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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Soldatenbriefe

Am ehesten entzieht sich die einzelne Persönlichkeit der gemeinschaftlichen
Sphäre noch bei der Wahl des mitzuteilenden Gegenstandes. Aber auch hier
glaube ich drei immer wiederkehrende Typen zu erkennen, soweit das mir zur
Verfügung stehende Material einen sicheren Schluß zuläßt. Es lagen mir
ungefähr fünfzig Briefe vor. daneben habe ich einiges aus der Sammlung
"Deutsche Feldpostbriefe" (H. Tümmlers Verlag, Chemnitz) und dem in Zeitungen
Veröffentlichten benutzen können; bei der Auswahl der Belege habe ich Wert dmauf
gelegt, daß die Verfasser den verschiedensten sozialen Schichten angehören. Als
Urbild des ersten Typus können die drei Karten gelten, deren Verfasser nach den An¬
gaben der Zeitungen ein ebenso kurz angebundener wie volkstümlicher Feldherr sein
soll: "Wo bleibt denn meine Wäsche?" "Soll ich noch lange auf meine Wäsche
warten?" "Ja, zum Donnerwetter, wird endlich meine Wäsche kommen oder
nicht?" Der Inhalt dieser Mitteilungen geht kaum über die persönlichen Be¬
dürfnisse des Schreibers hinaus. Oft könnte man aus solchen Karten gar nicht
herauslesen, daß Krieg im Lande ist. Ein Kriegsfreiwilliger schreibt nach seinem
Eintreffen auf dem Kriegsschauplatz: "Meine Lieben! Gestern langten wir in
Z. an und wurden mit Kanonendonner empfangen. Wenn Ihr mir einen
Gefallen tun wollt, dann könnt Ihr mir bitte Kakao, Zucker. Zeitungen schicken.
Herzliche Grüße---." Der zweite Typus schildert mehr oder weniger
eingehend persönliche Erlebnisse. Sie sind meistens durch den Drang sich aus¬
zusprechen veranlaßt, das wohlige Gefühl des Sicherleichterns, wenn das
Geschaute und Erlebte zu stark und schwer auf den einzelnen einwirkt. Selbst
Fremden gegenüber ist der Soldat oft zutraulicher und offener als zum
Kameraden, sobald der Brief nur in die Heimat geht: ". . . und ebenso freut
man sich, wenn man eine Nachricht senden kann." Diese Briefe bieten natürlich
nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Kriege gemäß dem beschränkten Gesichts¬
kreis, mit dem sich der Soldat im modernen Kriege begnügen muß. Sie malen
uns den Schützengraben, führen uns auf den Ausguck, in Scheunen und Schlösser,
lassen uns an Siegesfreude teilnehmen, an Sturmangriffen und Trauer über
den Verlust von Kameraden. Den dritten Typus endlich würden objektive
Berichte vertreten. Wir können sie nur von Offizieren oder von solchen Ein¬
sichtigen verlangen, die nach Erfahren aller wesentlichen Einwirkungen imstande
sind, den Gang der Operationen unter Hintansetzung ihrer eigenen Persönlichkeit
wieder aufleben zu lassen.

Um so mehr können wir trotz des so verschiedenen Bildungsgrades unserer
Soldaten von einem einheitlichen Stil sprechen. Ich meine nicht die größere oder
geringere Gewandtheit, seine Gedanken zu klarer Gestaltung zu bringen, sondern
die absichtliche Anwendung syntaktischer Verbindungen, die Vorliebe für
bestimmte Wortklassen usw., kurz, die bewußte sprachliche Darstellung. Der
knappe militärische Stil ist merkwürdigerweise verhältnismäßig selten, zum Beispiel:
"Um 12 Uhr Mondschein, besseres Wetter, Granatendonner. Plötzlich Nachricht:
unsere Bagage überfallen, eine Kompagnie zurück, das Dorf niedergebrannt.


Deutsche Soldatenbriefe

Am ehesten entzieht sich die einzelne Persönlichkeit der gemeinschaftlichen
Sphäre noch bei der Wahl des mitzuteilenden Gegenstandes. Aber auch hier
glaube ich drei immer wiederkehrende Typen zu erkennen, soweit das mir zur
Verfügung stehende Material einen sicheren Schluß zuläßt. Es lagen mir
ungefähr fünfzig Briefe vor. daneben habe ich einiges aus der Sammlung
„Deutsche Feldpostbriefe" (H. Tümmlers Verlag, Chemnitz) und dem in Zeitungen
Veröffentlichten benutzen können; bei der Auswahl der Belege habe ich Wert dmauf
gelegt, daß die Verfasser den verschiedensten sozialen Schichten angehören. Als
Urbild des ersten Typus können die drei Karten gelten, deren Verfasser nach den An¬
gaben der Zeitungen ein ebenso kurz angebundener wie volkstümlicher Feldherr sein
soll: „Wo bleibt denn meine Wäsche?" „Soll ich noch lange auf meine Wäsche
warten?" „Ja, zum Donnerwetter, wird endlich meine Wäsche kommen oder
nicht?" Der Inhalt dieser Mitteilungen geht kaum über die persönlichen Be¬
dürfnisse des Schreibers hinaus. Oft könnte man aus solchen Karten gar nicht
herauslesen, daß Krieg im Lande ist. Ein Kriegsfreiwilliger schreibt nach seinem
Eintreffen auf dem Kriegsschauplatz: „Meine Lieben! Gestern langten wir in
Z. an und wurden mit Kanonendonner empfangen. Wenn Ihr mir einen
Gefallen tun wollt, dann könnt Ihr mir bitte Kakao, Zucker. Zeitungen schicken.
Herzliche Grüße---." Der zweite Typus schildert mehr oder weniger
eingehend persönliche Erlebnisse. Sie sind meistens durch den Drang sich aus¬
zusprechen veranlaßt, das wohlige Gefühl des Sicherleichterns, wenn das
Geschaute und Erlebte zu stark und schwer auf den einzelnen einwirkt. Selbst
Fremden gegenüber ist der Soldat oft zutraulicher und offener als zum
Kameraden, sobald der Brief nur in die Heimat geht: „. . . und ebenso freut
man sich, wenn man eine Nachricht senden kann." Diese Briefe bieten natürlich
nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Kriege gemäß dem beschränkten Gesichts¬
kreis, mit dem sich der Soldat im modernen Kriege begnügen muß. Sie malen
uns den Schützengraben, führen uns auf den Ausguck, in Scheunen und Schlösser,
lassen uns an Siegesfreude teilnehmen, an Sturmangriffen und Trauer über
den Verlust von Kameraden. Den dritten Typus endlich würden objektive
Berichte vertreten. Wir können sie nur von Offizieren oder von solchen Ein¬
sichtigen verlangen, die nach Erfahren aller wesentlichen Einwirkungen imstande
sind, den Gang der Operationen unter Hintansetzung ihrer eigenen Persönlichkeit
wieder aufleben zu lassen.

