für den geistlichen Stand kein Nachwuchs
mehr meldet.

Wie gesagt, es ist auf alle Fälle ein Glück,
daß von Zeit zu Zeit auf diesem Gebiete
dann wieder Bolksreligion in rücksichtsloser
Weise durchbricht. Und das geschieht gemein¬
hin in Kriegs- und Notzeiten. Dann kommt
die "Kriegsreligion". Im dreißigjährigen Kriege
stellte sie sich ein, 1813 und in den Jahren
danach ebenso. Und jetzt kommt sie in
auffälligster Weise wieder gezogen. Katheder
und Behörden schweigen auf einmal ganz
auffällig. Ersichtlich wissen sie nicht recht,
wie sie sich den Plötzlichkeiten des Moments
gegenüber Verhalten sollen. Darauf sind sie
nicht eingestellt. Und einfache Religion,
Religion, die eben stets klassisch ist in ihrer
Einfachheit, bricht wieder durch. Jeder Offizier,
jeder Berichterstatter, dem man den Zusammen¬
hang vorlegt, bestätigt es einem: "Dasselbe


[Spaltenumbruch]

abe ich vor acht Tagen in den Schützen¬
gräben noch mit angesehen!"

Deutschland hat mitten im dreißigjährigen
Kriege einen kolossalen Schatz von solcher
Volksreligion geschaffen, der sich an die
Namen, Herberger, Arndt, Gerhard, Meyfart,
Lütkemann, Scriver usw. anschließt. Glänzend
und prangend, wie Sage und Märchen, zieht
Volksreligion bei ihnen vor unseren Augen
orüber. Man kennt Religion ja schon meist
ar nicht mehr in solchem Gewände. Man
st schon meist ganz daran gewöhnt, daß es
nichts so langweiliges, steifleinenes und ent¬
ehrliches gibt, wie die üblichen Andachten.
Jenen großen Schatz, der oft genug mit
Erfolg Schiller und Goethe die Krone
treitig macht, konnt man ja meist gar nicht.
Wer kennt ihn, eine Anzahl von Fachleuten
abgerechnet? Es ist ein kolossaler Schatz, an
em auch zum großen Teil die Kriegs-,
Pest- und Leprazeiten des Mittelalters bereits
earbeitet haben. Er trat auch in der

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

ist, daß das Volk sich zum Schluß womöglich
überhaupt von aller Religion abwendet, daß
sich für den geistlichen Stand kein Nachwuchs
mehr meldet.

Wie gesagt, es ist auf alle Fälle ein Glück,
daß von Zeit zu Zeit auf diesem Gebiete
dann wieder Bolksreligion in rücksichtsloser
Weise durchbricht. Und das geschieht gemein¬
hin in Kriegs- und Notzeiten. Dann kommt
die „Kriegsreligion". Im dreißigjährigen Kriege
stellte sie sich ein, 1813 und in den Jahren
danach ebenso. Und jetzt kommt sie in
auffälligster Weise wieder gezogen. Katheder
und Behörden schweigen auf einmal ganz
auffällig. Ersichtlich wissen sie nicht recht,
wie sie sich den Plötzlichkeiten des Moments
gegenüber Verhalten sollen. Darauf sind sie
nicht eingestellt. Und einfache Religion,
Religion, die eben stets klassisch ist in ihrer
Einfachheit, bricht wieder durch. Jeder Offizier,
jeder Berichterstatter, dem man den Zusammen¬
hang vorlegt, bestätigt es einem: „Dasselbe


[Spaltenumbruch]

abe ich vor acht Tagen in den Schützen¬
gräben noch mit angesehen!"

Deutschland hat mitten im dreißigjährigen
Kriege einen kolossalen Schatz von solcher
Volksreligion geschaffen, der sich an die
Namen, Herberger, Arndt, Gerhard, Meyfart,
Lütkemann, Scriver usw. anschließt. Glänzend
und prangend, wie Sage und Märchen, zieht
Volksreligion bei ihnen vor unseren Augen
orüber. Man kennt Religion ja schon meist
ar nicht mehr in solchem Gewände. Man
st schon meist ganz daran gewöhnt, daß es
nichts so langweiliges, steifleinenes und ent¬
ehrliches gibt, wie die üblichen Andachten.
Jenen großen Schatz, der oft genug mit
Erfolg Schiller und Goethe die Krone
treitig macht, konnt man ja meist gar nicht.
Wer kennt ihn, eine Anzahl von Fachleuten
abgerechnet? Es ist ein kolossaler Schatz, an
em auch zum großen Teil die Kriegs-,
Pest- und Leprazeiten des Mittelalters bereits
earbeitet haben. Er trat auch in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/363>, abgerufen am 15.05.2024.