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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

fache, daß das ganze deutsche Volk allmählich
vergiftet worden ist. Durch die Freiheitskriege
wurde der politische Fanatismus und die
Anbetung der rohen Kraft großgezogen. Die
deutschen Gelehrten logen und falschem, um
die Überlegenheit Preußen"Deutschlands zu
beweisen, und predigten ehren Volke den
Kultus der Kraft und die Heiligkeit des Dieb¬
stahls. Daß diese Lehren vom Publikum
ständig so geduldig hingenommen wurden,
liegt an dem angeborenen Mangel jeder
schöpferischen Phantasie. Deutschland hat
geistig immer nur von anderen geborgt. So
war es möglich, daß die allmähliche, er¬
drückende Propaganda, der Wille zum
Herrschen und der Machthunger die Seele
des teuschen Volkes vergiftete.

Leider hat keine der friedlichen Mächte
des Reiches dieser Begierde genug Widerstand
entgegensetzen können. Der Pariikularismus,
auf den die Franzosen soviel Hoffnung setzten,
hat sich in der preußischen Vorherrschaft ver¬
flüchtigt; das Zentrum treibt mit seinen
Prinzipien Handel und hat ausschließlich
praktische Interessen; die Universität steht im
Banne der engherzigsten Unduldsamkeit und
geht in mechanischer Arbeit, in Gelehrsamkeit
und Nachbeterei auf, ohne ein selbständiges
Urteil und Persönlichkeiten auskommen zu
lassen; die Industrie, die sonst jede Störung des
Marktes vermeidet, war von dem Ausschwung
nach 1870 besessen und hoffte durch eine neue
Razzia die Kassen wiederum zu fülle"; die
Sozialdemokratie war eine rein dekorative
Erscheinung, im Grunde von dem gleichen
nationalen Hochmut wie alle anderen Volks¬
schichten beseelt.

So hatten die Altdeutschen leichte Arbeit.
Ihre sechs Direktoren waren seit langem die
eigentlichen Leiter der deutschen auswärtigen
Politik. Die niederen Leidenschaften des
Volkes waren erwacht. Die rechtmäßigen
Erben Goethes hatten aus dem vergifteten
Kelch getrunken und vertierten.

Der Friede, den die Verbündeten Deutsch¬
land auferlegen werden, nutz folgendes
Ergebnis haben: Zerstücklung des deutschen

[Spaltenumbruch]

Reiches und Schaffung neuer Staaten nach
dem Nationalitätenprinzip.

Mit diesem Bilde, das der Universitäts-
professor von uns entwirft, bekennt er sich
ganz und gar zur typischen französischen
Grundauffassung. Im einzelnen versucht er
den wichtigsten Glaubensartikel der Franzosen
-- die Deutschen sind an allem schuld --
durch scheinbare historische und psychologische
Tatsachen zu stützen; seine Tatsachen sind
wieder nur Erzeugnisse seiner nationalen
Grundauffassung. So dreht er sich ständig
im Kreis herum. Er setzt immer voraus,
was er erst beweisen will. Entbehrt sein
Buch also des wissenschaftlichen Ernstes, so
wird es dadurch nicht objektiver, daß er ab
und zu phantastische Behauptungen hinein¬
wirft. Er stellt fest, daß bei den Deutschen
das Gefühl vorherrscht, und schreibt dem
Gefühl eine unbewiesene inauisitatorische und
gewalthaberische Eigenschaft zu. Durch das
ganze Pamphlet geht dabei ein offenes und
bewußtes Streben nach UnWahrhaftigkeit.
So an allen Stellen, wo er die Friedensliebe
Rußlands, Serbiens und Frankreichs lobt.
Er stellt den elenden französisch-russischen
Handel (Geld gegen Soldaten) als eine
"Liebesheirat" hin, obwohl er wissen muß,
wie wenig volkstümlich er anfangs im franzö¬
sischen Volke war und wieviel Rubel in die
französischen Redaktionen gerollt sind, um
aus den französischen Sparern die zwanzig
Milliarden herauszupressen. Er setzt Frank¬
reich einen billigen Heiligenschein aufs Haupt,
wenn er es den gegebenen und ewigen Hüter
des Nationalilätspnnzips nennt. Und ein
paar Seiten weiter gibt er zu: dieses Prinzip
muß zugunsten höherer Erwägungen zurück¬
treten, wenn es gilt Deutschland zu schwächen.
Mit diesem einen Satz widerlegt er sein
ganzes Buch.

