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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ariegskarten

geographie betreiben möchte, den verweise ich auf unsere geographischen Zeit¬
schriften (z. B. Petermanns Mitteilungen, Geographische Zeitschrift, Geographischer
Anzeiger), die jetzt ausgezeichnete Aufsätze über die Kriegsschauplatze bringen.
Besonders nachdrücklich sei hingewiesen auf die Kriegshefte der Geographischen
Zeitschrift (Teubner), die neuerdings auf vielfachen Wunsch einzeln abgegeben
werden (zu je 2 M.). Die darin enthaltenen Aufsätze von Professor Partsch
über den polnischen (Heft 11 und 12, 1914) und ostpreußischen (Heft 1, 1915)
Kriegsschauplatz, über den serbischen von Professor N. Krebs und über Kiautschau
von Dr. Schmitthenner (Heft 12, 1914) verdienen es, weithin verbreitet zu
werden. Sie sollten in billigen Einzeldrucken vertrieben werden. Solche
geographische Unterweisung tut fast noch mehr not, als die Fülle der lediglich
politisierenden Schriften.

Um solche Aufsätze zu verfolgen, wird einem aber auch die beste Karte
ohne Gelände sehr wenig helfen. Das ist eigentlich so selbstverständlich, daß
man es kaum niederschreiben mag. Aber wenn es möglich ist, daß geländelose
Kriegskarten so massenhaften Absatz finden, wenn gar unsere Geschichtsatlanten
immer noch überwiegend auf jedes Gelände verzichten, dann ist es doch nötig,
solche Binsenwahrheiten immer wieder nachdrücklich auszusprechen. Wer sich
also geländelose Karten bereits zugelegt hat, der wird ganz von selbst
seinen alten Schulatlas hervorholen, der für den gedachten Zweck oft
mancherlei bieten wird. (Wer einen Andree, Stieler oder Debes besitzt, ist
natürlich noch besser daran.) So habe ich oft aus dem, besonders auch wegen
der größeren Maßstäbe vieler Karten (besonders Deutschlands und Europas),
höchst empfehlenswerten "Methodischen Schulatlas" von Professor Hermann
Wagner in Göttingen (Perthes in Gotha; mit Namensverzeichnis 5 M.) mehr
ersehen können, als aus den großen Karten mit Gelände. Denn die -- man
gestatte den Ausdruck -- strategischen Leitlinien und -ziele treten hier viel
klarer hervor als in großen Karten mit allzuvielen Allerlei, zumal die Morpho¬
logie, die Gestaltung des Landes, hier besonders betont ist, und das geographisch
Wichtige ja auch oft das militärisch Wichtige ist, so daß man beim Suchen
von Ortschaften des Kriegsschauplatzes überraschend oft zufriedengestellt wird.
Jedenfalls kann man nur raten, immer eine "physikalische" Atlaskarte zu Hilfe
zu nehmen. Die erste russische Defensivstellung nach dem Durchbruch bei Lodz
an der Miagga (Quellfluß der bei Tomaszow mündenden Wolborka) --
sah ich nirgends klarer in Erscheinung treten als im "Sydow ° Wagner"
(Blatt 20). Und wer sich fragt: "Warum kommen wir nur nicht schneller an
Verdun heran?" der sehe die Höhenzüge der Code Lorraine auf einem Schul¬
atlas an: sie sagen ihm mehr, als die bunten Forts der geländelosen Karte
1:3000001 Die "Brummer" sind hier nicht ausschlaggebend.

Nach alledem könnte es scheinen, als hätten die deutschen Kartenverleger
ihre Kaufgemeinde unterschätzt, als hätten sie ihre Aufgabe als Förderer der
Volksbildung nicht so erfüllt wie sonst. -- So scheint es, doch es sind auch


Ariegskarten

geographie betreiben möchte, den verweise ich auf unsere geographischen Zeit¬
schriften (z. B. Petermanns Mitteilungen, Geographische Zeitschrift, Geographischer
Anzeiger), die jetzt ausgezeichnete Aufsätze über die Kriegsschauplatze bringen.
Besonders nachdrücklich sei hingewiesen auf die Kriegshefte der Geographischen
Zeitschrift (Teubner), die neuerdings auf vielfachen Wunsch einzeln abgegeben
werden (zu je 2 M.). Die darin enthaltenen Aufsätze von Professor Partsch
über den polnischen (Heft 11 und 12, 1914) und ostpreußischen (Heft 1, 1915)
Kriegsschauplatz, über den serbischen von Professor N. Krebs und über Kiautschau
von Dr. Schmitthenner (Heft 12, 1914) verdienen es, weithin verbreitet zu
werden. Sie sollten in billigen Einzeldrucken vertrieben werden. Solche
geographische Unterweisung tut fast noch mehr not, als die Fülle der lediglich
politisierenden Schriften.

