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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Japans Presse und öffentliche Meinung während des Weltkrieges

für die Einführung landwirtschaftlicher Maschinen, die den vielfach noch recht
primitiven Ackerbau des japanischen Landmannes rationeller gestalten sollen.
Allenthalben regen sich die Hände und die Geister, um der sozialen Not, dem
wirtschaftlichen Niedergang zu steuern. All das lehren uns die Zettungen, die
auf langem umständlichen Wege zu uns gelangen. Noch eines aber lehren
sie uns: der Krieg, der Europa in Flammen gesetzt, der in dem öffentlichen
und privaten Leben der gesamten europäischen Bevölkerung, der auch in den
Ländern Amerikas und Afrikas, auch wenn sie nicht am Kriege aktiv beteiligt
sind, einschneidende Veränderungen hervorgebracht, die Volksstimmung gewaltig
aufgeregt hat, der Weltkrieg, der die Zeitungen fast der ganzen Welt aus¬
schließlich füllt, er kümmert die Japaner, das heißt das Volk, nicht im geringsten.
Nach einer von mir aufgestellten vorläufigen Statistik füllte die japanische Presse
in den Monaten November und Dezember 1914 und Januar und Februar 1915
durchschnittlich 46.6 Prozent ihrer Textspalten mit Erörterungen und Nachrichten
über wirtschaftliche, soziale und finanzpolitische Fragen und Ereignisse, während
in nur durchschnittlich 14.9 Prozent aller Textspalten der Weltkrieg in Meldungen
und Kommentaren zur Sprache kam! Nimmt man nur die redaktionellen
Leitartikel vor. so kommt man zu dem Ergebnis, daß beispielsweise vier der
größten Tokioer Zeitungen im Januar 1915 zusammen elf politische Artikel
über den Krieg und das Verhältnis zu China brachten, während die dem
japanischen Volke nähergehenden sozialen und wirtschaftlichen Fragen in sechs-
undsiebenzig Artikeln derselben Blätter in derselben Zeit behandelt wurden.

Was wir Deutsche durch unsere Tagespresse über japanische Zustände und
Meinungen, über deutschfeindliche Auslassungen in der Tokioer Presse zu hören
bekommen, stammt aus englischen und amerikanischen Quellen. Diese berück¬
sichtigen immer nur die großstädtischen Mütter, unter diesen wieder be¬
sonders solche, die entweder ganz englisch oder amerikanisch sind in Sprache
und Haltung, oder aber die mit englischen! oder amerikanischem Kapital arbeiten
und naturgemäß nicht objektiv berichten. Diese pseudojapanischen Blätter führen
in der Hauptstadt das große Wort. Durch Listen, glänzende Honorierung und
das gern gegebene Versprechen der kräftigsten Unterstützung gelingt es diesen
Schreiern immer wieder, selbst besonnene Politiker und Gelehrte in ihr Fahr¬
wasser zu locken. Diesem Treiben gegenüber ist die Lage der gesamten übrigen
japanischen Presse, die von japanisch gesinnten Japanern redigiert wird, nicht
leicht. Ihr gesamtes Nachrichtenmaterial erhalten sie ausschließlich auf englischen,
amerikanischen und russischen Kabeln aus Shanghai, San Francisco und Wladi-
wostok. Von den Tokioer Chefredakteuren beherrschen nur zwei einigermaßen
die deutsche Sprache. Um sich über deutsche Verhältnisse zu orientieren, sind
sie genötigt, zu englischen und amerikanischen Büchern und Zeitschriften zu
greifen. Eine wahrheitsgetreue Darstellung deutscher Verhältnisse und Ereignisse
kann man daher nur von den Zeitungen erwarten, deren Chefredakteur Deutsch¬
land aus eigener Anschauung kennt, oder die gute Beziehungen zu deutsch-


enzboten I 1916 24
Japans Presse und öffentliche Meinung während des Weltkrieges

für die Einführung landwirtschaftlicher Maschinen, die den vielfach noch recht
primitiven Ackerbau des japanischen Landmannes rationeller gestalten sollen.
Allenthalben regen sich die Hände und die Geister, um der sozialen Not, dem
wirtschaftlichen Niedergang zu steuern. All das lehren uns die Zettungen, die
auf langem umständlichen Wege zu uns gelangen. Noch eines aber lehren
sie uns: der Krieg, der Europa in Flammen gesetzt, der in dem öffentlichen
und privaten Leben der gesamten europäischen Bevölkerung, der auch in den
Ländern Amerikas und Afrikas, auch wenn sie nicht am Kriege aktiv beteiligt
sind, einschneidende Veränderungen hervorgebracht, die Volksstimmung gewaltig
aufgeregt hat, der Weltkrieg, der die Zeitungen fast der ganzen Welt aus¬
schließlich füllt, er kümmert die Japaner, das heißt das Volk, nicht im geringsten.
Nach einer von mir aufgestellten vorläufigen Statistik füllte die japanische Presse
in den Monaten November und Dezember 1914 und Januar und Februar 1915
durchschnittlich 46.6 Prozent ihrer Textspalten mit Erörterungen und Nachrichten
über wirtschaftliche, soziale und finanzpolitische Fragen und Ereignisse, während
in nur durchschnittlich 14.9 Prozent aller Textspalten der Weltkrieg in Meldungen
und Kommentaren zur Sprache kam! Nimmt man nur die redaktionellen
Leitartikel vor. so kommt man zu dem Ergebnis, daß beispielsweise vier der
größten Tokioer Zeitungen im Januar 1915 zusammen elf politische Artikel
über den Krieg und das Verhältnis zu China brachten, während die dem
japanischen Volke nähergehenden sozialen und wirtschaftlichen Fragen in sechs-
undsiebenzig Artikeln derselben Blätter in derselben Zeit behandelt wurden.

