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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schweden und der Weltkrieg

verloren, die fast in gleichem Verhältnis der rechtsstehenden Partei und den
Sozialdemokraten zugute gekommen find, so daß heute die Rechte 86, die frei¬
sinnige Partei nur 57 und die Sozialdemokratie 87 Sitze innehat. Im all¬
gemeinen kann man aus noch im einzelnen darzulegenden Gründen sagen, daß
die Rechten -- wir sagen die Konservativen -- durchweg deutschfreundlich
gesinnt find, die Sozialdemokraten und die Linksliberalen aber im allgemeinen
Deutschland nicht sympathisch gegenüberstehen.

Trotz dieser deutschfeindlichen Strömungen kann man jedoch ohne
Übertreibung behaupten, daß die akademisch gebildeten Kreise Schwedens
eng mit Deutschland verknüpft sind. Die Rassenverwandtschaft als Be¬
gründung anzuführen genügt nicht. Neben den politischen Verhältnissen
hat in erster Linie deutsche Wissenschaft die beiden Völker aneinander geknüpft.
Auf den Universitäten Lund und Upsala werden zum Studium wohl mehr
deutsche als schwedische Werke benutzt. Die schwedischen Studenten bringen häufig
ein oder mehrere Semester an deutschen Universitäten, unter denen besonders
Jena bevorzugt wird, zu. Viele schwedische Wissenschaftler sind eifrige Mit¬
arbeiter an unseren wissenschaftlichen Zeitschriften. Schwedische Professoren
gehörten wiederholt in den letzten Jahren deutschen Dozentenkollegien an. Ich
erinnere nur an den Religionshistoriker Söderblom in Leipzig, der im letzten
Jahre Bischof von Upsala geworden ist und zu Beginn des Krieges mit so
warmem Enthusiasmus flammende Worte der Anklage an den Erzbischof von
Canterbury gerichtet hat. Auf allen Gebieten, insbesondere auf dem
pädagogischen und sozialpolitischen, verfolgt man alle deutschen Einrichtungen
mit eifrigem Interesse und sucht aus ihnen zu lernen.

Vielleicht kann man in Schweden von einer besonderen politischen Färbung
einzelner Landstriche sprechen. So ist ohne Zweifel Göteborg auch in Friedens¬
zeiten mehr england- als deutschfreundlich. Und diese Stimmung hat sich in
Kriegszeiten zu einer gewissen Deutschfeindlichkeit ausgewachsen. Die Ursachen
sind wohl in erster Linie in wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen. Göteborgs
Handel ist seit langem vorwiegend nach England gerichtet, so daß die Inter¬
essen der Göteborger Kaufleute eng mit dem Schicksal Englands verknüpft sind.
Schweden hat überhaupt eine weitaus stärkere Ausfuhr nach England als nach
Deutschland, denn während sie nach Deutschland 1911 nur 134 Millionen
Kronen betrug, belief sich die schwedische Ausfuhr nach England auf 196 Millionen
Kronen. Aus diesen Gründen erscheinen der "Göteborg Post" die wirtschaftlichen
Aussichten für Schweden bei einem Siege Deutschlands in nicht allzu rosigem
Lichte. Man beginnt mit englischen Augen zu sehen und Deutschland als
seinen wirtschaftlichen Nebenbuhler zu betrachten. So glaubt man. daß ein
siegendes Deutschland Schweden auf dem russischen Markte, wo es sich im
letzten Jahrzehnt einzelne Gebiete erobert hat, vertreiben könnte. Deutschland
werde monopolartig den russischen Markt beherrschen und dadurch die schwedische
Unternehmungslust zum Versiegen bringen. Deutschland werde sich auch des


Schweden und der Weltkrieg

verloren, die fast in gleichem Verhältnis der rechtsstehenden Partei und den
Sozialdemokraten zugute gekommen find, so daß heute die Rechte 86, die frei¬
sinnige Partei nur 57 und die Sozialdemokratie 87 Sitze innehat. Im all¬
gemeinen kann man aus noch im einzelnen darzulegenden Gründen sagen, daß
die Rechten — wir sagen die Konservativen — durchweg deutschfreundlich
gesinnt find, die Sozialdemokraten und die Linksliberalen aber im allgemeinen
Deutschland nicht sympathisch gegenüberstehen.

Trotz dieser deutschfeindlichen Strömungen kann man jedoch ohne
Übertreibung behaupten, daß die akademisch gebildeten Kreise Schwedens
eng mit Deutschland verknüpft sind. Die Rassenverwandtschaft als Be¬
gründung anzuführen genügt nicht. Neben den politischen Verhältnissen
hat in erster Linie deutsche Wissenschaft die beiden Völker aneinander geknüpft.
Auf den Universitäten Lund und Upsala werden zum Studium wohl mehr
deutsche als schwedische Werke benutzt. Die schwedischen Studenten bringen häufig
ein oder mehrere Semester an deutschen Universitäten, unter denen besonders
Jena bevorzugt wird, zu. Viele schwedische Wissenschaftler sind eifrige Mit¬
arbeiter an unseren wissenschaftlichen Zeitschriften. Schwedische Professoren
gehörten wiederholt in den letzten Jahren deutschen Dozentenkollegien an. Ich
erinnere nur an den Religionshistoriker Söderblom in Leipzig, der im letzten
Jahre Bischof von Upsala geworden ist und zu Beginn des Krieges mit so
warmem Enthusiasmus flammende Worte der Anklage an den Erzbischof von
Canterbury gerichtet hat. Auf allen Gebieten, insbesondere auf dem
pädagogischen und sozialpolitischen, verfolgt man alle deutschen Einrichtungen
mit eifrigem Interesse und sucht aus ihnen zu lernen.

Vielleicht kann man in Schweden von einer besonderen politischen Färbung
einzelner Landstriche sprechen. So ist ohne Zweifel Göteborg auch in Friedens¬
zeiten mehr england- als deutschfreundlich. Und diese Stimmung hat sich in
Kriegszeiten zu einer gewissen Deutschfeindlichkeit ausgewachsen. Die Ursachen
sind wohl in erster Linie in wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen. Göteborgs
Handel ist seit langem vorwiegend nach England gerichtet, so daß die Inter¬
essen der Göteborger Kaufleute eng mit dem Schicksal Englands verknüpft sind.
Schweden hat überhaupt eine weitaus stärkere Ausfuhr nach England als nach
Deutschland, denn während sie nach Deutschland 1911 nur 134 Millionen
Kronen betrug, belief sich die schwedische Ausfuhr nach England auf 196 Millionen
Kronen. Aus diesen Gründen erscheinen der „Göteborg Post" die wirtschaftlichen
Aussichten für Schweden bei einem Siege Deutschlands in nicht allzu rosigem
Lichte. Man beginnt mit englischen Augen zu sehen und Deutschland als
seinen wirtschaftlichen Nebenbuhler zu betrachten. So glaubt man. daß ein
siegendes Deutschland Schweden auf dem russischen Markte, wo es sich im
letzten Jahrzehnt einzelne Gebiete erobert hat, vertreiben könnte. Deutschland
werde monopolartig den russischen Markt beherrschen und dadurch die schwedische
Unternehmungslust zum Versiegen bringen. Deutschland werde sich auch des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/110>, abgerufen am 27.04.2024.