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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die europäischen Sprachen und der Krieg

wir im eigensten, im deutschen Hause nach dem Rechten sehen. Für die Aus¬
landsdeutschen haben wir Gott sei Dank schon vielfach ein offenes Herz und
eine offene Hand, auch wo sie auf einem vielleicht schon verlorenen Posten
stehen. Aber auch unmittelbar an den Grenzen, vor allem im Süden und
Südwesten, müssen wir sprachlich nur auf das Gemeinsame sehen, nicht auf
das Trennende. Nur wenn wir auch in der scheinbar ungelenkesten Mundart
des Elsaß den Hauch des deutschen Geistes verspüren und in den gröbsten
Lauten des Berner Oberlandes nur die "nachlässig rohen Töne der Natur"
heraushören, vermeiden wir, beide dem Französischen in die Arme zu treiben,
in denen sie selbst die gutmütigst gedachte Spöttelei eines Reichsdeutschen immer
Schutz suchen läßt.

Und wenn wir künftig auch von unserer gerade in letzter Zeit auf Kosten
der Literaturkenntnis etwas übertriebenen Wertschätzung der mündlichen Be¬
herrschung der heutigen Auslandssprachen wieder ein wenig abkommen, und
wenn wir ebenso die Sitte noch weiter einschränken, unsern Gebildetentöchtern
wahllos, auch den unfähigsten und unwilligsten, im romanischen oder englischen
Ausland die letzte Weihe zu geben für den Lebensweg, so kann das ihrer
Bildung und unserm Vaterland nichts schaden. Denn das ist im Grunde doch
nur eine farblose, verspätete Blüte aus der Zeit, da Lesstng seinen Laokoon erst
glaubte französisch schreiben zu müssen, aus der Zeit, da Johannes von Müller
in der Berliner Akademie der Wissenschaften den Geburtstag des großen Friedrich
noch feierte durch eine Rede über "^a^Ioirs 6e k^l-säöric"; es ist -- schillerisch
geredet -- eine Erinnerung an die "Tage charakterloser Minderjährigkeit", die
wir nun, so Gott will, für immer hinter uns haben!




Die europäischen Sprachen und der Krieg

wir im eigensten, im deutschen Hause nach dem Rechten sehen. Für die Aus¬
landsdeutschen haben wir Gott sei Dank schon vielfach ein offenes Herz und
eine offene Hand, auch wo sie auf einem vielleicht schon verlorenen Posten
stehen. Aber auch unmittelbar an den Grenzen, vor allem im Süden und
Südwesten, müssen wir sprachlich nur auf das Gemeinsame sehen, nicht auf
das Trennende. Nur wenn wir auch in der scheinbar ungelenkesten Mundart
des Elsaß den Hauch des deutschen Geistes verspüren und in den gröbsten
Lauten des Berner Oberlandes nur die „nachlässig rohen Töne der Natur"
heraushören, vermeiden wir, beide dem Französischen in die Arme zu treiben,
in denen sie selbst die gutmütigst gedachte Spöttelei eines Reichsdeutschen immer
Schutz suchen läßt.

Und wenn wir künftig auch von unserer gerade in letzter Zeit auf Kosten
der Literaturkenntnis etwas übertriebenen Wertschätzung der mündlichen Be¬
herrschung der heutigen Auslandssprachen wieder ein wenig abkommen, und
wenn wir ebenso die Sitte noch weiter einschränken, unsern Gebildetentöchtern
wahllos, auch den unfähigsten und unwilligsten, im romanischen oder englischen
Ausland die letzte Weihe zu geben für den Lebensweg, so kann das ihrer
Bildung und unserm Vaterland nichts schaden. Denn das ist im Grunde doch
nur eine farblose, verspätete Blüte aus der Zeit, da Lesstng seinen Laokoon erst
glaubte französisch schreiben zu müssen, aus der Zeit, da Johannes von Müller
in der Berliner Akademie der Wissenschaften den Geburtstag des großen Friedrich
noch feierte durch eine Rede über „^a^Ioirs 6e k^l-säöric"; es ist — schillerisch
geredet — eine Erinnerung an die „Tage charakterloser Minderjährigkeit", die
wir nun, so Gott will, für immer hinter uns haben!




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[0298] Die europäischen Sprachen und der Krieg wir im eigensten, im deutschen Hause nach dem Rechten sehen. Für die Aus¬ landsdeutschen haben wir Gott sei Dank schon vielfach ein offenes Herz und eine offene Hand, auch wo sie auf einem vielleicht schon verlorenen Posten stehen. Aber auch unmittelbar an den Grenzen, vor allem im Süden und Südwesten, müssen wir sprachlich nur auf das Gemeinsame sehen, nicht auf das Trennende. Nur wenn wir auch in der scheinbar ungelenkesten Mundart des Elsaß den Hauch des deutschen Geistes verspüren und in den gröbsten Lauten des Berner Oberlandes nur die „nachlässig rohen Töne der Natur" heraushören, vermeiden wir, beide dem Französischen in die Arme zu treiben, in denen sie selbst die gutmütigst gedachte Spöttelei eines Reichsdeutschen immer Schutz suchen läßt. Und wenn wir künftig auch von unserer gerade in letzter Zeit auf Kosten der Literaturkenntnis etwas übertriebenen Wertschätzung der mündlichen Be¬ herrschung der heutigen Auslandssprachen wieder ein wenig abkommen, und wenn wir ebenso die Sitte noch weiter einschränken, unsern Gebildetentöchtern wahllos, auch den unfähigsten und unwilligsten, im romanischen oder englischen Ausland die letzte Weihe zu geben für den Lebensweg, so kann das ihrer Bildung und unserm Vaterland nichts schaden. Denn das ist im Grunde doch nur eine farblose, verspätete Blüte aus der Zeit, da Lesstng seinen Laokoon erst glaubte französisch schreiben zu müssen, aus der Zeit, da Johannes von Müller in der Berliner Akademie der Wissenschaften den Geburtstag des großen Friedrich noch feierte durch eine Rede über „^a^Ioirs 6e k^l-säöric"; es ist — schillerisch geredet — eine Erinnerung an die „Tage charakterloser Minderjährigkeit", die wir nun, so Gott will, für immer hinter uns haben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/298>, abgerufen am 06.05.2024.