[Ende Spaltensatz]

Und trotz alledem ist dieser Versuch einer
zynischen Geschichtsklitterung lehrreich für uns:
das französische Volk hat auch die geistigen
Verbindnngsbrücken in die Luft gesprengt und
die gegenseitige Verständigung für lange Zeit
Dr. Lritz Roepke unmöglich gemacht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

fache, daß das ganze deutsche Volk allmählich
vergiftet worden ist. Durch die Freiheitskriege
wurde der politische Fanatismus und die
Anbetung der rohen Kraft großgezogen. Die
deutschen Gelehrten logen und falschem, um
die Überlegenheit Preußen»Deutschlands zu
beweisen, und predigten ehren Volke den
Kultus der Kraft und die Heiligkeit des Dieb¬
stahls. Daß diese Lehren vom Publikum
ständig so geduldig hingenommen wurden,
liegt an dem angeborenen Mangel jeder
schöpferischen Phantasie. Deutschland hat
geistig immer nur von anderen geborgt. So
war es möglich, daß die allmähliche, er¬
drückende Propaganda, der Wille zum
Herrschen und der Machthunger die Seele
des teuschen Volkes vergiftete.

Leider hat keine der friedlichen Mächte
des Reiches dieser Begierde genug Widerstand
entgegensetzen können. Der Pariikularismus,
auf den die Franzosen soviel Hoffnung setzten,
hat sich in der preußischen Vorherrschaft ver¬
flüchtigt; das Zentrum treibt mit seinen
Prinzipien Handel und hat ausschließlich
praktische Interessen; die Universität steht im
Banne der engherzigsten Unduldsamkeit und
geht in mechanischer Arbeit, in Gelehrsamkeit
und Nachbeterei auf, ohne ein selbständiges
Urteil und Persönlichkeiten auskommen zu
lassen; die Industrie, die sonst jede Störung des
Marktes vermeidet, war von dem Ausschwung
nach 1870 besessen und hoffte durch eine neue
Razzia die Kassen wiederum zu fülle»; die
Sozialdemokratie war eine rein dekorative
Erscheinung, im Grunde von dem gleichen
nationalen Hochmut wie alle anderen Volks¬
schichten beseelt.

So hatten die Altdeutschen leichte Arbeit.
Ihre sechs Direktoren waren seit langem die
eigentlichen Leiter der deutschen auswärtigen
Politik. Die niederen Leidenschaften des
Volkes waren erwacht. Die rechtmäßigen
Erben Goethes hatten aus dem vergifteten
Kelch getrunken und vertierten.

Der Friede, den die Verbündeten Deutsch¬
land auferlegen werden, nutz folgendes
Ergebnis haben: Zerstücklung des deutschen

[Spaltenumbruch]

Reiches und Schaffung neuer Staaten nach
dem Nationalitätenprinzip.

Mit diesem Bilde, das der Universitäts-
professor von uns entwirft, bekennt er sich
ganz und gar zur typischen französischen
Grundauffassung. Im einzelnen versucht er
den wichtigsten Glaubensartikel der Franzosen
— die Deutschen sind an allem schuld —
durch scheinbare historische und psychologische
Tatsachen zu stützen; seine Tatsachen sind
wieder nur Erzeugnisse seiner nationalen
Grundauffassung. So dreht er sich ständig
im Kreis herum. Er setzt immer voraus,
was er erst beweisen will. Entbehrt sein
Buch also des wissenschaftlichen Ernstes, so
wird es dadurch nicht objektiver, daß er ab
und zu phantastische Behauptungen hinein¬
wirft. Er stellt fest, daß bei den Deutschen
das Gefühl vorherrscht, und schreibt dem
Gefühl eine unbewiesene inauisitatorische und
gewalthaberische Eigenschaft zu. Durch das
ganze Pamphlet geht dabei ein offenes und
bewußtes Streben nach UnWahrhaftigkeit.
So an allen Stellen, wo er die Friedensliebe
Rußlands, Serbiens und Frankreichs lobt.
Er stellt den elenden französisch-russischen
Handel (Geld gegen Soldaten) als eine
„Liebesheirat" hin, obwohl er wissen muß,
wie wenig volkstümlich er anfangs im franzö¬
sischen Volke war und wieviel Rubel in die
französischen Redaktionen gerollt sind, um
aus den französischen Sparern die zwanzig
Milliarden herauszupressen. Er setzt Frank¬
reich einen billigen Heiligenschein aufs Haupt,
wenn er es den gegebenen und ewigen Hüter
des Nationalilätspnnzips nennt. Und ein
paar Seiten weiter gibt er zu: dieses Prinzip
muß zugunsten höherer Erwägungen zurück¬
treten, wenn es gilt Deutschland zu schwächen.
Mit diesem einen Satz widerlegt er sein
ganzes Buch.

[Ende Spaltensatz]

Und trotz alledem ist dieser Versuch einer
zynischen Geschichtsklitterung lehrreich für uns:
das französische Volk hat auch die geistigen
Verbindnngsbrücken in die Luft gesprengt und
die gegenseitige Verständigung für lange Zeit
Dr. Lritz Roepke unmöglich gemacht.




