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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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es auch nicht unterschätzt werden, und wer es
richtig verwenden will, muß die Gesetze
kennen, nach denen es wirkt. Zolles hat
darum recht daran getan, daß er der Auf¬
forderung seines Verlegers gefolgt ist, und
sich durch die von verschiedenen Seiten zu
erwartenden Einwendungen von der Ver¬
öffentlichung in Buchform nicht hat abhalten
lassen. Diese Aufsätze hätten doch nur für
den Tag, höchstens für die Woche Geltung,
werde man sagen; aber "in der wirtschaft¬
lichen Entwicklung gibt es Grundlinien, die
immer da sind". In der Tat, was er zum
Beispiel über das Wesen und die Psychologie
der Spekulation, über den Unterschied des
französischen vom englischen Wirtschaftsleben
sagt, wird bis in eine ferne Zukunft Geltung
behalten, und man wird sich im Wandel der
Zeiten noch oft daran orientieren. Denen
aber, die ihm die feuilletonistische Behandlung
der Geldfragen vorwerfen, werden seine Leser
antworten, daß sie für die genießbare und
Genuß gewährende Form dankbar sind, in
der er den trocknen und nüchternen Stoff
darbietet. Daß er von der Schulzeit her
noch mit den Musen Fühlung unterhält,
beweist die griechische Widmung an Harden,
und mit der Abhandlung über den Börsenwitz
hat er die Ästhetik um ein Kapitel bereichert.

Zu volkswirtschaftlichen Abhandlungen
dürfen sich Tages- oder Wochenberichte natür¬
lich nicht auswachsen, aber hie und da hätte
ohne Überschreitung des Rahmens wünschens¬
werte Auskunft über eine wichtige Frage
gegeben werden können. So möchte man in
dem Kapitel über des James Palten Weizen¬
corner gern erfahren, um wie viel und auf
wie lange dieser den Weizenpreis erhöht hat,
ob den Weltpreis oder nur den Preis im
Bereich der Union. Ich war bisher über¬
zeugt, daß wegen der ungeheuren Menge der
Ware und unter den heutigen Verkehrsver¬
hältnissen spekulative Erhöhung des Preises
der Brotfrüchte ebensowenig mehr möglich
sei wie künstlicher Preisdruck, der Weltpreis
dieser Ware wirklich nur durch das Verhältnis
des Vorrath zum Bedarf bestimmt werde
(für Länder, die überhaupt oder zeitweilig
durch einen Krieg vom Weltverkehr abgesperrt
sind, gibt es natürlich keinen Weltpreis). Ich
möchte nun wissen, ob Patlens Erfolg oder
Mißerfolg diese Überzeugung umstößt oder

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bestätigt, was nur aus Zahlenangaben ersehen
werden kann. Daß man den Mendelssohns
ihre Russengeschäfte nicht als Verbrechen an¬
rechnen, ihnen die Beschwörung der 1905
drohenden Panik der Russenbesitzer nicht übel
nehmen darf, ist richtig; Geschäft ist Geschäft;
aber bei dieser Gelegenheit wäre die Frage
aufzuwerfen gewesen, wie sich die Regierung
solchen Geschäften gegenüber zu verhalten hat.
Die fetten Provisionen, die russische Anleihen
abwarfen, waren damals schuld, daß auch
Blätter, deren Redakteure Rußland hassen,
die Verbreitung ungünstiger Meinungen über
diesen Staat möglichst hinderten. Hätten
unsere Staatsmänner die Tatsache ins Auge
gefaßt, daß eine kriegerische Auseinander¬
setzung mit Rußland über kurz oder lang
unvermeidlich sein werde, dann hätten sie
wahrscheinlich die Panik als ein zweckmäßiges
Vorbeugungsmittel gefördert. Zolles spottet
über die Angst der Deutschen vor der
Milliarde, über die Besorgnis, ob die un¬
geheuren Summen, die den Banken anver¬
traut werden, dort auch sicher aufgehoben
seien. Ob die Sicherheitsmaßregeln zum
Schutz vor Schädigungen durch Bank und
Börse, die unsere Gesetzgeber beliebt haben,
gerechtfertigt und zweckentsprechend sind, ver¬
mag ich mit meinen ungenügenden finanz¬
wissenschaftlichen Kenntnissennicht zu beurteilen,
aber so ganz unbegründet sind denn doch die
Besorgnisse des Publikums nicht, das gern
wissen möchte, was mit seinem Gelde geschieht,
wie die französischen Schwindelgeschichten
beweisen, die Zolles selbst erzählt. Voll
gemacht und schonungslos enthüllt hat freilich
das Elend der französischen Sparer erst der
Krieg, und darüber werden wir ja in dem
versprochenen zweiten Bande des "Geldreiches",
der "Die Wirtschaft im Kriege" behandeln
soll und auf den wir uns freuen, genaue
Auskunft erhalten.

