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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und die belgische Neutralität in ethischer Beleuchtung

eine instinktive Sicherheit, eine innere Überzeugung stützen. In solchen Lebens¬
lagen schlägt dann die genial-freie Hand, der Stimme des Gewissens folgend,
hart zu, selbst auf die Gefahr hin, ein Unrecht zu begehen. Das Geniale liegt
dann eben darin, daß man die ehrliche innere Überzeugung hat, so handeln
zu müssen, "man tut eben das rechte und läßt die Welt reden" (H. Se. Cham-
berlain).

Der Versasser berührt zum Schluß noch die viel besprochene Frage, die
in den Rahmen dieser vorwiegend ethischen Betrachtung zu passen scheint, ob
dieser Krieg überhaupt sittlich berechtigt ist, und ob speziell dieser Krieg für
Deutschland eine sittliche Pflicht war. Hierbei streift er mit geistvollen und
beachtenswerten kritischen Bemerkungen das Gebiet der Ethik des Krieges
im allgemeinen, um dann zur Frage der ethischen Beurteilung des gegen¬
wärtigen Krieges mit besonderer Betonung der Rolle Deutschlands, und damit
zugleich zu der Frage der eigentlichen tieferen Ursachen des Konfliktes überhaupt
überzugehen. Den Ausführungen, die von einer reichen Kenntnis des Ver¬
fassers auf dem Gebiete der großen Politik der allerjüngsten Zeit und der
Zeit der "Vorgeschichte", und von einem ebenso tiefen Verständnis für die
politischen Wirklichkeiten wie für die sittlichen Triebkräfte im Leben der Staaten
zeugen, können wir hier nur einige Worte widmen. Es genüge hervorzuheben,
daß auch Labberton in England und in der durch dieses eingefädelten Ententen¬
politik den eigentlichen Angreifer, wiewohl nicht in diplomatischem, so doch im
politischen Sinne sieht, wenn auch in biologischer Beziehung Deutschland als
der angreifende Faktor erscheinen mag, nämlich durch seine zunehmende wirt¬
schaftlichen Entfaltung und Macht. In jedem Falle, ob nun Angreifer aus
gutem Recht oder im Irrtum oder betrogen, der deutsche Wille zum Kriege
ist nicht als unsittlich zu bezeichnen. Sollte Deutschland nur um des Friedens
willen klein beigeben, wäre es sittlich gewesen, zu weichen, wo die Ver¬
wirklichung eines sittlichen Ideals es direkt gebot, diesem Volke mit seiner
hohen ethischen Berufung und Veranlagung, mit seinem Reichtum an leben¬
spendender Kraft Raum und Geltung zu verschaffen? Es wäre Klostermoral
gewesen, die Moral unwahren Christentums. Die biologische Angreiferschaft
erhält hier eben den tieferen Charakter der sittlichen Angreiferschaft. Echte
Sittlichkeit ist immer expansiv, sie muß und darf sich ausleben, sie kann nicht
"Amboß sein"; das sittlich Wertvolle als das Positive muß früher oder später
dem sittlich Wertlosen, dem Negativen, gegenüber von selbst und unbewußt in die
Rolle des Angreifers kommen.

Das sittliche Recht, so schließt das Buch, kann in der Welt nie unter¬
gehen, vergehen muß nur der eitle Schein. Auch der deutsche Geist, der heute
gegen eine gewaltige Macht der Feinde ringt, er kann nicht unterliegen, aus
der Nacht der Leiden wird er nur geläutert hervorgehen und zum Segen des
Guten neu schaffen zu seiner Zeit -- "das schnellste Tier, das euch trägt zur
Vollkommenheit, ist Leiden" (Eckhart) --.


Deutschland und die belgische Neutralität in ethischer Beleuchtung

eine instinktive Sicherheit, eine innere Überzeugung stützen. In solchen Lebens¬
lagen schlägt dann die genial-freie Hand, der Stimme des Gewissens folgend,
hart zu, selbst auf die Gefahr hin, ein Unrecht zu begehen. Das Geniale liegt
dann eben darin, daß man die ehrliche innere Überzeugung hat, so handeln
zu müssen, „man tut eben das rechte und läßt die Welt reden" (H. Se. Cham-
berlain).

Der Versasser berührt zum Schluß noch die viel besprochene Frage, die
in den Rahmen dieser vorwiegend ethischen Betrachtung zu passen scheint, ob
dieser Krieg überhaupt sittlich berechtigt ist, und ob speziell dieser Krieg für
Deutschland eine sittliche Pflicht war. Hierbei streift er mit geistvollen und
beachtenswerten kritischen Bemerkungen das Gebiet der Ethik des Krieges
im allgemeinen, um dann zur Frage der ethischen Beurteilung des gegen¬
wärtigen Krieges mit besonderer Betonung der Rolle Deutschlands, und damit
zugleich zu der Frage der eigentlichen tieferen Ursachen des Konfliktes überhaupt
überzugehen. Den Ausführungen, die von einer reichen Kenntnis des Ver¬
fassers auf dem Gebiete der großen Politik der allerjüngsten Zeit und der
Zeit der „Vorgeschichte", und von einem ebenso tiefen Verständnis für die
politischen Wirklichkeiten wie für die sittlichen Triebkräfte im Leben der Staaten
zeugen, können wir hier nur einige Worte widmen. Es genüge hervorzuheben,
daß auch Labberton in England und in der durch dieses eingefädelten Ententen¬
politik den eigentlichen Angreifer, wiewohl nicht in diplomatischem, so doch im
politischen Sinne sieht, wenn auch in biologischer Beziehung Deutschland als
der angreifende Faktor erscheinen mag, nämlich durch seine zunehmende wirt¬
schaftlichen Entfaltung und Macht. In jedem Falle, ob nun Angreifer aus
gutem Recht oder im Irrtum oder betrogen, der deutsche Wille zum Kriege
ist nicht als unsittlich zu bezeichnen. Sollte Deutschland nur um des Friedens
willen klein beigeben, wäre es sittlich gewesen, zu weichen, wo die Ver¬
wirklichung eines sittlichen Ideals es direkt gebot, diesem Volke mit seiner
hohen ethischen Berufung und Veranlagung, mit seinem Reichtum an leben¬
spendender Kraft Raum und Geltung zu verschaffen? Es wäre Klostermoral
gewesen, die Moral unwahren Christentums. Die biologische Angreiferschaft
erhält hier eben den tieferen Charakter der sittlichen Angreiferschaft. Echte
Sittlichkeit ist immer expansiv, sie muß und darf sich ausleben, sie kann nicht
„Amboß sein"; das sittlich Wertvolle als das Positive muß früher oder später
dem sittlich Wertlosen, dem Negativen, gegenüber von selbst und unbewußt in die
Rolle des Angreifers kommen.

Das sittliche Recht, so schließt das Buch, kann in der Welt nie unter¬
gehen, vergehen muß nur der eitle Schein. Auch der deutsche Geist, der heute
gegen eine gewaltige Macht der Feinde ringt, er kann nicht unterliegen, aus
der Nacht der Leiden wird er nur geläutert hervorgehen und zum Segen des
Guten neu schaffen zu seiner Zeit — „das schnellste Tier, das euch trägt zur
Vollkommenheit, ist Leiden" (Eckhart) —.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/382>, abgerufen am 07.05.2024.