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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Rriegswirts chaftslehre

Fülle weiter. Allerdings wird man sich nicht der Hoffnung hingeben dürfen,
daß die Ergebnisse dieser Sonderdisziplin rasch gefunden und in wenigen Sätzen
formuliert werden könnten. Gerade der Balkankrieg hat noch auf das deutlichste
gezeigt, wie mannigfaltig die Folgen sein können, die der Krieg in den heute
empirisch vorliegenden Volkswirtschaften hervorzurufen vermag. Wir sahen, wie
er hier schwerste Störungen, dort nur geringfügige Veränderungen hervorrief,
an anderen Stellen geradezu anregend wirkte. Die Kriegswirtschaftslehre wird
die Staaten in Gruppen teilen und überdies auch darauf Rücksicht nehmen
müssen, in welchem Staatensystem sich ein bestimmter Staat befindet. Sie wird
einen Unterschied zu machen haben zwischen solchen Gebieten, die im wesentlichen
die Eigentümlichkeiten der Geldwirtschaft aufweisen, welche vor allem durch die
Häufung leicht kündbarer oder kurzfristiger Verträge charakterisiert ist, und
zwischen jenen Gebieten, in denen die Naturalwirtschaft überwiegt und das
überkommene Zusammengehörigkeitsgefühl auftauchende Schäden leichter über¬
winden läßt. Es wird von großer Bedeutung sein, ob in einem Staate die
Grundbesitzverteilung eine gleichmäßige oder ungleichmäßige ist, ob man es mit
Heeren der allgemeinen Wehrpflicht oder mit Söldnerheeren zu tun hat usw.

Schon diese flüchtige Übersicht zeigt, welche reiche Gliederung die neue
Disziplin notwendigerweise besitzen muß und welche Fülle von Problemen der
Lösung harrt. Darüber darf man sich allerdings nicht täuschen, daß trotz aller
günstigen Voraussetzungen noch geraume Zeit vergehen dürfte, bis ein voll¬
ständiges System der Kriegswirtschaftslehre zustande kommt. Auf der anderen
Seite darf aber doch auch gesagt werden, daß ein Ausbau der Kriegswirtschafts¬
lehre zu einer geschlossenen Theorie die Entfaltung der Volkswirtschaftslehre
überhaupt wesentlich fördern würde. Abgesehen davon, daß die Kriegswirtschafts¬
lehre die Erforschung der konkreten Wirklichkeit intensiver als bisher ermöglichen
wird kann durch ihre Anerkennung als Sonderdisziplin auch der Einsicht
Vorschub geleistet werden, daß die volkswirtschaftliche Theorie in der Lage ist,
vielerlei Komplexe von Erscheinungen zu beschreiben, die verschiedene Ver¬
schiebungsregeln für ihre Elemente aufweisen. Wären wir in der Volkswirtschafts¬
lehre soweit fortgeschritten, daß wir ganz allgemein alle möglichen Wirtschafts¬
formen studierten und uns die Frage stellten, wie sich gegebene Formen verändern,
wenn dauernd bestimmte Regeln gelten, wie dagegen, wenn eine Regeländerung
eintritt, dann brauchten wir keine eigene Theorie für den Krieg, da dieselbe als
Sonderfall schon vorgesehen wäre. Da wir uns aber im allgemeinen nur
wenig von den vorgefundenen Kombinationen entfernen und es nur selten wagen,
empirisch gewonnenes Material zu neuen Formen zu verbinden, so erscheint es
dem jetzigen Stande der Volkswirtschaftslehre angemessen, wenn man im enge"
Anschlusse an die vorhandenen Gebilde schrittweise zu Generalisierungen übergeht.




Rriegswirts chaftslehre

Fülle weiter. Allerdings wird man sich nicht der Hoffnung hingeben dürfen,
daß die Ergebnisse dieser Sonderdisziplin rasch gefunden und in wenigen Sätzen
formuliert werden könnten. Gerade der Balkankrieg hat noch auf das deutlichste
gezeigt, wie mannigfaltig die Folgen sein können, die der Krieg in den heute
empirisch vorliegenden Volkswirtschaften hervorzurufen vermag. Wir sahen, wie
er hier schwerste Störungen, dort nur geringfügige Veränderungen hervorrief,
an anderen Stellen geradezu anregend wirkte. Die Kriegswirtschaftslehre wird
die Staaten in Gruppen teilen und überdies auch darauf Rücksicht nehmen
müssen, in welchem Staatensystem sich ein bestimmter Staat befindet. Sie wird
einen Unterschied zu machen haben zwischen solchen Gebieten, die im wesentlichen
die Eigentümlichkeiten der Geldwirtschaft aufweisen, welche vor allem durch die
Häufung leicht kündbarer oder kurzfristiger Verträge charakterisiert ist, und
zwischen jenen Gebieten, in denen die Naturalwirtschaft überwiegt und das
überkommene Zusammengehörigkeitsgefühl auftauchende Schäden leichter über¬
winden läßt. Es wird von großer Bedeutung sein, ob in einem Staate die
Grundbesitzverteilung eine gleichmäßige oder ungleichmäßige ist, ob man es mit
Heeren der allgemeinen Wehrpflicht oder mit Söldnerheeren zu tun hat usw.

Schon diese flüchtige Übersicht zeigt, welche reiche Gliederung die neue
Disziplin notwendigerweise besitzen muß und welche Fülle von Problemen der
Lösung harrt. Darüber darf man sich allerdings nicht täuschen, daß trotz aller
günstigen Voraussetzungen noch geraume Zeit vergehen dürfte, bis ein voll¬
ständiges System der Kriegswirtschaftslehre zustande kommt. Auf der anderen
Seite darf aber doch auch gesagt werden, daß ein Ausbau der Kriegswirtschafts¬
lehre zu einer geschlossenen Theorie die Entfaltung der Volkswirtschaftslehre
überhaupt wesentlich fördern würde. Abgesehen davon, daß die Kriegswirtschafts¬
lehre die Erforschung der konkreten Wirklichkeit intensiver als bisher ermöglichen
wird kann durch ihre Anerkennung als Sonderdisziplin auch der Einsicht
Vorschub geleistet werden, daß die volkswirtschaftliche Theorie in der Lage ist,
vielerlei Komplexe von Erscheinungen zu beschreiben, die verschiedene Ver¬
schiebungsregeln für ihre Elemente aufweisen. Wären wir in der Volkswirtschafts¬
lehre soweit fortgeschritten, daß wir ganz allgemein alle möglichen Wirtschafts¬
formen studierten und uns die Frage stellten, wie sich gegebene Formen verändern,
wenn dauernd bestimmte Regeln gelten, wie dagegen, wenn eine Regeländerung
eintritt, dann brauchten wir keine eigene Theorie für den Krieg, da dieselbe als
Sonderfall schon vorgesehen wäre. Da wir uns aber im allgemeinen nur
wenig von den vorgefundenen Kombinationen entfernen und es nur selten wagen,
empirisch gewonnenes Material zu neuen Formen zu verbinden, so erscheint es
dem jetzigen Stande der Volkswirtschaftslehre angemessen, wenn man im enge»
Anschlusse an die vorhandenen Gebilde schrittweise zu Generalisierungen übergeht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/190>, abgerufen am 29.04.2024.