Einer der vom Kriege hell beleuchteten
Wahrheiten, die oben flüchtig berührt wurde,
mögen hier noch einige Sätze gewidmet
werden. Franz Oppenheimer hat im Februar-
und im Märzheft der Neuen Rundschau die
volkswirtschaftlichen Lehren des Krieges sehr
schön dargestellt, hat sich aber durch seinen
psychologischen Irrtum, dem ich schon öfter
entgegengetreten bin -- er denkt sich die
Menschen als Wassertropfen, die sich auf jeden

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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es auch nicht unterschätzt werden, und wer es
richtig verwenden will, muß die Gesetze
kennen, nach denen es wirkt. Zolles hat
darum recht daran getan, daß er der Auf¬
forderung seines Verlegers gefolgt ist, und
sich durch die von verschiedenen Seiten zu
erwartenden Einwendungen von der Ver¬
öffentlichung in Buchform nicht hat abhalten
lassen. Diese Aufsätze hätten doch nur für
den Tag, höchstens für die Woche Geltung,
werde man sagen; aber „in der wirtschaft¬
lichen Entwicklung gibt es Grundlinien, die
immer da sind". In der Tat, was er zum
Beispiel über das Wesen und die Psychologie
der Spekulation, über den Unterschied des
französischen vom englischen Wirtschaftsleben
sagt, wird bis in eine ferne Zukunft Geltung
behalten, und man wird sich im Wandel der
Zeiten noch oft daran orientieren. Denen
aber, die ihm die feuilletonistische Behandlung
der Geldfragen vorwerfen, werden seine Leser
antworten, daß sie für die genießbare und
Genuß gewährende Form dankbar sind, in
der er den trocknen und nüchternen Stoff
darbietet. Daß er von der Schulzeit her
noch mit den Musen Fühlung unterhält,
beweist die griechische Widmung an Harden,
und mit der Abhandlung über den Börsenwitz
hat er die Ästhetik um ein Kapitel bereichert.

Zu volkswirtschaftlichen Abhandlungen
dürfen sich Tages- oder Wochenberichte natür¬
lich nicht auswachsen, aber hie und da hätte
ohne Überschreitung des Rahmens wünschens¬
werte Auskunft über eine wichtige Frage
gegeben werden können. So möchte man in
dem Kapitel über des James Palten Weizen¬
corner gern erfahren, um wie viel und auf
wie lange dieser den Weizenpreis erhöht hat,
ob den Weltpreis oder nur den Preis im
Bereich der Union. Ich war bisher über¬
zeugt, daß wegen der ungeheuren Menge der
Ware und unter den heutigen Verkehrsver¬
hältnissen spekulative Erhöhung des Preises
der Brotfrüchte ebensowenig mehr möglich
sei wie künstlicher Preisdruck, der Weltpreis
dieser Ware wirklich nur durch das Verhältnis
des Vorrath zum Bedarf bestimmt werde
(für Länder, die überhaupt oder zeitweilig
durch einen Krieg vom Weltverkehr abgesperrt
sind, gibt es natürlich keinen Weltpreis). Ich
möchte nun wissen, ob Patlens Erfolg oder
Mißerfolg diese Überzeugung umstößt oder

