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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Unsere nächste Handelspolitik

zweifelhaft erscheinen, ob bei dem von der Regierung angedeuteten bescheidenem
Maß von Vorbereitungen unsere Interessen wirklich ausreichend wahrgenommen
werden könnten. Es müßte besonders beachtet werden, daß die Langfristigkeit
unserer Handelspolitik, die ein besonderes wertvolles Stück darstellte, in Gefahr
gebracht werden würde, falls die Gegenparteien, wozu sie berechtigt sein würden,
jeden Handelsvertrag immer nur auf ein weiteres Jahr in Gültigkeit bestehen lassen
wollten. Das würde zu bedenklichen Konjunkturschwankungen und Unsicher¬
heiten sonstiger Art führen. Um unseren handelspolisischen Himmel nicht wolkenlos
erscheinen zu lassen, kam auch noch die russische Drohung hinzu, die unser
Einfuhrscheinsystem mit der Sperrung der russischen Wanderarbeiter beantworten
wollte. Man hat aber dieser Drohung eine übermäßige Bedeutung nicht bei¬
gelegt, weil das geringe Quantum von Roggen, das mit Hilfe der Einfuhr-
fcheine nach Rußland ausgeführt wird, in keinem Verhältnis zu der gewaltigen
Masse von landwirtschaftlichen Erzeugnissen steht (über 900 Millionen Mark),
welche wir aus Rußland jährlich bezogen haben. Auch das handelspolitische
Verhältnis zu den Vereinigten Staaten war in hohem Maße verbesserungsbe¬
dürftig und schließlich bot auch die Neuregelung der Handelsbeziehungen zu
Österreich-Ungarn einige Schwierigkeiten, was diejenigen Leute bei uns uicht
übersehen sollten, welche ziemlich leichthin von der mitteleuropäischen Zollunion
sprechen. Durch alle diese Vorarbeiten ist, wie gesagt, vorläufig ein Strich gemacht
worden. Die Weltgeschichte hat sich mit anderen großen Aufgaben befaßt.

Immerhin stehen wir auch gerade infolge des Krieges voraussichtlich vor
großen handelspolitischen Umgestaltungen, ganz gleich, ob Deutschland auf der
ganzen Linie den Frieden diktieren kann oder zu weitgehenden Kompromissen
seine Hilfe nehmen muß. Da werden zunächst bei Friedensschluß unsere Handels¬
beziehungen zu unseren Feinden gründlich erneuert werden. Es ist doch gerade
die Eigenart dieses Krieges, daß an ihm außer den Vereinigten Staaten und
den Niederlanden alle großen Handelsmächte beteiligt sind. Der Außenhandel
der' am Kriege beteiligten Mächte umfaßt einen Gesamtwert von rund
80 Milliarden Mark, während auf alle übrigen Staaten rund 30 Milliarden
kommen, wovon der Löwenanteil mit annähernd 13 Milliarden auf die Union
fällt. Man sagt also nicht zu viel, wenn man diesen Weltkrieg als das große
Ringen der Handelsmächte miteinander bezeichnet. Die treibende Kraft der
Kriegswirren, Großbritannien, geht ja auch auf nichts anderes hinaus, als auf
Vernichtung und Ausschaltung des deutschen Wettbewerbs. Demgemäß wird,
wie die Friedensverhandlungen überhaupt, die Neugestaltung der Handels¬
politik ein sehr schwieriges und langwieriges Kapitel bilden. Und wenn wir
daher nicht mit sehr klaren und möglichst einfachen Forderungen auf den
Plan treten, so wird der Wunsch unserer Feinde, die Friedensverhandlungen
möglichst in die Länge zu ziehen, leicht in Erfüllung gehen können.

