Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung dort verschlagene Politik, die den Verbündeten verrät, um dem eigenen Vorteil Europa muß im neunzehnten Jahrhundert Rußland und England wider¬ Nach Victor Hugo haben England und Rußland auf dem Wiener Kongreß Grenzboten I t9Ib 2"
Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung dort verschlagene Politik, die den Verbündeten verrät, um dem eigenen Vorteil Europa muß im neunzehnten Jahrhundert Rußland und England wider¬ Nach Victor Hugo haben England und Rußland auf dem Wiener Kongreß Grenzboten I t9Ib 2«
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323510"/> <fw type="header" place="top"> Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1420" prev="#ID_1419"> dort verschlagene Politik, die den Verbündeten verrät, um dem eigenen Vorteil<lb/> zu dienen. Einen Militärgeist ohne ritterliche Eigenschaften großziehen, die aus<lb/> dem Soldaten die Stütze der Gesellschaft machen — Handelsgeist haben ohne<lb/> die kluge Rechtschaffenheit, die aus dem Kaufmanne das die bestehenden Zu»<lb/> stände zusammenknüpfende Band macht — all das hat die Kolosse von ehedem<lb/> zusammenbrechen lassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1421"> Europa muß im neunzehnten Jahrhundert Rußland und England wider¬<lb/> stehen, sagt er an einer anderen Stelle. Die Kraft, ihnen zu widerstehen,<lb/> haben nur zwei Staaten, Frankreich und Deutschland. Sie stellen tatsächlich<lb/> Europa dar: Deutschland ist sein Herz, Frankreich sein Kopf. Sie stellen<lb/> gleicherweise die Kultur dar: Deutschland empfindet, Frankreich denkt. Beide<lb/> find keine Insel- und keine Eroberervölker, sie find die wahren Söhne des<lb/> europäischen Bodens. Um die Welt im Gleichgewicht zu erhalten, muß es in<lb/> Europa als Doppelschlüssel zu dem Gewölbe des Festlandes zwei große Rhein¬<lb/> staaten geben, die beide durch diesen alles erneuernden Fluß befruchtet und<lb/> eng verbündet werden. Wenn Mitteleuropa sich eines Tages zusammengeschlossen<lb/> haben wird (und das wird es!), dann wird das gemeinsame Interesse aller<lb/> klar sein: Frankreich wird, gestützt auf Deutschland, gegen England, das der<lb/> verkörperte Handelsgeist ist, Front machen und es in den Ozean werfen, —<lb/> Deutschland wird, auf Frankreich gestützt, gegen Rußland, das den Eroberungs¬<lb/> geist darstellt, Front machen und es nach Asien hineinwerfen. Der Handel<lb/> gehört auf das Meer — der Eroberungsgeist, der den Krieg zum Werkzeug<lb/> hat, erweckt abgestorbene Kulturen zum Leben und tötet die lebenden. Der<lb/> Krieg ist für die einen die Wiedergeburt, für die anderen das Ende: Asien braucht<lb/> ihn, Europa nicht! Die Kultur hat Raum für den Militär- und den Handels¬<lb/> geist, aber sie setzt sich nicht allein daraus zusammen, sondern sie bringt sie in<lb/> ein richtiges Verhältnis zu den anderen Beziehungen der Menschen untereinander.<lb/> Sicher würde die Einigkeit zwischen Deutschland und Frankreich die Bremse<lb/> für England und Rußland bedeuten, das Heil Europas, den Frieden der<lb/> Welt! '</p><lb/> <p xml:id="ID_1422" next="#ID_1423"> Nach Victor Hugo haben England und Rußland auf dem Wiener Kongreß<lb/> 1815 den Bruch zwischen Frankreich und Deutschland mit Vorbedacht vor¬<lb/> bereitet! Deutschland hatte seinen Groll und Frankreich seinen Zorn; aber bei<lb/> großherzigen Völkern, die durch Blut und Gedanken Brüder find, geht der<lb/> Groll vorüber und der Zorn verraucht; das große Mißverständnis von 1813<lb/> mußte sich aufklären. Deutschland, heldenhaft im Kriege, wird im Frieden<lb/> wieder träumerisch. Alles, was erhaben und hoch ist. gefällt feiner ernsthaften<lb/> und selbstlosen Schwärmerei. Wenn der Feind seiner würdig ist. bekämpft es<lb/> ihn, solange er aufrecht steht; fällt er, so ehrt es ihn. Napoleon war zu groß,<lb/> als daß Deutschland ihn nicht hätte bewundern, zu unglücklich, als daß es ihn<lb/> nicht hätte lieben sollen. Und für Frankreich, dem Sankt Helena das Herz<lb/> zusammengeschnürt hat. ist jeder, der den Kaiser bewundert und liebt, so gut</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I t9Ib 2«</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung
dort verschlagene Politik, die den Verbündeten verrät, um dem eigenen Vorteil
zu dienen. Einen Militärgeist ohne ritterliche Eigenschaften großziehen, die aus
dem Soldaten die Stütze der Gesellschaft machen — Handelsgeist haben ohne
die kluge Rechtschaffenheit, die aus dem Kaufmanne das die bestehenden Zu»
stände zusammenknüpfende Band macht — all das hat die Kolosse von ehedem
zusammenbrechen lassen."