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bestätigt, was nur aus Zahlenangaben ersehen
werden kann. Daß man den Mendelssohns
ihre Russengeschäfte nicht als Verbrechen an¬
rechnen, ihnen die Beschwörung der 1905
drohenden Panik der Russenbesitzer nicht übel
nehmen darf, ist richtig; Geschäft ist Geschäft;
aber bei dieser Gelegenheit wäre die Frage
aufzuwerfen gewesen, wie sich die Regierung
solchen Geschäften gegenüber zu verhalten hat.
Die fetten Provisionen, die russische Anleihen
abwarfen, waren damals schuld, daß auch
Blätter, deren Redakteure Rußland hassen,
die Verbreitung ungünstiger Meinungen über
diesen Staat möglichst hinderten. Hätten
unsere Staatsmänner die Tatsache ins Auge
gefaßt, daß eine kriegerische Auseinander¬
setzung mit Rußland über kurz oder lang
unvermeidlich sein werde, dann hätten sie
wahrscheinlich die Panik als ein zweckmäßiges
Vorbeugungsmittel gefördert. Zolles spottet
über die Angst der Deutschen vor der
Milliarde, über die Besorgnis, ob die un¬
geheuren Summen, die den Banken anver¬
traut werden, dort auch sicher aufgehoben
seien. Ob die Sicherheitsmaßregeln zum
Schutz vor Schädigungen durch Bank und
Börse, die unsere Gesetzgeber beliebt haben,
gerechtfertigt und zweckentsprechend sind, ver¬
mag ich mit meinen ungenügenden finanz¬
wissenschaftlichen Kenntnissennicht zu beurteilen,
aber so ganz unbegründet sind denn doch die
Besorgnisse des Publikums nicht, das gern
wissen möchte, was mit seinem Gelde geschieht,
wie die französischen Schwindelgeschichten
beweisen, die Zolles selbst erzählt. Voll
gemacht und schonungslos enthüllt hat freilich
das Elend der französischen Sparer erst der
Krieg, und darüber werden wir ja in dem
versprochenen zweiten Bande des „Geldreiches",
der „Die Wirtschaft im Kriege" behandeln
soll und auf den wir uns freuen, genaue
Auskunft erhalten.

Einer der vom Kriege hell beleuchteten
Wahrheiten, die oben flüchtig berührt wurde,
mögen hier noch einige Sätze gewidmet
werden. Franz Oppenheimer hat im Februar-
und im Märzheft der Neuen Rundschau die
volkswirtschaftlichen Lehren des Krieges sehr
schön dargestellt, hat sich aber durch seinen
psychologischen Irrtum, dem ich schon öfter
entgegengetreten bin — er denkt sich die
Menschen als Wassertropfen, die sich auf jeden

