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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der russisch-schwedische Bahnanschluß und der Narvik-Konflikt

wohl kaum fehl in der Annahme, daß bei der Malmöer Dreikönigs-Zusammenkunft
die Narvik - Ofoten - Frage eine größere Bedeutung hatte als die Belästigung
der neutralen Schiffahrt durch die englische Regierung.

Rußland tat inzwischen sein Möglichstes, um zunächst den Anschluß zwischen
finnischen und schwedischen Bahnen seinerseits so weit wie möglich vorzubereiten.
Da an der Mündung des Torre-Elf zwischen dem schwedischen Haparanda und
dem russischen Torrea die Herstellung des Bahnanschlusses schwieriger und zeit¬
raubender sein würde als 30 Kilometer weiter flußaufwärts, bei Karungi, so
hat Rußland zunächst während des Krieges so rasch wie möglich die Bahn
Torrea--Karungi vollenden lassen. Die Eröffnung dieser Strecke ist am
15. Dezember erfolgt, und nun setzt Rußland alle Hebel in Bewegung, um von
Schweden schnellstens die Zustimmung zu dem Bahnanschluß zwischen dem russischen
und dem schwedischen Karungi zu erhalten, das bereits eine schwedische Bahn¬
station ist. Um Schweden dem Plan geneigter zu machen, hat Rußland
sich bereit erklärt, die gesamten Kosten des Bahnanschlusses zu tragen;
aber Schweden weiß, was es von diesem "uneigennützigen" Anerbieten
zu halten hat, und schiebt seine Antwort immer aufs neue hinaus. Bald
ließ es erklären, es könne ohne Befragung und Zustimmung des Reichs¬
rath keine Zusage erteilen, bald gab es bekannt, daß für seine Interessen
nur der (schwierigere) Bahnanschluß zwischen Haparanda und Torrea diskutabel
sei. Inzwischen mußte noch in jüngster Zeit die führende Stockholmer
Zeitung Aftonbladet die von der russischen Presse auf einen Wink von oben
gebrachte, tendenziöse Meldung, daß die Verhandlungen zwischen der russischen
und der schwedischen Regierung nahe vor dem Abschluß ständen, als eine
gegenstandslose Erfindung dementieren -- ein deutliches Zeichen, daß Schweden
gar nicht daran denkt, den russischen Wunsch zu erfüllen und damit eine mehr
oder weniger selbstmörderische Handlung zu begehen! Schließlich hat am
9. Januar die schwedische Regierung gar ein kategorisches Durchfuhrverbot für
alle Kriegsmaterialien und der Kriegführung dienenden Gegenstände erlassen.
Man weiß nun in Petersburg, wie der Stockholmer Hase läuft, und steht vor
der verhängnisvollen Alternative: Verzicht oder Gewalt. Gewalt bedeutet Krieg
mit Schweden, Verzicht dagegen: Niederlage im gegenwärtigen Kriege und
wahrscheinlich hellen Brand im eigenen Hause!

Die Frage ist so wichtig und so brennend, daß man ihr auch in Deutschland
größte Aufmerksamkeit schenken muß. Zweifellos wird Nußland vorläufig in
kurzen Zwischenräumen immer wieder auf sie zurückkommen. Jedenfalls liegt
hier ein beachtenswerter Keim zu neuen politischen Konflikten vor und die
Möglichkeit, daß der große Brand des Weltkrieges noch weiter um sich greift.




Der russisch-schwedische Bahnanschluß und der Narvik-Konflikt

wohl kaum fehl in der Annahme, daß bei der Malmöer Dreikönigs-Zusammenkunft
die Narvik - Ofoten - Frage eine größere Bedeutung hatte als die Belästigung
der neutralen Schiffahrt durch die englische Regierung.

Rußland tat inzwischen sein Möglichstes, um zunächst den Anschluß zwischen
finnischen und schwedischen Bahnen seinerseits so weit wie möglich vorzubereiten.
Da an der Mündung des Torre-Elf zwischen dem schwedischen Haparanda und
dem russischen Torrea die Herstellung des Bahnanschlusses schwieriger und zeit¬
raubender sein würde als 30 Kilometer weiter flußaufwärts, bei Karungi, so
hat Rußland zunächst während des Krieges so rasch wie möglich die Bahn
Torrea—Karungi vollenden lassen. Die Eröffnung dieser Strecke ist am
15. Dezember erfolgt, und nun setzt Rußland alle Hebel in Bewegung, um von
Schweden schnellstens die Zustimmung zu dem Bahnanschluß zwischen dem russischen
und dem schwedischen Karungi zu erhalten, das bereits eine schwedische Bahn¬
station ist. Um Schweden dem Plan geneigter zu machen, hat Rußland
sich bereit erklärt, die gesamten Kosten des Bahnanschlusses zu tragen;
aber Schweden weiß, was es von diesem „uneigennützigen" Anerbieten
zu halten hat, und schiebt seine Antwort immer aufs neue hinaus. Bald
ließ es erklären, es könne ohne Befragung und Zustimmung des Reichs¬
rath keine Zusage erteilen, bald gab es bekannt, daß für seine Interessen
nur der (schwierigere) Bahnanschluß zwischen Haparanda und Torrea diskutabel
sei. Inzwischen mußte noch in jüngster Zeit die führende Stockholmer
Zeitung Aftonbladet die von der russischen Presse auf einen Wink von oben
gebrachte, tendenziöse Meldung, daß die Verhandlungen zwischen der russischen
und der schwedischen Regierung nahe vor dem Abschluß ständen, als eine
gegenstandslose Erfindung dementieren — ein deutliches Zeichen, daß Schweden
gar nicht daran denkt, den russischen Wunsch zu erfüllen und damit eine mehr
oder weniger selbstmörderische Handlung zu begehen! Schließlich hat am
9. Januar die schwedische Regierung gar ein kategorisches Durchfuhrverbot für
alle Kriegsmaterialien und der Kriegführung dienenden Gegenstände erlassen.
Man weiß nun in Petersburg, wie der Stockholmer Hase läuft, und steht vor
der verhängnisvollen Alternative: Verzicht oder Gewalt. Gewalt bedeutet Krieg
mit Schweden, Verzicht dagegen: Niederlage im gegenwärtigen Kriege und
wahrscheinlich hellen Brand im eigenen Hause!

Die Frage ist so wichtig und so brennend, daß man ihr auch in Deutschland
größte Aufmerksamkeit schenken muß. Zweifellos wird Nußland vorläufig in
kurzen Zwischenräumen immer wieder auf sie zurückkommen. Jedenfalls liegt
hier ein beachtenswerter Keim zu neuen politischen Konflikten vor und die
Möglichkeit, daß der große Brand des Weltkrieges noch weiter um sich greift.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/90>, abgerufen am 15.05.2024.