Europa muß im neunzehnten Jahrhundert Rußland und England wider¬
stehen, sagt er an einer anderen Stelle. Die Kraft, ihnen zu widerstehen,
haben nur zwei Staaten, Frankreich und Deutschland. Sie stellen tatsächlich
Europa dar: Deutschland ist sein Herz, Frankreich sein Kopf. Sie stellen
gleicherweise die Kultur dar: Deutschland empfindet, Frankreich denkt. Beide
find keine Insel- und keine Eroberervölker, sie find die wahren Söhne des
europäischen Bodens. Um die Welt im Gleichgewicht zu erhalten, muß es in
Europa als Doppelschlüssel zu dem Gewölbe des Festlandes zwei große Rhein¬
staaten geben, die beide durch diesen alles erneuernden Fluß befruchtet und
eng verbündet werden. Wenn Mitteleuropa sich eines Tages zusammengeschlossen
haben wird (und das wird es!), dann wird das gemeinsame Interesse aller
klar sein: Frankreich wird, gestützt auf Deutschland, gegen England, das der
verkörperte Handelsgeist ist, Front machen und es in den Ozean werfen, —
Deutschland wird, auf Frankreich gestützt, gegen Rußland, das den Eroberungs¬
geist darstellt, Front machen und es nach Asien hineinwerfen. Der Handel
gehört auf das Meer — der Eroberungsgeist, der den Krieg zum Werkzeug
hat, erweckt abgestorbene Kulturen zum Leben und tötet die lebenden. Der
Krieg ist für die einen die Wiedergeburt, für die anderen das Ende: Asien braucht
ihn, Europa nicht! Die Kultur hat Raum für den Militär- und den Handels¬
geist, aber sie setzt sich nicht allein daraus zusammen, sondern sie bringt sie in
ein richtiges Verhältnis zu den anderen Beziehungen der Menschen untereinander.
Sicher würde die Einigkeit zwischen Deutschland und Frankreich die Bremse
für England und Rußland bedeuten, das Heil Europas, den Frieden der
Welt! '
Nach Victor Hugo haben England und Rußland auf dem Wiener Kongreß
1815 den Bruch zwischen Frankreich und Deutschland mit Vorbedacht vor¬
bereitet! Deutschland hatte seinen Groll und Frankreich seinen Zorn; aber bei
großherzigen Völkern, die durch Blut und Gedanken Brüder find, geht der
Groll vorüber und der Zorn verraucht; das große Mißverständnis von 1813
mußte sich aufklären. Deutschland, heldenhaft im Kriege, wird im Frieden
wieder träumerisch. Alles, was erhaben und hoch ist. gefällt feiner ernsthaften
und selbstlosen Schwärmerei. Wenn der Feind seiner würdig ist. bekämpft es
ihn, solange er aufrecht steht; fällt er, so ehrt es ihn. Napoleon war zu groß,
als daß Deutschland ihn nicht hätte bewundern, zu unglücklich, als daß es ihn
nicht hätte lieben sollen. Und für Frankreich, dem Sankt Helena das Herz
zusammengeschnürt hat. ist jeder, der den Kaiser bewundert und liebt, so gut
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