Um so mehr können wir trotz des so verschiedenen Bildungsgrades unserer
Soldaten von einem einheitlichen Stil sprechen. Ich meine nicht die größere oder
geringere Gewandtheit, seine Gedanken zu klarer Gestaltung zu bringen, sondern
die absichtliche Anwendung syntaktischer Verbindungen, die Vorliebe für
bestimmte Wortklassen usw., kurz, die bewußte sprachliche Darstellung. Der
knappe militärische Stil ist merkwürdigerweise verhältnismäßig selten, zum Beispiel:
„Um 12 Uhr Mondschein, besseres Wetter, Granatendonner. Plötzlich Nachricht:
unsere Bagage überfallen, eine Kompagnie zurück, das Dorf niedergebrannt.


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[0039] Deutsche Soldatenbriefe Am ehesten entzieht sich die einzelne Persönlichkeit der gemeinschaftlichen Sphäre noch bei der Wahl des mitzuteilenden Gegenstandes. Aber auch hier glaube ich drei immer wiederkehrende Typen zu erkennen, soweit das mir zur Verfügung stehende Material einen sicheren Schluß zuläßt. Es lagen mir ungefähr fünfzig Briefe vor. daneben habe ich einiges aus der Sammlung „Deutsche Feldpostbriefe" (H. Tümmlers Verlag, Chemnitz) und dem in Zeitungen Veröffentlichten benutzen können; bei der Auswahl der Belege habe ich Wert dmauf gelegt, daß die Verfasser den verschiedensten sozialen Schichten angehören. Als Urbild des ersten Typus können die drei Karten gelten, deren Verfasser nach den An¬ gaben der Zeitungen ein ebenso kurz angebundener wie volkstümlicher Feldherr sein soll: „Wo bleibt denn meine Wäsche?" „Soll ich noch lange auf meine Wäsche warten?" „Ja, zum Donnerwetter, wird endlich meine Wäsche kommen oder nicht?" Der Inhalt dieser Mitteilungen geht kaum über die persönlichen Be¬ dürfnisse des Schreibers hinaus. Oft könnte man aus solchen Karten gar nicht herauslesen, daß Krieg im Lande ist. Ein Kriegsfreiwilliger schreibt nach seinem Eintreffen auf dem Kriegsschauplatz: „Meine Lieben! Gestern langten wir in Z. an und wurden mit Kanonendonner empfangen. Wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, dann könnt Ihr mir bitte Kakao, Zucker. Zeitungen schicken. Herzliche Grüße---." Der zweite Typus schildert mehr oder weniger eingehend persönliche Erlebnisse. Sie sind meistens durch den Drang sich aus¬ zusprechen veranlaßt, das wohlige Gefühl des Sicherleichterns, wenn das Geschaute und Erlebte zu stark und schwer auf den einzelnen einwirkt. Selbst Fremden gegenüber ist der Soldat oft zutraulicher und offener als zum Kameraden, sobald der Brief nur in die Heimat geht: „. . . und ebenso freut man sich, wenn man eine Nachricht senden kann." Diese Briefe bieten natürlich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Kriege gemäß dem beschränkten Gesichts¬ kreis, mit dem sich der Soldat im modernen Kriege begnügen muß. Sie malen uns den Schützengraben, führen uns auf den Ausguck, in Scheunen und Schlösser, lassen uns an Siegesfreude teilnehmen, an Sturmangriffen und Trauer über den Verlust von Kameraden. Den dritten Typus endlich würden objektive Berichte vertreten. Wir können sie nur von Offizieren oder von solchen Ein¬ sichtigen verlangen, die nach Erfahren aller wesentlichen Einwirkungen imstande sind, den Gang der Operationen unter Hintansetzung ihrer eigenen Persönlichkeit wieder aufleben zu lassen. Um so mehr können wir trotz des so verschiedenen Bildungsgrades unserer Soldaten von einem einheitlichen Stil sprechen. Ich meine nicht die größere oder geringere Gewandtheit, seine Gedanken zu klarer Gestaltung zu bringen, sondern die absichtliche Anwendung syntaktischer Verbindungen, die Vorliebe für bestimmte Wortklassen usw., kurz, die bewußte sprachliche Darstellung. Der knappe militärische Stil ist merkwürdigerweise verhältnismäßig selten, zum Beispiel: „Um 12 Uhr Mondschein, besseres Wetter, Granatendonner. Plötzlich Nachricht: unsere Bagage überfallen, eine Kompagnie zurück, das Dorf niedergebrannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/39>, abgerufen am 28.04.2024.