Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
^gends provocateurs

Organisation der Attentate gegen den Obersten Min, gegen den Petersburger
Stadthauptman von der Launitz. gegen den bekannten Staatsanwalt Pawloff,
der vom Petersburger Publikum der "Henker" genannt wurde. Die Revolutionäre
vertrauten ihm blind. Wie sollten sie auch einem Manne keinen Kredit geben,
der die Pläne zur Ermordung von Plehwe und vom Großfürsten Sergjei
entworfen hatte! Dazu kam seine Teilnahme an den Attentaten gegen Trepoff,
Kleigels, Unterberger, Durbafsoff, Durnowo und andere, von denen jeder seinen
reichlichen Anteil an der Errichtung der mehr als siebentausend Schafotte gehabt
hatte, die Rußland während der Regierung Nikolaus des Zweiten gesehen hat.
Aseff hatte sich also an der Rache der Revolutionäre an der Regierung
wirksam beteiligt. Aber er hatte anderseits Hunderte von Revolutionären in
die Hand der Ochrana geliefert, "die Partei hatte durch ihn ihre Arbeiter
verloren, wie ein Wald im Herbst seine Blätter verliert." Wir kennen den
schließlichen Ausgang von Aseffs Geschichte; er wurde im Dezember 1908 in
Paris vor ein Tribunal seiner einstigen revolutionären Freunde gestellt und
entlarvt. "Man beschloß, ihn durch schweigende Verachtung zu strafen." ^

Auch Gapon war ein Provokateur. Zuerst vielleicht fleckenlos, hatte er
schließlich den verlockenden Anerbietungen der Ochrana nicht widerstehen können.
Der Geschichte wird es überlassen bleiben, darüber zu urteilen, ob er bereits
ein Verräter war, als er an jenem denkwürdigen 9. Januar Tausende von
wehrlosen Arbeitern den Flintenläufen der Soldateska des Zaren entgegentrieb.
Die Arbeiter jedenfalls sind es später gewesen, die ihn verurteilt und hingerichtet
haben. "Das Tribunal der Arbeiter -- so heißt es in seinem Todesurteil --
hat untrügliche Beweise folgender Tatsachen gefunden: Georg Gapon stand in
heimlicher Verbindung mit dem Chef des Polizeidepartements Ratschkowski und
mit dem Chef der politischen Geheimpolizei Gerassimoff. Sie haben ihm die
Wiedereröffnung der elf Gruppen des Arbeiterverbandes versprochen, wenn er
ihnen alles berichte, was er über die Revolution wisse. Er hat dies getan .. .
Gapon erhielt den Spezialauftrag von Ratschkowski, einen gewissen Revolutionär
für den Dienst der Geheimpolizei zu gewinnen. Bei dem Versuche, diesen
Auftrag auszuführen, sagte Gapon: .Man bietet Dir fünfundzwanzigtausend
Rubel nur für ein kleines Geschäft -- und wenn Du vier zustande bringst,
verdienst Du hunderttausend Rubel -- eine nette Summe Geldes/ Das
Arbeitertribunal hat entschieden: Georg Gapon verdient den Tod als ein
verräterischer Provokateur, der die Ehre und das Andenken des 9. Januar
befleckt hat. Der Urteilsspruch ist ausgeführt worden."

Wir kennen Stolypins tragischen Untergang an jenem 1. September im
Theater in Kiew, als er bei der Galavorstellung gegen die Balustrade
gelehnt auf das festliche Parkett herunterblickte und sich plötzlich dem im Abend¬
anzug festlich gekleideten Bogroff gegenübersah, der ruhig -- unter den Augen
des ganzen Theaters und des Zaren -- die todbringenden Revolverschüsse auf
das verhaßte Haupt der Reaktion abfeuerte. "Es gibt einen Augenblick im