Um solche Aufsätze zu verfolgen, wird einem aber auch die beste Karte
ohne Gelände sehr wenig helfen. Das ist eigentlich so selbstverständlich, daß
man es kaum niederschreiben mag. Aber wenn es möglich ist, daß geländelose
Kriegskarten so massenhaften Absatz finden, wenn gar unsere Geschichtsatlanten
immer noch überwiegend auf jedes Gelände verzichten, dann ist es doch nötig,
solche Binsenwahrheiten immer wieder nachdrücklich auszusprechen. Wer sich
also geländelose Karten bereits zugelegt hat, der wird ganz von selbst
seinen alten Schulatlas hervorholen, der für den gedachten Zweck oft
mancherlei bieten wird. (Wer einen Andree, Stieler oder Debes besitzt, ist
natürlich noch besser daran.) So habe ich oft aus dem, besonders auch wegen
der größeren Maßstäbe vieler Karten (besonders Deutschlands und Europas),
höchst empfehlenswerten „Methodischen Schulatlas" von Professor Hermann
Wagner in Göttingen (Perthes in Gotha; mit Namensverzeichnis 5 M.) mehr
ersehen können, als aus den großen Karten mit Gelände. Denn die — man
gestatte den Ausdruck — strategischen Leitlinien und -ziele treten hier viel
klarer hervor als in großen Karten mit allzuvielen Allerlei, zumal die Morpho¬
logie, die Gestaltung des Landes, hier besonders betont ist, und das geographisch
Wichtige ja auch oft das militärisch Wichtige ist, so daß man beim Suchen
von Ortschaften des Kriegsschauplatzes überraschend oft zufriedengestellt wird.
Jedenfalls kann man nur raten, immer eine „physikalische" Atlaskarte zu Hilfe
zu nehmen. Die erste russische Defensivstellung nach dem Durchbruch bei Lodz
an der Miagga (Quellfluß der bei Tomaszow mündenden Wolborka) —
sah ich nirgends klarer in Erscheinung treten als im „Sydow ° Wagner"
(Blatt 20). Und wer sich fragt: „Warum kommen wir nur nicht schneller an
Verdun heran?" der sehe die Höhenzüge der Code Lorraine auf einem Schul¬
atlas an: sie sagen ihm mehr, als die bunten Forts der geländelosen Karte
1:3000001 Die „Brummer" sind hier nicht ausschlaggebend.

Nach alledem könnte es scheinen, als hätten die deutschen Kartenverleger
ihre Kaufgemeinde unterschätzt, als hätten sie ihre Aufgabe als Förderer der
Volksbildung nicht so erfüllt wie sonst. — So scheint es, doch es sind auch


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[0422] Ariegskarten geographie betreiben möchte, den verweise ich auf unsere geographischen Zeit¬ schriften (z. B. Petermanns Mitteilungen, Geographische Zeitschrift, Geographischer Anzeiger), die jetzt ausgezeichnete Aufsätze über die Kriegsschauplatze bringen. Besonders nachdrücklich sei hingewiesen auf die Kriegshefte der Geographischen Zeitschrift (Teubner), die neuerdings auf vielfachen Wunsch einzeln abgegeben werden (zu je 2 M.). Die darin enthaltenen Aufsätze von Professor Partsch über den polnischen (Heft 11 und 12, 1914) und ostpreußischen (Heft 1, 1915) Kriegsschauplatz, über den serbischen von Professor N. Krebs und über Kiautschau von Dr. Schmitthenner (Heft 12, 1914) verdienen es, weithin verbreitet zu werden. Sie sollten in billigen Einzeldrucken vertrieben werden. Solche geographische Unterweisung tut fast noch mehr not, als die Fülle der lediglich politisierenden Schriften. Um solche Aufsätze zu verfolgen, wird einem aber auch die beste Karte ohne Gelände sehr wenig helfen. Das ist eigentlich so selbstverständlich, daß man es kaum niederschreiben mag. Aber wenn es möglich ist, daß geländelose Kriegskarten so massenhaften Absatz finden, wenn gar unsere Geschichtsatlanten immer noch überwiegend auf jedes Gelände verzichten, dann ist es doch nötig, solche Binsenwahrheiten immer wieder nachdrücklich auszusprechen. Wer sich also geländelose Karten bereits zugelegt hat, der wird ganz von selbst seinen alten Schulatlas hervorholen, der für den gedachten Zweck oft mancherlei bieten wird. (Wer einen Andree, Stieler oder Debes besitzt, ist natürlich noch besser daran.) So habe ich oft aus dem, besonders auch wegen der größeren Maßstäbe vieler Karten (besonders Deutschlands und Europas), höchst empfehlenswerten „Methodischen Schulatlas" von Professor Hermann Wagner in Göttingen (Perthes in Gotha; mit Namensverzeichnis 5 M.) mehr ersehen können, als aus den großen Karten mit Gelände. Denn die — man gestatte den Ausdruck — strategischen Leitlinien und -ziele treten hier viel klarer hervor als in großen Karten mit allzuvielen Allerlei, zumal die Morpho¬ logie, die Gestaltung des Landes, hier besonders betont ist, und das geographisch Wichtige ja auch oft das militärisch Wichtige ist, so daß man beim Suchen von Ortschaften des Kriegsschauplatzes überraschend oft zufriedengestellt wird. Jedenfalls kann man nur raten, immer eine „physikalische" Atlaskarte zu Hilfe zu nehmen. Die erste russische Defensivstellung nach dem Durchbruch bei Lodz an der Miagga (Quellfluß der bei Tomaszow mündenden Wolborka) — sah ich nirgends klarer in Erscheinung treten als im „Sydow ° Wagner" (Blatt 20). Und wer sich fragt: „Warum kommen wir nur nicht schneller an Verdun heran?" der sehe die Höhenzüge der Code Lorraine auf einem Schul¬ atlas an: sie sagen ihm mehr, als die bunten Forts der geländelosen Karte 1:3000001 Die „Brummer" sind hier nicht ausschlaggebend. Nach alledem könnte es scheinen, als hätten die deutschen Kartenverleger ihre Kaufgemeinde unterschätzt, als hätten sie ihre Aufgabe als Förderer der Volksbildung nicht so erfüllt wie sonst. — So scheint es, doch es sind auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/422>, abgerufen am 14.05.2024.