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[0327] Maßgebliches und Unmaßgebliches fache, daß das ganze deutsche Volk allmählich vergiftet worden ist. Durch die Freiheitskriege wurde der politische Fanatismus und die Anbetung der rohen Kraft großgezogen. Die deutschen Gelehrten logen und falschem, um die Überlegenheit Preußen»Deutschlands zu beweisen, und predigten ehren Volke den Kultus der Kraft und die Heiligkeit des Dieb¬ stahls. Daß diese Lehren vom Publikum ständig so geduldig hingenommen wurden, liegt an dem angeborenen Mangel jeder schöpferischen Phantasie. Deutschland hat geistig immer nur von anderen geborgt. So war es möglich, daß die allmähliche, er¬ drückende Propaganda, der Wille zum Herrschen und der Machthunger die Seele des teuschen Volkes vergiftete. Leider hat keine der friedlichen Mächte des Reiches dieser Begierde genug Widerstand entgegensetzen können. Der Pariikularismus, auf den die Franzosen soviel Hoffnung setzten, hat sich in der preußischen Vorherrschaft ver¬ flüchtigt; das Zentrum treibt mit seinen Prinzipien Handel und hat ausschließlich praktische Interessen; die Universität steht im Banne der engherzigsten Unduldsamkeit und geht in mechanischer Arbeit, in Gelehrsamkeit und Nachbeterei auf, ohne ein selbständiges Urteil und Persönlichkeiten auskommen zu lassen; die Industrie, die sonst jede Störung des Marktes vermeidet, war von dem Ausschwung nach 1870 besessen und hoffte durch eine neue Razzia die Kassen wiederum zu fülle»; die Sozialdemokratie war eine rein dekorative Erscheinung, im Grunde von dem gleichen nationalen Hochmut wie alle anderen Volks¬ schichten beseelt. So hatten die Altdeutschen leichte Arbeit. Ihre sechs Direktoren waren seit langem die eigentlichen Leiter der deutschen auswärtigen Politik. Die niederen Leidenschaften des Volkes waren erwacht. Die rechtmäßigen Erben Goethes hatten aus dem vergifteten Kelch getrunken und vertierten. Der Friede, den die Verbündeten Deutsch¬ land auferlegen werden, nutz folgendes Ergebnis haben: Zerstücklung des deutschen Reiches und Schaffung neuer Staaten nach dem Nationalitätenprinzip. Mit diesem Bilde, das der Universitäts- professor von uns entwirft, bekennt er sich ganz und gar zur typischen französischen Grundauffassung. Im einzelnen versucht er den wichtigsten Glaubensartikel der Franzosen — die Deutschen sind an allem schuld — durch scheinbare historische und psychologische Tatsachen zu stützen; seine Tatsachen sind wieder nur Erzeugnisse seiner nationalen Grundauffassung. So dreht er sich ständig im Kreis herum. Er setzt immer voraus, was er erst beweisen will. Entbehrt sein Buch also des wissenschaftlichen Ernstes, so wird es dadurch nicht objektiver, daß er ab und zu phantastische Behauptungen hinein¬ wirft. Er stellt fest, daß bei den Deutschen das Gefühl vorherrscht, und schreibt dem Gefühl eine unbewiesene inauisitatorische und gewalthaberische Eigenschaft zu. Durch das ganze Pamphlet geht dabei ein offenes und bewußtes Streben nach UnWahrhaftigkeit. So an allen Stellen, wo er die Friedensliebe Rußlands, Serbiens und Frankreichs lobt. Er stellt den elenden französisch-russischen Handel (Geld gegen Soldaten) als eine „Liebesheirat" hin, obwohl er wissen muß, wie wenig volkstümlich er anfangs im franzö¬ sischen Volke war und wieviel Rubel in die französischen Redaktionen gerollt sind, um aus den französischen Sparern die zwanzig Milliarden herauszupressen. Er setzt Frank¬ reich einen billigen Heiligenschein aufs Haupt, wenn er es den gegebenen und ewigen Hüter des Nationalilätspnnzips nennt. Und ein paar Seiten weiter gibt er zu: dieses Prinzip muß zugunsten höherer Erwägungen zurück¬ treten, wenn es gilt Deutschland zu schwächen. Mit diesem einen Satz widerlegt er sein ganzes Buch. Und trotz alledem ist dieser Versuch einer zynischen Geschichtsklitterung lehrreich für uns: das französische Volk hat auch die geistigen Verbindnngsbrücken in die Luft gesprengt und die gegenseitige Verständigung für lange Zeit Dr. Lritz Roepke unmöglich gemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/327>, abgerufen am 29.04.2024.