^gends provocateurs

Organisation der Attentate gegen den Obersten Min, gegen den Petersburger
Stadthauptman von der Launitz. gegen den bekannten Staatsanwalt Pawloff,
der vom Petersburger Publikum der „Henker" genannt wurde. Die Revolutionäre
vertrauten ihm blind. Wie sollten sie auch einem Manne keinen Kredit geben,
der die Pläne zur Ermordung von Plehwe und vom Großfürsten Sergjei
entworfen hatte! Dazu kam seine Teilnahme an den Attentaten gegen Trepoff,
Kleigels, Unterberger, Durbafsoff, Durnowo und andere, von denen jeder seinen
reichlichen Anteil an der Errichtung der mehr als siebentausend Schafotte gehabt
hatte, die Rußland während der Regierung Nikolaus des Zweiten gesehen hat.
Aseff hatte sich also an der Rache der Revolutionäre an der Regierung
wirksam beteiligt. Aber er hatte anderseits Hunderte von Revolutionären in
die Hand der Ochrana geliefert, „die Partei hatte durch ihn ihre Arbeiter
verloren, wie ein Wald im Herbst seine Blätter verliert." Wir kennen den
schließlichen Ausgang von Aseffs Geschichte; er wurde im Dezember 1908 in
Paris vor ein Tribunal seiner einstigen revolutionären Freunde gestellt und
entlarvt. „Man beschloß, ihn durch schweigende Verachtung zu strafen." ^

Auch Gapon war ein Provokateur. Zuerst vielleicht fleckenlos, hatte er
schließlich den verlockenden Anerbietungen der Ochrana nicht widerstehen können.
Der Geschichte wird es überlassen bleiben, darüber zu urteilen, ob er bereits
ein Verräter war, als er an jenem denkwürdigen 9. Januar Tausende von
wehrlosen Arbeitern den Flintenläufen der Soldateska des Zaren entgegentrieb.
Die Arbeiter jedenfalls sind es später gewesen, die ihn verurteilt und hingerichtet
haben. „Das Tribunal der Arbeiter — so heißt es in seinem Todesurteil —
hat untrügliche Beweise folgender Tatsachen gefunden: Georg Gapon stand in
heimlicher Verbindung mit dem Chef des Polizeidepartements Ratschkowski und
mit dem Chef der politischen Geheimpolizei Gerassimoff. Sie haben ihm die
Wiedereröffnung der elf Gruppen des Arbeiterverbandes versprochen, wenn er
ihnen alles berichte, was er über die Revolution wisse. Er hat dies getan .. .
Gapon erhielt den Spezialauftrag von Ratschkowski, einen gewissen Revolutionär
für den Dienst der Geheimpolizei zu gewinnen. Bei dem Versuche, diesen
Auftrag auszuführen, sagte Gapon: .Man bietet Dir fünfundzwanzigtausend
Rubel nur für ein kleines Geschäft — und wenn Du vier zustande bringst,
verdienst Du hunderttausend Rubel — eine nette Summe Geldes/ Das
Arbeitertribunal hat entschieden: Georg Gapon verdient den Tod als ein
verräterischer Provokateur, der die Ehre und das Andenken des 9. Januar
befleckt hat. Der Urteilsspruch ist ausgeführt worden."

Wir kennen Stolypins tragischen Untergang an jenem 1. September im
Theater in Kiew, als er bei der Galavorstellung gegen die Balustrade
gelehnt auf das festliche Parkett herunterblickte und sich plötzlich dem im Abend¬
anzug festlich gekleideten Bogroff gegenübersah, der ruhig — unter den Augen
des ganzen Theaters und des Zaren — die todbringenden Revolverschüsse auf
das verhaßte Haupt der Reaktion abfeuerte. „Es gibt einen Augenblick im


