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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Das Nationalitätsprinzip und die natürlichen Grenzen des Staats

Nun ist nicht zu verkennen, daß gerade die Nationalität -- zumal soweit
sie in gemeinsamer Sprache und Literatur zutage tritt -- eine der wirksamsten
Grundlagen für eine. gemeinsame verbindende Kultur ist.

Doch bereits wenn man die europäischen Kulturkreise, wie das vielfach
üblich ist, in einen germanischen, anglo-sachsonischen. lateinischen und slawischen
einteilt, so ergibt sich daraus ohne weiteres, daß diese mit staatlicher Begrenzung
nichts Unmittelbares zu tun haben. Wenn man ferner als Kultur die Arbeit
und deren Ergebnis ansieht, die dazu dienen, den geistigen und materiellen
Fortschritt der Menschheit zu fördern und die allgemeinen Grundlagen sür
Weiterarbeit im Sinne wachsender Aufklärung und sich steigernder Nutzbar¬
machung der Materie für die menschlichen Bedürfnisse zu schaffen, so wird man
zu dem Ergebnis gelangen, daß die Voraussetzungen hierfür ebenso sehr und
vielleicht in noch höherem Maße als durch die nationalen Überlieferungen
durch staatliche Einrichtungen gebildet werden. Zumal heute, wo Erziehung
und geistige Förderung der Untertanen von jedem modernen Staate in sein
Wirkungs- und Tätigkeitsbereich einbezogen sind. Gemeinsame Erziehung, ge¬
meinsame staatliche und soziale Einrichtungen, gemeinsame wirtschaftliche In¬
teressen, gemeinsame Geschichte, Religion, gemeinsamer Haß und Liebe gegenüber
gemeinsamen Feinden und Freunden, wie sie vielfach durch die staatliche Zusammen¬
gehörigkeit vermittelt werden, sind oft zusammenschmiedende Bande, die ver¬
schiedenartige Nationalität überwinden und deren Vertreter dauernd ver¬
einen.

Der Staat als Kultureinheit, als Kuliurförderer steht nicht nur neben,
sondern in vieler Hinsicht über der Nationalität.

Dabei ist nicht zu übersehen, daß Vorbedingungen für Kulturfortschritt
wirtschaftliche Verhältnisse und soziale Einrichtungen sind. Diese aber fallen
heute fast gänzlich in das Bereich der staatlichen Bethätigung.

Mehr denn je haben wir in unserer Geschichtsepoche die Wahrheit des
alten Satzes einsehen gelernt, daß der Kampf der Vater aller Dinge ist.
Früher in dem Sinne friedlichen Wettstreites der Völker, heute in des Wortes
eigenster Bedeutung. Er ist auch der Befruchter der Kultur. Auch die Kultur
bedarf zu ihrem Fortschreiten des Ansporns werdender Aufgaben, des Aus¬
dehnungstriebes.

Eulen spricht von dem Gegenüberstehen von französischer Formkultur,
englischer Nützlichkeitskultur und deutscher Ganzheitskultur.

Deutschland hat das Übergewicht der allen überlegenen sittlichen Stärke.
Und es hat das Zeug dazu, auch auf den beiden anderen Gebieten die Gegner
zu überflügeln. Vielfach hat im deutschen Wesen die etwas trockene, sachliche
Nüchternheit und Gründlichkeit, die gerade auf die kritiklose geistige Mittel¬
mäßigkeit ihre Wirkung oft verfehlt, und die straffe Zucht den werbenden
Einfluß für solche, die mehr aus die Form wie auf die Sache sehen, abgeschwächt.
Hier wird Erkenntnis Wandel bringen, soweit das Not tut.


Das Nationalitätsprinzip und die natürlichen Grenzen des Staats

Nun ist nicht zu verkennen, daß gerade die Nationalität — zumal soweit
sie in gemeinsamer Sprache und Literatur zutage tritt — eine der wirksamsten
Grundlagen für eine. gemeinsame verbindende Kultur ist.

Doch bereits wenn man die europäischen Kulturkreise, wie das vielfach
üblich ist, in einen germanischen, anglo-sachsonischen. lateinischen und slawischen
einteilt, so ergibt sich daraus ohne weiteres, daß diese mit staatlicher Begrenzung
nichts Unmittelbares zu tun haben. Wenn man ferner als Kultur die Arbeit
und deren Ergebnis ansieht, die dazu dienen, den geistigen und materiellen
Fortschritt der Menschheit zu fördern und die allgemeinen Grundlagen sür
Weiterarbeit im Sinne wachsender Aufklärung und sich steigernder Nutzbar¬
machung der Materie für die menschlichen Bedürfnisse zu schaffen, so wird man
zu dem Ergebnis gelangen, daß die Voraussetzungen hierfür ebenso sehr und
vielleicht in noch höherem Maße als durch die nationalen Überlieferungen
durch staatliche Einrichtungen gebildet werden. Zumal heute, wo Erziehung
und geistige Förderung der Untertanen von jedem modernen Staate in sein
Wirkungs- und Tätigkeitsbereich einbezogen sind. Gemeinsame Erziehung, ge¬
meinsame staatliche und soziale Einrichtungen, gemeinsame wirtschaftliche In¬
teressen, gemeinsame Geschichte, Religion, gemeinsamer Haß und Liebe gegenüber
gemeinsamen Feinden und Freunden, wie sie vielfach durch die staatliche Zusammen¬
gehörigkeit vermittelt werden, sind oft zusammenschmiedende Bande, die ver¬
schiedenartige Nationalität überwinden und deren Vertreter dauernd ver¬
einen.