Was wir Deutsche durch unsere Tagespresse über japanische Zustände und
Meinungen, über deutschfeindliche Auslassungen in der Tokioer Presse zu hören
bekommen, stammt aus englischen und amerikanischen Quellen. Diese berück¬
sichtigen immer nur die großstädtischen Mütter, unter diesen wieder be¬
sonders solche, die entweder ganz englisch oder amerikanisch sind in Sprache
und Haltung, oder aber die mit englischen! oder amerikanischem Kapital arbeiten
und naturgemäß nicht objektiv berichten. Diese pseudojapanischen Blätter führen
in der Hauptstadt das große Wort. Durch Listen, glänzende Honorierung und
das gern gegebene Versprechen der kräftigsten Unterstützung gelingt es diesen
Schreiern immer wieder, selbst besonnene Politiker und Gelehrte in ihr Fahr¬
wasser zu locken. Diesem Treiben gegenüber ist die Lage der gesamten übrigen
japanischen Presse, die von japanisch gesinnten Japanern redigiert wird, nicht
leicht. Ihr gesamtes Nachrichtenmaterial erhalten sie ausschließlich auf englischen,
amerikanischen und russischen Kabeln aus Shanghai, San Francisco und Wladi-
wostok. Von den Tokioer Chefredakteuren beherrschen nur zwei einigermaßen
die deutsche Sprache. Um sich über deutsche Verhältnisse zu orientieren, sind
sie genötigt, zu englischen und amerikanischen Büchern und Zeitschriften zu
greifen. Eine wahrheitsgetreue Darstellung deutscher Verhältnisse und Ereignisse
kann man daher nur von den Zeitungen erwarten, deren Chefredakteur Deutsch¬
land aus eigener Anschauung kennt, oder die gute Beziehungen zu deutsch-


enzboten I 1916 24
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[0381] Japans Presse und öffentliche Meinung während des Weltkrieges für die Einführung landwirtschaftlicher Maschinen, die den vielfach noch recht primitiven Ackerbau des japanischen Landmannes rationeller gestalten sollen. Allenthalben regen sich die Hände und die Geister, um der sozialen Not, dem wirtschaftlichen Niedergang zu steuern. All das lehren uns die Zettungen, die auf langem umständlichen Wege zu uns gelangen. Noch eines aber lehren sie uns: der Krieg, der Europa in Flammen gesetzt, der in dem öffentlichen und privaten Leben der gesamten europäischen Bevölkerung, der auch in den Ländern Amerikas und Afrikas, auch wenn sie nicht am Kriege aktiv beteiligt sind, einschneidende Veränderungen hervorgebracht, die Volksstimmung gewaltig aufgeregt hat, der Weltkrieg, der die Zeitungen fast der ganzen Welt aus¬ schließlich füllt, er kümmert die Japaner, das heißt das Volk, nicht im geringsten. Nach einer von mir aufgestellten vorläufigen Statistik füllte die japanische Presse in den Monaten November und Dezember 1914 und Januar und Februar 1915 durchschnittlich 46.6 Prozent ihrer Textspalten mit Erörterungen und Nachrichten über wirtschaftliche, soziale und finanzpolitische Fragen und Ereignisse, während in nur durchschnittlich 14.9 Prozent aller Textspalten der Weltkrieg in Meldungen und Kommentaren zur Sprache kam! Nimmt man nur die redaktionellen Leitartikel vor. so kommt man zu dem Ergebnis, daß beispielsweise vier der größten Tokioer Zeitungen im Januar 1915 zusammen elf politische Artikel über den Krieg und das Verhältnis zu China brachten, während die dem japanischen Volke nähergehenden sozialen und wirtschaftlichen Fragen in sechs- undsiebenzig Artikeln derselben Blätter in derselben Zeit behandelt wurden. Was wir Deutsche durch unsere Tagespresse über japanische Zustände und Meinungen, über deutschfeindliche Auslassungen in der Tokioer Presse zu hören bekommen, stammt aus englischen und amerikanischen Quellen. Diese berück¬ sichtigen immer nur die großstädtischen Mütter, unter diesen wieder be¬ sonders solche, die entweder ganz englisch oder amerikanisch sind in Sprache und Haltung, oder aber die mit englischen! oder amerikanischem Kapital arbeiten und naturgemäß nicht objektiv berichten. Diese pseudojapanischen Blätter führen in der Hauptstadt das große Wort. Durch Listen, glänzende Honorierung und das gern gegebene Versprechen der kräftigsten Unterstützung gelingt es diesen Schreiern immer wieder, selbst besonnene Politiker und Gelehrte in ihr Fahr¬ wasser zu locken. Diesem Treiben gegenüber ist die Lage der gesamten übrigen japanischen Presse, die von japanisch gesinnten Japanern redigiert wird, nicht leicht. Ihr gesamtes Nachrichtenmaterial erhalten sie ausschließlich auf englischen, amerikanischen und russischen Kabeln aus Shanghai, San Francisco und Wladi- wostok. Von den Tokioer Chefredakteuren beherrschen nur zwei einigermaßen die deutsche Sprache. Um sich über deutsche Verhältnisse zu orientieren, sind sie genötigt, zu englischen und amerikanischen Büchern und Zeitschriften zu greifen. Eine wahrheitsgetreue Darstellung deutscher Verhältnisse und Ereignisse kann man daher nur von den Zeitungen erwarten, deren Chefredakteur Deutsch¬ land aus eigener Anschauung kennt, oder die gute Beziehungen zu deutsch- enzboten I 1916 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/381>, abgerufen am 29.05.2024.