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323713"/>
          <fw type="header" place="top"> ^gends provocateurs</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_553" prev="#ID_552"> Organisation der Attentate gegen den Obersten Min, gegen den Petersburger<lb/>
Stadthauptman von der Launitz. gegen den bekannten Staatsanwalt Pawloff,<lb/>
der vom Petersburger Publikum der &#x201E;Henker" genannt wurde. Die Revolutionäre<lb/>
vertrauten ihm blind. Wie sollten sie auch einem Manne keinen Kredit geben,<lb/>
der die Pläne zur Ermordung von Plehwe und vom Großfürsten Sergjei<lb/>
entworfen hatte! Dazu kam seine Teilnahme an den Attentaten gegen Trepoff,<lb/>
Kleigels, Unterberger, Durbafsoff, Durnowo und andere, von denen jeder seinen<lb/>
reichlichen Anteil an der Errichtung der mehr als siebentausend Schafotte gehabt<lb/>
hatte, die Rußland während der Regierung Nikolaus des Zweiten gesehen hat.<lb/>
Aseff hatte sich also an der Rache der Revolutionäre an der Regierung<lb/>
wirksam beteiligt. Aber er hatte anderseits Hunderte von Revolutionären in<lb/>
die Hand der Ochrana geliefert, &#x201E;die Partei hatte durch ihn ihre Arbeiter<lb/>
verloren, wie ein Wald im Herbst seine Blätter verliert." Wir kennen den<lb/>
schließlichen Ausgang von Aseffs Geschichte; er wurde im Dezember 1908 in<lb/>
Paris vor ein Tribunal seiner einstigen revolutionären Freunde gestellt und<lb/>
entlarvt.  &#x201E;Man beschloß, ihn durch schweigende Verachtung zu strafen." ^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_554"> Auch Gapon war ein Provokateur. Zuerst vielleicht fleckenlos, hatte er<lb/>
schließlich den verlockenden Anerbietungen der Ochrana nicht widerstehen können.<lb/>
Der Geschichte wird es überlassen bleiben, darüber zu urteilen, ob er bereits<lb/>
ein Verräter war, als er an jenem denkwürdigen 9. Januar Tausende von<lb/>
wehrlosen Arbeitern den Flintenläufen der Soldateska des Zaren entgegentrieb.<lb/>
Die Arbeiter jedenfalls sind es später gewesen, die ihn verurteilt und hingerichtet<lb/>
haben. &#x201E;Das Tribunal der Arbeiter &#x2014; so heißt es in seinem Todesurteil &#x2014;<lb/>
hat untrügliche Beweise folgender Tatsachen gefunden: Georg Gapon stand in<lb/>
heimlicher Verbindung mit dem Chef des Polizeidepartements Ratschkowski und<lb/>
mit dem Chef der politischen Geheimpolizei Gerassimoff. Sie haben ihm die<lb/>
Wiedereröffnung der elf Gruppen des Arbeiterverbandes versprochen, wenn er<lb/>
ihnen alles berichte, was er über die Revolution wisse. Er hat dies getan .. .<lb/>
Gapon erhielt den Spezialauftrag von Ratschkowski, einen gewissen Revolutionär<lb/>
für den Dienst der Geheimpolizei zu gewinnen. Bei dem Versuche, diesen<lb/>
Auftrag auszuführen, sagte Gapon: .Man bietet Dir fünfundzwanzigtausend<lb/>
Rubel nur für ein kleines Geschäft &#x2014; und wenn Du vier zustande bringst,<lb/>
verdienst Du hunderttausend Rubel &#x2014; eine nette Summe Geldes/ Das<lb/>
Arbeitertribunal hat entschieden: Georg Gapon verdient den Tod als ein<lb/>
verräterischer Provokateur, der die Ehre und das Andenken des 9. Januar<lb/>
befleckt hat. Der Urteilsspruch ist ausgeführt worden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> Wir kennen Stolypins tragischen Untergang an jenem 1. September im<lb/>
Theater in Kiew, als er bei der Galavorstellung gegen die Balustrade<lb/>
gelehnt auf das festliche Parkett herunterblickte und sich plötzlich dem im Abend¬<lb/>