Der Staat als Kultureinheit, als Kuliurförderer steht nicht nur neben,
sondern in vieler Hinsicht über der Nationalität.

Dabei ist nicht zu übersehen, daß Vorbedingungen für Kulturfortschritt
wirtschaftliche Verhältnisse und soziale Einrichtungen sind. Diese aber fallen
heute fast gänzlich in das Bereich der staatlichen Bethätigung.

Mehr denn je haben wir in unserer Geschichtsepoche die Wahrheit des
alten Satzes einsehen gelernt, daß der Kampf der Vater aller Dinge ist.
Früher in dem Sinne friedlichen Wettstreites der Völker, heute in des Wortes
eigenster Bedeutung. Er ist auch der Befruchter der Kultur. Auch die Kultur
bedarf zu ihrem Fortschreiten des Ansporns werdender Aufgaben, des Aus¬
dehnungstriebes.

Eulen spricht von dem Gegenüberstehen von französischer Formkultur,
englischer Nützlichkeitskultur und deutscher Ganzheitskultur.

Deutschland hat das Übergewicht der allen überlegenen sittlichen Stärke.
Und es hat das Zeug dazu, auch auf den beiden anderen Gebieten die Gegner
zu überflügeln. Vielfach hat im deutschen Wesen die etwas trockene, sachliche
Nüchternheit und Gründlichkeit, die gerade auf die kritiklose geistige Mittel¬
mäßigkeit ihre Wirkung oft verfehlt, und die straffe Zucht den werbenden
Einfluß für solche, die mehr aus die Form wie auf die Sache sehen, abgeschwächt.
Hier wird Erkenntnis Wandel bringen, soweit das Not tut.


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[0147] Das Nationalitätsprinzip und die natürlichen Grenzen des Staats Nun ist nicht zu verkennen, daß gerade die Nationalität — zumal soweit sie in gemeinsamer Sprache und Literatur zutage tritt — eine der wirksamsten Grundlagen für eine. gemeinsame verbindende Kultur ist. Doch bereits wenn man die europäischen Kulturkreise, wie das vielfach üblich ist, in einen germanischen, anglo-sachsonischen. lateinischen und slawischen einteilt, so ergibt sich daraus ohne weiteres, daß diese mit staatlicher Begrenzung nichts Unmittelbares zu tun haben. Wenn man ferner als Kultur die Arbeit und deren Ergebnis ansieht, die dazu dienen, den geistigen und materiellen Fortschritt der Menschheit zu fördern und die allgemeinen Grundlagen sür Weiterarbeit im Sinne wachsender Aufklärung und sich steigernder Nutzbar¬ machung der Materie für die menschlichen Bedürfnisse zu schaffen, so wird man zu dem Ergebnis gelangen, daß die Voraussetzungen hierfür ebenso sehr und vielleicht in noch höherem Maße als durch die nationalen Überlieferungen durch staatliche Einrichtungen gebildet werden. Zumal heute, wo Erziehung und geistige Förderung der Untertanen von jedem modernen Staate in sein Wirkungs- und Tätigkeitsbereich einbezogen sind. Gemeinsame Erziehung, ge¬ meinsame staatliche und soziale Einrichtungen, gemeinsame wirtschaftliche In¬ teressen, gemeinsame Geschichte, Religion, gemeinsamer Haß und Liebe gegenüber gemeinsamen Feinden und Freunden, wie sie vielfach durch die staatliche Zusammen¬ gehörigkeit vermittelt werden, sind oft zusammenschmiedende Bande, die ver¬ schiedenartige Nationalität überwinden und deren Vertreter dauernd ver¬ einen. Der Staat als Kultureinheit, als Kuliurförderer steht nicht nur neben, sondern in vieler Hinsicht über der Nationalität. Dabei ist nicht zu übersehen, daß Vorbedingungen für Kulturfortschritt wirtschaftliche Verhältnisse und soziale Einrichtungen sind. Diese aber fallen heute fast gänzlich in das Bereich der staatlichen Bethätigung. Mehr denn je haben wir in unserer Geschichtsepoche die Wahrheit des alten Satzes einsehen gelernt, daß der Kampf der Vater aller Dinge ist. Früher in dem Sinne friedlichen Wettstreites der Völker, heute in des Wortes eigenster Bedeutung. Er ist auch der Befruchter der Kultur. Auch die Kultur bedarf zu ihrem Fortschreiten des Ansporns werdender Aufgaben, des Aus¬ dehnungstriebes. Eulen spricht von dem Gegenüberstehen von französischer Formkultur, englischer Nützlichkeitskultur und deutscher Ganzheitskultur. Deutschland hat das Übergewicht der allen überlegenen sittlichen Stärke. Und es hat das Zeug dazu, auch auf den beiden anderen Gebieten die Gegner zu überflügeln. Vielfach hat im deutschen Wesen die etwas trockene, sachliche Nüchternheit und Gründlichkeit, die gerade auf die kritiklose geistige Mittel¬ mäßigkeit ihre Wirkung oft verfehlt, und die straffe Zucht den werbenden Einfluß für solche, die mehr aus die Form wie auf die Sache sehen, abgeschwächt. Hier wird Erkenntnis Wandel bringen, soweit das Not tut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/147>, abgerufen am 19.05.2024.