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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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von deutscher Kultur und deutscher Freiheit

kretischen, der ägyptischen und assyrischen, ihrerseits wieder ältere und schon
errungene Kulturelemente übernommen.

Kürzlich hat der Franzose Boutroux gegen die Deutschen den Vorwurf
erhoben, daß diese erstrebten, sich völlig von der antiken Überlieferung zu be¬
freien und ihre neuzeitige Kultur ganz aus sich heraus und aus germanischen
oder für germanisch erklärten Bestandteilen aufzubauen. Wir empfinden den
Vorwurf des Franzosen nicht als Vorwurf, sondern bekennen, daß allerdings
unsere Vorstellungen von heutiger und künftiger deutscher Kultur mindestens in
der allgemeinen Richtung gehen, die dort bekämpft wird.

"Das Schicksal der Deutschen ist -- schrieb Goethe -- noch nicht erfüllt.
Hätten sie keine andere Aufgabe zu erfüllen gehabt, als das römische Reich
zu zerbrechen und eine neue Welt zu schaffen und zu ordnen, sie würden längst
zugrunde gegangen sein. Da sie aber fortbestanden sind, und in solcher Kraft
und Tüchtigkeit, so müssen sie nach meinem Glauben noch eine große Zukunft
haben, eine Bestimmung, welche um so viel größer sein wird denn jenes
gewaltige Werk der Zerstörung des römischen Reichs und der Gestaltung des
Mittelalters, als ihre Bildung jetzt höher steht."

Wir kämpfen heute um unsere Existenz gegen ^die halbe Welt; um die
staatliche und wirtschaftliche und selbst um die physische Existenz des deutschen
Volks. Und damit -- das sagen wir laut hinaus ohne falsche Scham -- um
die höchsten Werte der modernen europäischen Kultur, als deren Schöpfer und
wesentliche Träger die Deutschen sich erwiesen haben.




von deutscher Kultur und deutscher Freiheit

kretischen, der ägyptischen und assyrischen, ihrerseits wieder ältere und schon
errungene Kulturelemente übernommen.

Kürzlich hat der Franzose Boutroux gegen die Deutschen den Vorwurf
erhoben, daß diese erstrebten, sich völlig von der antiken Überlieferung zu be¬
freien und ihre neuzeitige Kultur ganz aus sich heraus und aus germanischen
oder für germanisch erklärten Bestandteilen aufzubauen. Wir empfinden den
Vorwurf des Franzosen nicht als Vorwurf, sondern bekennen, daß allerdings
unsere Vorstellungen von heutiger und künftiger deutscher Kultur mindestens in
der allgemeinen Richtung gehen, die dort bekämpft wird.

„Das Schicksal der Deutschen ist — schrieb Goethe — noch nicht erfüllt.
Hätten sie keine andere Aufgabe zu erfüllen gehabt, als das römische Reich
zu zerbrechen und eine neue Welt zu schaffen und zu ordnen, sie würden längst
zugrunde gegangen sein. Da sie aber fortbestanden sind, und in solcher Kraft
und Tüchtigkeit, so müssen sie nach meinem Glauben noch eine große Zukunft
haben, eine Bestimmung, welche um so viel größer sein wird denn jenes
gewaltige Werk der Zerstörung des römischen Reichs und der Gestaltung des
Mittelalters, als ihre Bildung jetzt höher steht."

Wir kämpfen heute um unsere Existenz gegen ^die halbe Welt; um die
staatliche und wirtschaftliche und selbst um die physische Existenz des deutschen
Volks. Und damit — das sagen wir laut hinaus ohne falsche Scham — um
die höchsten Werte der modernen europäischen Kultur, als deren Schöpfer und
wesentliche Träger die Deutschen sich erwiesen haben.




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[0283] von deutscher Kultur und deutscher Freiheit kretischen, der ägyptischen und assyrischen, ihrerseits wieder ältere und schon errungene Kulturelemente übernommen. Kürzlich hat der Franzose Boutroux gegen die Deutschen den Vorwurf erhoben, daß diese erstrebten, sich völlig von der antiken Überlieferung zu be¬ freien und ihre neuzeitige Kultur ganz aus sich heraus und aus germanischen oder für germanisch erklärten Bestandteilen aufzubauen. Wir empfinden den Vorwurf des Franzosen nicht als Vorwurf, sondern bekennen, daß allerdings unsere Vorstellungen von heutiger und künftiger deutscher Kultur mindestens in der allgemeinen Richtung gehen, die dort bekämpft wird. „Das Schicksal der Deutschen ist — schrieb Goethe — noch nicht erfüllt. Hätten sie keine andere Aufgabe zu erfüllen gehabt, als das römische Reich zu zerbrechen und eine neue Welt zu schaffen und zu ordnen, sie würden längst zugrunde gegangen sein. Da sie aber fortbestanden sind, und in solcher Kraft und Tüchtigkeit, so müssen sie nach meinem Glauben noch eine große Zukunft haben, eine Bestimmung, welche um so viel größer sein wird denn jenes gewaltige Werk der Zerstörung des römischen Reichs und der Gestaltung des Mittelalters, als ihre Bildung jetzt höher steht." Wir kämpfen heute um unsere Existenz gegen ^die halbe Welt; um die staatliche und wirtschaftliche und selbst um die physische Existenz des deutschen Volks. Und damit — das sagen wir laut hinaus ohne falsche Scham — um die höchsten Werte der modernen europäischen Kultur, als deren Schöpfer und wesentliche Träger die Deutschen sich erwiesen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/283>, abgerufen am 01.05.2024.