anzug festlich gekleideten Bogroff gegenübersah, der ruhig &#x2014; unter den Augen<lb/>
des ganzen Theaters und des Zaren &#x2014; die todbringenden Revolverschüsse auf<lb/>
das verhaßte Haupt der Reaktion abfeuerte.  &#x201E;Es gibt einen Augenblick im</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] ^gends provocateurs Organisation der Attentate gegen den Obersten Min, gegen den Petersburger Stadthauptman von der Launitz. gegen den bekannten Staatsanwalt Pawloff, der vom Petersburger Publikum der „Henker" genannt wurde. Die Revolutionäre vertrauten ihm blind. Wie sollten sie auch einem Manne keinen Kredit geben, der die Pläne zur Ermordung von Plehwe und vom Großfürsten Sergjei entworfen hatte! Dazu kam seine Teilnahme an den Attentaten gegen Trepoff, Kleigels, Unterberger, Durbafsoff, Durnowo und andere, von denen jeder seinen reichlichen Anteil an der Errichtung der mehr als siebentausend Schafotte gehabt hatte, die Rußland während der Regierung Nikolaus des Zweiten gesehen hat. Aseff hatte sich also an der Rache der Revolutionäre an der Regierung wirksam beteiligt. Aber er hatte anderseits Hunderte von Revolutionären in die Hand der Ochrana geliefert, „die Partei hatte durch ihn ihre Arbeiter verloren, wie ein Wald im Herbst seine Blätter verliert." Wir kennen den schließlichen Ausgang von Aseffs Geschichte; er wurde im Dezember 1908 in Paris vor ein Tribunal seiner einstigen revolutionären Freunde gestellt und entlarvt. „Man beschloß, ihn durch schweigende Verachtung zu strafen." ^ Auch Gapon war ein Provokateur. Zuerst vielleicht fleckenlos, hatte er schließlich den verlockenden Anerbietungen der Ochrana nicht widerstehen können. Der Geschichte wird es überlassen bleiben, darüber zu urteilen, ob er bereits ein Verräter war, als er an jenem denkwürdigen 9. Januar Tausende von wehrlosen Arbeitern den Flintenläufen der Soldateska des Zaren entgegentrieb. Die Arbeiter jedenfalls sind es später gewesen, die ihn verurteilt und hingerichtet haben. „Das Tribunal der Arbeiter — so heißt es in seinem Todesurteil — hat untrügliche Beweise folgender Tatsachen gefunden: Georg Gapon stand in heimlicher Verbindung mit dem Chef des Polizeidepartements Ratschkowski und mit dem Chef der politischen Geheimpolizei Gerassimoff. Sie haben ihm die Wiedereröffnung der elf Gruppen des Arbeiterverbandes versprochen, wenn er ihnen alles berichte, was er über die Revolution wisse. Er hat dies getan .. . Gapon erhielt den Spezialauftrag von Ratschkowski, einen gewissen Revolutionär für den Dienst der Geheimpolizei zu gewinnen. Bei dem Versuche, diesen Auftrag auszuführen, sagte Gapon: .Man bietet Dir fünfundzwanzigtausend Rubel nur für ein kleines Geschäft — und wenn Du vier zustande bringst, verdienst Du hunderttausend Rubel — eine nette Summe Geldes/ Das Arbeitertribunal hat entschieden: Georg Gapon verdient den Tod als ein verräterischer Provokateur, der die Ehre und das Andenken des 9. Januar befleckt hat. Der Urteilsspruch ist ausgeführt worden." Wir kennen Stolypins tragischen Untergang an jenem 1. September im Theater in Kiew, als er bei der Galavorstellung gegen die Balustrade gelehnt auf das festliche Parkett herunterblickte und sich plötzlich dem im Abend¬ anzug festlich gekleideten Bogroff gegenübersah, der ruhig — unter den Augen des ganzen Theaters und des Zaren — die todbringenden Revolverschüsse auf das verhaßte Haupt der Reaktion abfeuerte. „Es gibt einen Augenblick im

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/174>, abgerufen am 03.05.2024.