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[0267] Maßgebliches und Unmaßgebliches es auch nicht unterschätzt werden, und wer es richtig verwenden will, muß die Gesetze kennen, nach denen es wirkt. Zolles hat darum recht daran getan, daß er der Auf¬ forderung seines Verlegers gefolgt ist, und sich durch die von verschiedenen Seiten zu erwartenden Einwendungen von der Ver¬ öffentlichung in Buchform nicht hat abhalten lassen. Diese Aufsätze hätten doch nur für den Tag, höchstens für die Woche Geltung, werde man sagen; aber „in der wirtschaft¬ lichen Entwicklung gibt es Grundlinien, die immer da sind". In der Tat, was er zum Beispiel über das Wesen und die Psychologie der Spekulation, über den Unterschied des französischen vom englischen Wirtschaftsleben sagt, wird bis in eine ferne Zukunft Geltung behalten, und man wird sich im Wandel der Zeiten noch oft daran orientieren. Denen aber, die ihm die feuilletonistische Behandlung der Geldfragen vorwerfen, werden seine Leser antworten, daß sie für die genießbare und Genuß gewährende Form dankbar sind, in der er den trocknen und nüchternen Stoff darbietet. Daß er von der Schulzeit her noch mit den Musen Fühlung unterhält, beweist die griechische Widmung an Harden, und mit der Abhandlung über den Börsenwitz hat er die Ästhetik um ein Kapitel bereichert. Zu volkswirtschaftlichen Abhandlungen dürfen sich Tages- oder Wochenberichte natür¬ lich nicht auswachsen, aber hie und da hätte ohne Überschreitung des Rahmens wünschens¬ werte Auskunft über eine wichtige Frage gegeben werden können. So möchte man in dem Kapitel über des James Palten Weizen¬ corner gern erfahren, um wie viel und auf wie lange dieser den Weizenpreis erhöht hat, ob den Weltpreis oder nur den Preis im Bereich der Union. Ich war bisher über¬ zeugt, daß wegen der ungeheuren Menge der Ware und unter den heutigen Verkehrsver¬ hältnissen spekulative Erhöhung des Preises der Brotfrüchte ebensowenig mehr möglich sei wie künstlicher Preisdruck, der Weltpreis dieser Ware wirklich nur durch das Verhältnis des Vorrath zum Bedarf bestimmt werde (für Länder, die überhaupt oder zeitweilig durch einen Krieg vom Weltverkehr abgesperrt sind, gibt es natürlich keinen Weltpreis). Ich möchte nun wissen, ob Patlens Erfolg oder Mißerfolg diese Überzeugung umstößt oder bestätigt, was nur aus Zahlenangaben ersehen werden kann. Daß man den Mendelssohns ihre Russengeschäfte nicht als Verbrechen an¬ rechnen, ihnen die Beschwörung der 1905 drohenden Panik der Russenbesitzer nicht übel nehmen darf, ist richtig; Geschäft ist Geschäft; aber bei dieser Gelegenheit wäre die Frage aufzuwerfen gewesen, wie sich die Regierung solchen Geschäften gegenüber zu verhalten hat. Die fetten Provisionen, die russische Anleihen abwarfen, waren damals schuld, daß auch Blätter, deren Redakteure Rußland hassen, die Verbreitung ungünstiger Meinungen über diesen Staat möglichst hinderten. Hätten unsere Staatsmänner die Tatsache ins Auge gefaßt, daß eine kriegerische Auseinander¬ setzung mit Rußland über kurz oder lang unvermeidlich sein werde, dann hätten sie wahrscheinlich die Panik als ein zweckmäßiges Vorbeugungsmittel gefördert. Zolles spottet über die Angst der Deutschen vor der Milliarde, über die Besorgnis, ob die un¬ geheuren Summen, die den Banken anver¬ traut werden, dort auch sicher aufgehoben seien. Ob die Sicherheitsmaßregeln zum Schutz vor Schädigungen durch Bank und Börse, die unsere Gesetzgeber beliebt haben, gerechtfertigt und zweckentsprechend sind, ver¬ mag ich mit meinen ungenügenden finanz¬ wissenschaftlichen Kenntnissennicht zu beurteilen, aber so ganz unbegründet sind denn doch die Besorgnisse des Publikums nicht, das gern wissen möchte, was mit seinem Gelde geschieht, wie die französischen Schwindelgeschichten beweisen, die Zolles selbst erzählt. Voll gemacht und schonungslos enthüllt hat freilich das Elend der französischen Sparer erst der Krieg, und darüber werden wir ja in dem versprochenen zweiten Bande des „Geldreiches", der „Die Wirtschaft im Kriege" behandeln soll und auf den wir uns freuen, genaue Auskunft erhalten. Einer der vom Kriege hell beleuchteten Wahrheiten, die oben flüchtig berührt wurde, mögen hier noch einige Sätze gewidmet werden. Franz Oppenheimer hat im Februar- und im Märzheft der Neuen Rundschau die volkswirtschaftlichen Lehren des Krieges sehr schön dargestellt, hat sich aber durch seinen psychologischen Irrtum, dem ich schon öfter entgegengetreten bin — er denkt sich die Menschen als Wassertropfen, die sich auf jeden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/267>, abgerufen am 07.05.2024.