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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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^Ahmes provoosteurs

worden, weil die Aufklärung der Sache "vielleicht schlechte Folgen für die
Karriere des betreffenden Beamten hätte haben können."

Weshalb aber wollten gerade Kasanzeff, Stepanoff und Petroff den Grafen
Witte töten? Kasanzeff war eifriges Mitglied des "Verbandes der Russischen
Leute", dessen dunkle Wirksamkeit zugunsten der Reaktion allgemein bekannt
ist. Die von dem Verband organisierten Attentate auf Herzenstein und Jolkos
fallen ungefähr in dieselbe Zeit wie die Anschläge auf Witte. Kasanzeff war
der Mörder des Abgeordneten Jolkos. Er stand mit dem den äußersten rechten
Parteien ungehörigen Buxthövden in nahen Beziehungen, empfing von ihm
Geld und einen falschen Paß. Als Kasanzeff nach dem mißglückter Attentat
auf Graf Witte sich das Leben genommen hatte, schickte Buxhövden einen Ver¬
trauten unter falschem Namen nach Petersburg, um die Sachen des Kasanzeff
holen zu lassen. Wenn auch, wie der Untersuchungsrichter feststellte, alle diese
Tatsachen nicht ausreichen, um den Grafen Buxhövden als an dem Morde des
Abgeordneten Jolkos beteiligt erscheinen zu lassen, so geben sie doch Anhalts¬
punkte dafür, von welchen Milieus aus die Tätigkeit des Kasanzeff bei dem
Morde des Jolkos und bei dem Attentat auf Witte beeinflußt gewesen sein
kann. Daß Kasanzeff für die letzte Tat den Petroff auswählte, war sehr ge¬
schickt. Petroff war ein Mitglied desselben Arbeiterrats, gegen den Witte als
Premierminister im Jahre 1905 vorgegangen war, sein Attentat mußte also
nach außen hin als Rache der Arbeiter erscheinen. Auf ihn mußte die ganze
Schwere der Tat fallen, denn Stepanoff war ein Mann, der für ein paar
Groschen auf jede beliebige Person eine Bombe geworfen hätte, und Kasanzeff
selbst mußte als Mitglied der Ochrana (er hatte eine von deren Chef
Gerassimoff selbst ausgestellte Legitimation in der Tasche) jedem Verdachte bei
der Mordtat beteiligt zu sein entgehen. Witte kommt deshalb zu dem Schlüsse,
daß in Wahrheit der Mordanschlag gegen ihn -- unmittelbar vor der Auf¬
lösung der zweiten Duma und der Ausgabe des neuen Wahlgesetzes -- von
den rechten Parteien inspiriert war. Sein ausschließliches Ziel war, nach
Wildes Ansicht, die öffentliche Meinung des Landes gegen die linken Parteien
aufzureizen, die als Urheber des Mordes gelten mußten, und Repressalien der
Regierung nach dem Herzen der Reaktion hervorzurufen. Außerdem war die
Tat natürlich ein politischer Racheakt gegen Witte und. was die Hauptsache
war, der so vielen unbequeme Staatsmann, "der Feind des Vaterlandes"
wäre durch sie für immer aus dem Wege geräumt worden.

Die Briefe, die Witte an Stolypin geschrieben hat, um ihn mit diesen
Tatsachen bekannt zu machen, atmen tiefe Empörung, heftigsten Unwillen. Ich
wünsche nicht für einen Dummkopf gehalten zu werden, mir mangelt es nicht
an Mut, offen darauf hinzuweisen, wo diejenigen Leute sitzen, die meinen Tod
wollten, die aber straflos geblieben sind, nicht etwa, weil man sie nicht hat
finden können, sondern . . ., den Schluß dieses Satzes zu ergänzen, überläßt
der Graf seinem Nachfolger, den er zugleich dringend bittet, Maßregeln zu


^Ahmes provoosteurs

worden, weil die Aufklärung der Sache „vielleicht schlechte Folgen für die
Karriere des betreffenden Beamten hätte haben können."

Weshalb aber wollten gerade Kasanzeff, Stepanoff und Petroff den Grafen
Witte töten? Kasanzeff war eifriges Mitglied des „Verbandes der Russischen
Leute", dessen dunkle Wirksamkeit zugunsten der Reaktion allgemein bekannt
ist. Die von dem Verband organisierten Attentate auf Herzenstein und Jolkos
fallen ungefähr in dieselbe Zeit wie die Anschläge auf Witte. Kasanzeff war
der Mörder des Abgeordneten Jolkos. Er stand mit dem den äußersten rechten
Parteien ungehörigen Buxthövden in nahen Beziehungen, empfing von ihm
Geld und einen falschen Paß. Als Kasanzeff nach dem mißglückter Attentat
auf Graf Witte sich das Leben genommen hatte, schickte Buxhövden einen Ver¬
trauten unter falschem Namen nach Petersburg, um die Sachen des Kasanzeff
holen zu lassen. Wenn auch, wie der Untersuchungsrichter feststellte, alle diese
Tatsachen nicht ausreichen, um den Grafen Buxhövden als an dem Morde des
Abgeordneten Jolkos beteiligt erscheinen zu lassen, so geben sie doch Anhalts¬
punkte dafür, von welchen Milieus aus die Tätigkeit des Kasanzeff bei dem
Morde des Jolkos und bei dem Attentat auf Witte beeinflußt gewesen sein
kann. Daß Kasanzeff für die letzte Tat den Petroff auswählte, war sehr ge¬
schickt. Petroff war ein Mitglied desselben Arbeiterrats, gegen den Witte als
Premierminister im Jahre 1905 vorgegangen war, sein Attentat mußte also
nach außen hin als Rache der Arbeiter erscheinen. Auf ihn mußte die ganze
Schwere der Tat fallen, denn Stepanoff war ein Mann, der für ein paar
Groschen auf jede beliebige Person eine Bombe geworfen hätte, und Kasanzeff
selbst mußte als Mitglied der Ochrana (er hatte eine von deren Chef
Gerassimoff selbst ausgestellte Legitimation in der Tasche) jedem Verdachte bei
der Mordtat beteiligt zu sein entgehen. Witte kommt deshalb zu dem Schlüsse,
daß in Wahrheit der Mordanschlag gegen ihn — unmittelbar vor der Auf¬
lösung der zweiten Duma und der Ausgabe des neuen Wahlgesetzes — von
den rechten Parteien inspiriert war. Sein ausschließliches Ziel war, nach
Wildes Ansicht, die öffentliche Meinung des Landes gegen die linken Parteien
aufzureizen, die als Urheber des Mordes gelten mußten, und Repressalien der
Regierung nach dem Herzen der Reaktion hervorzurufen. Außerdem war die
Tat natürlich ein politischer Racheakt gegen Witte und. was die Hauptsache
war, der so vielen unbequeme Staatsmann, „der Feind des Vaterlandes"
wäre durch sie für immer aus dem Wege geräumt worden.

Die Briefe, die Witte an Stolypin geschrieben hat, um ihn mit diesen
Tatsachen bekannt zu machen, atmen tiefe Empörung, heftigsten Unwillen. Ich
wünsche nicht für einen Dummkopf gehalten zu werden, mir mangelt es nicht
an Mut, offen darauf hinzuweisen, wo diejenigen Leute sitzen, die meinen Tod
wollten, die aber straflos geblieben sind, nicht etwa, weil man sie nicht hat
finden können, sondern . . ., den Schluß dieses Satzes zu ergänzen, überläßt
der Graf seinem Nachfolger, den er zugleich dringend bittet, Maßregeln zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/176>, abgerufen am 28.04.2024.