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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Nachfolge Bismarcks

hundertste Geburtstag des größten deutschen Kanzlers war, nicht ungenutzt
lassen: nicht zu einer sinnlosen Vergötterung seiner unsterblichen Verdienste, die
nur ablenken könnte von den großen Zielen, auf die unser Blick jetzt allein
gerichtet sein muß; wohl aber zur Selbstbesinnung über eine wahre, produktive
Nachfolge, wie sie solchen Heroen allein geziemt und wie sie auch uns Epigonen
allein förderlich ist.

Und da ist es kein Zweifel, daß wir auch hier umzulernen haben, wenn
wir nicht Sklaven der Vergangenheit bleiben wollen. Schon Fürst Bülow
klagte einmal in einer ebenso bedeutsamen wie unbeachteten Reichstagsrede über
die dogmatifierende Kanonisierung eines mißverstandenen Bismarck, durch die
der große Kanzler in echt deutscher Ideologie je nach der Parteirichtung in ein
System oder ein Schema gebracht würde, an dem man dann die Gegenwart
zu messen suche. Daß eine solche Nachfolge Bismarcks unhistorisch ist, wird
sich durch ein paar methodische Gedanken mit Leichtigkeit erweisen lassen.

Es ist klar, daß man Bismarck nach einer solchen Praxis an der Hand
seiner Hinterlassenschaften oder gar mit Hilfe von Nachschlagewerken, die diese
nach bestimmten Gesichtspunkten "ausgezogen" und ihres Zusammenhanges
beraubt haben, ebensosehr als Kriegsmann mit Küraß und Pallasch, wie als
Friedenspolitiker und ehrlichen Makler mit Palme und Wage darstellen könnte;
ebenso auch als überzeugten Imperialisten wie als "rückständigen" Kontinental¬
politiker, als Sozialisten oder als Reaktionär, als Gegner Roms und als
Kanossagänger, als Freund der Konservativen, Nationalliberalen und des
Zentrums und so fort. Und doch würde man mit allem, selbst für den be¬
schränktesten Zeitraum seiner Amtszeit, niemals das richtige treffen, da Bismarck
sich in seinem ständigen Kampf mit Parteien und Prinzipien nie anders als
im Rahmen der Entwicklung erfassen läßt.

Trotzdem kann eine wissenschaftliche, das ganze Material kritisch-vor¬
aussetzungslos verarbeitende, von Haß und Liebe freie, geschichtliche Darstellung
eines politischen Problems, unter dem Gesichtspunkte seiner Beziehungen zu
Bismarck betrachtet, auch der Politik manch brauchbare Anregung geben, wenn
man dabei niemals die conclitio mutatis mutanäis et eum xrano 8all8 außer
acht läßt. Immer aber wird eine Darstellung, die Bismarcks Politik zugunsten
einer Parteidoktrin vergewaltigt, wegen dieser Tendenz von vornherein abzu¬
lehnen sein, weil sie von dem sowohl wissenschaftlich wie künstlerisch allein be¬
rechtigten Ideal historischer Objektivität weit entfernt ist, einem Ideal, das einer
geschichtspolitischen Untersuchung allein Wert verleihen kann. Dahingegen verlockt
jede sinngemäßeÜbertragung historischer Aussprüche sowohl taktisch wie faktisch immer
zur Verallgemeinerung, selbst wenn diese vom Verfasser nicht einmal beabsichtigt
wird. Denn das Odium aller Zitate, sofern sie nicht genau lokalisiert werden,
bringt es mit sich, daß selbst die, welche sich der kritischen Schwierigkeiten ihrer
Benutzung bewußt find, ihrem Zwange vielfach verfallen. Die Worte der
Bibel find auf diese Weise mißbraucht worden zu allen Zeiten. Das Fragen


Die Nachfolge Bismarcks

hundertste Geburtstag des größten deutschen Kanzlers war, nicht ungenutzt
lassen: nicht zu einer sinnlosen Vergötterung seiner unsterblichen Verdienste, die
nur ablenken könnte von den großen Zielen, auf die unser Blick jetzt allein
gerichtet sein muß; wohl aber zur Selbstbesinnung über eine wahre, produktive
Nachfolge, wie sie solchen Heroen allein geziemt und wie sie auch uns Epigonen
allein förderlich ist.

Und da ist es kein Zweifel, daß wir auch hier umzulernen haben, wenn
wir nicht Sklaven der Vergangenheit bleiben wollen. Schon Fürst Bülow
klagte einmal in einer ebenso bedeutsamen wie unbeachteten Reichstagsrede über
die dogmatifierende Kanonisierung eines mißverstandenen Bismarck, durch die
der große Kanzler in echt deutscher Ideologie je nach der Parteirichtung in ein
System oder ein Schema gebracht würde, an dem man dann die Gegenwart
zu messen suche. Daß eine solche Nachfolge Bismarcks unhistorisch ist, wird
sich durch ein paar methodische Gedanken mit Leichtigkeit erweisen lassen.

Es ist klar, daß man Bismarck nach einer solchen Praxis an der Hand
seiner Hinterlassenschaften oder gar mit Hilfe von Nachschlagewerken, die diese
nach bestimmten Gesichtspunkten „ausgezogen" und ihres Zusammenhanges
beraubt haben, ebensosehr als Kriegsmann mit Küraß und Pallasch, wie als
Friedenspolitiker und ehrlichen Makler mit Palme und Wage darstellen könnte;
ebenso auch als überzeugten Imperialisten wie als „rückständigen" Kontinental¬
politiker, als Sozialisten oder als Reaktionär, als Gegner Roms und als
Kanossagänger, als Freund der Konservativen, Nationalliberalen und des
Zentrums und so fort. Und doch würde man mit allem, selbst für den be¬
schränktesten Zeitraum seiner Amtszeit, niemals das richtige treffen, da Bismarck
sich in seinem ständigen Kampf mit Parteien und Prinzipien nie anders als
im Rahmen der Entwicklung erfassen läßt.

Trotzdem kann eine wissenschaftliche, das ganze Material kritisch-vor¬
aussetzungslos verarbeitende, von Haß und Liebe freie, geschichtliche Darstellung
eines politischen Problems, unter dem Gesichtspunkte seiner Beziehungen zu
Bismarck betrachtet, auch der Politik manch brauchbare Anregung geben, wenn
man dabei niemals die conclitio mutatis mutanäis et eum xrano 8all8 außer
acht läßt. Immer aber wird eine Darstellung, die Bismarcks Politik zugunsten
einer Parteidoktrin vergewaltigt, wegen dieser Tendenz von vornherein abzu¬
lehnen sein, weil sie von dem sowohl wissenschaftlich wie künstlerisch allein be¬
rechtigten Ideal historischer Objektivität weit entfernt ist, einem Ideal, das einer
geschichtspolitischen Untersuchung allein Wert verleihen kann. Dahingegen verlockt
jede sinngemäßeÜbertragung historischer Aussprüche sowohl taktisch wie faktisch immer
zur Verallgemeinerung, selbst wenn diese vom Verfasser nicht einmal beabsichtigt
wird. Denn das Odium aller Zitate, sofern sie nicht genau lokalisiert werden,
bringt es mit sich, daß selbst die, welche sich der kritischen Schwierigkeiten ihrer
Benutzung bewußt find, ihrem Zwange vielfach verfallen. Die Worte der
Bibel find auf diese Weise mißbraucht worden zu allen Zeiten. Das Fragen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/178>, abgerufen am 28.04.2024.