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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einziges lakonisches Datum prangen: "17. Ok¬
tober 1906". -- Mentschilow in der No-
woje Wremja charakterisiert den Verstorbenen
wie folgt: "Ein leidenschaftlicher Spieler in
der Jugend, hat Witte das Temperament
des Hasardspielers auch zu den Höhen der
Macht mitgenommen. Er setzte die letzte
Karte und verlor." -- Maxim Kowalewsti
gedenkt in den Nusskija Wedomosti seines
letzten Telephongespräches mit Witte, als
jener ihn zu seiner Heimkehr beglückwünschte:
"Unser Gespräch endete mit den Worten: .wie
entsetzlich, wie entsetzlich/ -- Der Ausruf
Wildes bezog sich auf den gegenwärtigen
Krieg. -- Die Blätter wollen wissen, daß er
noch auf dem Totenbett von ihm unzusammen¬
hängend gesprochen habe. Der Verstorbene
liebte seine Heimat zu sehr, um angesichts
des von uns erlebten noch nicht dagewesenen
Elends an etwas anderes zu denken, als an
sein teures Vaterland." Peter Struwe
schreibt in den Birshewija Wedomosti: .Die
Figur Wildes steht am Wendepunkt zweier

[Spaltenumbruch]

Epochen der russischen Geschichte. Bei seiner
Einschätzung sind große Maßstäbe erforderlich,
denn es verschwand von der historischen Szene
ein Mensch, dessen außerordentliche Begabung
unterstrichen wurde von seinen Schwächen
und Mängeln und der trotz aller seiner sehr
großen Mängel und ganz gewaltigen Fehler
in Dinge von großer historischer Bedeutung
nicht als Zufallsfigur hineinkam, die ein
glücklicher Würfel ausschüttete, sondern als
Mensch mit staatsmännischem Beruf."

Inssarow aus dem Birshewija Wedomosti
beschäftigt sich mit der Frage: "War Graf
Witte deutschfreundlich?" und kommt zu dem
Schluß, daß dies keineswegs der Fall war.
"Gerade in der letzten Zeit, schreibt er,
wurde um den Name Wildes von Leuten,
die ihm übelwollten, eifrig die Legende von
seiner .Deutschfreundlichkeit' verbreitet. --
Man könne aber nur sagen, daß Graf Witte
in den deutschen Regierungssphären selbst
durchaus nicht die Reputation der.Deutsch-
sreundlichkeit' besaß. Sein Abgang wurde

[Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

einziges lakonisches Datum prangen: „17. Ok¬
tober 1906". — Mentschilow in der No-
woje Wremja charakterisiert den Verstorbenen
wie folgt: „Ein leidenschaftlicher Spieler in
der Jugend, hat Witte das Temperament
des Hasardspielers auch zu den Höhen der
Macht mitgenommen. Er setzte die letzte
Karte und verlor." — Maxim Kowalewsti
gedenkt in den Nusskija Wedomosti seines
letzten Telephongespräches mit Witte, als
jener ihn zu seiner Heimkehr beglückwünschte:
„Unser Gespräch endete mit den Worten: .wie
entsetzlich, wie entsetzlich/ — Der Ausruf
Wildes bezog sich auf den gegenwärtigen
Krieg. — Die Blätter wollen wissen, daß er
noch auf dem Totenbett von ihm unzusammen¬
hängend gesprochen habe. Der Verstorbene
liebte seine Heimat zu sehr, um angesichts
des von uns erlebten noch nicht dagewesenen
Elends an etwas anderes zu denken, als an
sein teures Vaterland." Peter Struwe
schreibt in den Birshewija Wedomosti: .Die
Figur Wildes steht am Wendepunkt zweier

[Spaltenumbruch]

Epochen der russischen Geschichte. Bei seiner
Einschätzung sind große Maßstäbe erforderlich,
denn es verschwand von der historischen Szene
ein Mensch, dessen außerordentliche Begabung
unterstrichen wurde von seinen Schwächen
und Mängeln und der trotz aller seiner sehr
großen Mängel und ganz gewaltigen Fehler
in Dinge von großer historischer Bedeutung
nicht als Zufallsfigur hineinkam, die ein
glücklicher Würfel ausschüttete, sondern als
Mensch mit staatsmännischem Beruf."

Inssarow aus dem Birshewija Wedomosti
beschäftigt sich mit der Frage: „War Graf
Witte deutschfreundlich?" und kommt zu dem
Schluß, daß dies keineswegs der Fall war.
„Gerade in der letzten Zeit, schreibt er,
wurde um den Name Wildes von Leuten,
die ihm übelwollten, eifrig die Legende von
seiner .Deutschfreundlichkeit' verbreitet. —
Man könne aber nur sagen, daß Graf Witte
in den deutschen Regierungssphären selbst
durchaus nicht die Reputation der.Deutsch-
sreundlichkeit' besaß. Sein Abgang wurde

[Ende Spaltensatz]


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[0435] Maßgebliches und Unmaßgebliches einziges lakonisches Datum prangen: „17. Ok¬ tober 1906". — Mentschilow in der No- woje Wremja charakterisiert den Verstorbenen wie folgt: „Ein leidenschaftlicher Spieler in der Jugend, hat Witte das Temperament des Hasardspielers auch zu den Höhen der Macht mitgenommen. Er setzte die letzte Karte und verlor." — Maxim Kowalewsti gedenkt in den Nusskija Wedomosti seines letzten Telephongespräches mit Witte, als jener ihn zu seiner Heimkehr beglückwünschte: „Unser Gespräch endete mit den Worten: .wie entsetzlich, wie entsetzlich/ — Der Ausruf Wildes bezog sich auf den gegenwärtigen Krieg. — Die Blätter wollen wissen, daß er noch auf dem Totenbett von ihm unzusammen¬ hängend gesprochen habe. Der Verstorbene liebte seine Heimat zu sehr, um angesichts des von uns erlebten noch nicht dagewesenen Elends an etwas anderes zu denken, als an sein teures Vaterland." Peter Struwe schreibt in den Birshewija Wedomosti: .Die Figur Wildes steht am Wendepunkt zweier Epochen der russischen Geschichte. Bei seiner Einschätzung sind große Maßstäbe erforderlich, denn es verschwand von der historischen Szene ein Mensch, dessen außerordentliche Begabung unterstrichen wurde von seinen Schwächen und Mängeln und der trotz aller seiner sehr großen Mängel und ganz gewaltigen Fehler in Dinge von großer historischer Bedeutung nicht als Zufallsfigur hineinkam, die ein glücklicher Würfel ausschüttete, sondern als Mensch mit staatsmännischem Beruf." Inssarow aus dem Birshewija Wedomosti beschäftigt sich mit der Frage: „War Graf Witte deutschfreundlich?" und kommt zu dem Schluß, daß dies keineswegs der Fall war. „Gerade in der letzten Zeit, schreibt er, wurde um den Name Wildes von Leuten, die ihm übelwollten, eifrig die Legende von seiner .Deutschfreundlichkeit' verbreitet. — Man könne aber nur sagen, daß Graf Witte in den deutschen Regierungssphären selbst durchaus nicht die Reputation der.Deutsch- sreundlichkeit' besaß. Sein Abgang wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/435>, abgerufen am 31.05.2024.