Die Zeit ist noch nicht gekommen, alle Einzelforderungen in der Öffent¬
lichkeit zu besprechen. Es muß dabei unseren großen Wirtschaftsorganisationen


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Unsere nächste Handelspolitik

zweifelhaft erscheinen, ob bei dem von der Regierung angedeuteten bescheidenem
Maß von Vorbereitungen unsere Interessen wirklich ausreichend wahrgenommen
werden könnten. Es müßte besonders beachtet werden, daß die Langfristigkeit
unserer Handelspolitik, die ein besonderes wertvolles Stück darstellte, in Gefahr
gebracht werden würde, falls die Gegenparteien, wozu sie berechtigt sein würden,
jeden Handelsvertrag immer nur auf ein weiteres Jahr in Gültigkeit bestehen lassen
wollten. Das würde zu bedenklichen Konjunkturschwankungen und Unsicher¬
heiten sonstiger Art führen. Um unseren handelspolisischen Himmel nicht wolkenlos
erscheinen zu lassen, kam auch noch die russische Drohung hinzu, die unser
Einfuhrscheinsystem mit der Sperrung der russischen Wanderarbeiter beantworten
wollte. Man hat aber dieser Drohung eine übermäßige Bedeutung nicht bei¬
gelegt, weil das geringe Quantum von Roggen, das mit Hilfe der Einfuhr-
fcheine nach Rußland ausgeführt wird, in keinem Verhältnis zu der gewaltigen
Masse von landwirtschaftlichen Erzeugnissen steht (über 900 Millionen Mark),
welche wir aus Rußland jährlich bezogen haben. Auch das handelspolitische
Verhältnis zu den Vereinigten Staaten war in hohem Maße verbesserungsbe¬
dürftig und schließlich bot auch die Neuregelung der Handelsbeziehungen zu
Österreich-Ungarn einige Schwierigkeiten, was diejenigen Leute bei uns uicht
übersehen sollten, welche ziemlich leichthin von der mitteleuropäischen Zollunion
sprechen. Durch alle diese Vorarbeiten ist, wie gesagt, vorläufig ein Strich gemacht
worden. Die Weltgeschichte hat sich mit anderen großen Aufgaben befaßt.

Immerhin stehen wir auch gerade infolge des Krieges voraussichtlich vor
großen handelspolitischen Umgestaltungen, ganz gleich, ob Deutschland auf der
ganzen Linie den Frieden diktieren kann oder zu weitgehenden Kompromissen
seine Hilfe nehmen muß. Da werden zunächst bei Friedensschluß unsere Handels¬
beziehungen zu unseren Feinden gründlich erneuert werden. Es ist doch gerade
die Eigenart dieses Krieges, daß an ihm außer den Vereinigten Staaten und
den Niederlanden alle großen Handelsmächte beteiligt sind. Der Außenhandel
der' am Kriege beteiligten Mächte umfaßt einen Gesamtwert von rund
80 Milliarden Mark, während auf alle übrigen Staaten rund 30 Milliarden
kommen, wovon der Löwenanteil mit annähernd 13 Milliarden auf die Union
fällt. Man sagt also nicht zu viel, wenn man diesen Weltkrieg als das große
Ringen der Handelsmächte miteinander bezeichnet. Die treibende Kraft der
Kriegswirren, Großbritannien, geht ja auch auf nichts anderes hinaus, als auf
Vernichtung und Ausschaltung des deutschen Wettbewerbs. Demgemäß wird,
wie die Friedensverhandlungen überhaupt, die Neugestaltung der Handels¬
politik ein sehr schwieriges und langwieriges Kapitel bilden. Und wenn wir
daher nicht mit sehr klaren und möglichst einfachen Forderungen auf den
Plan treten, so wird der Wunsch unserer Feinde, die Friedensverhandlungen
möglichst in die Länge zu ziehen, leicht in Erfüllung gehen können.

Die Zeit ist noch nicht gekommen, alle Einzelforderungen in der Öffent¬
lichkeit zu besprechen. Es muß dabei unseren großen Wirtschaftsorganisationen


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[0063] Unsere nächste Handelspolitik zweifelhaft erscheinen, ob bei dem von der Regierung angedeuteten bescheidenem Maß von Vorbereitungen unsere Interessen wirklich ausreichend wahrgenommen werden könnten. Es müßte besonders beachtet werden, daß die Langfristigkeit unserer Handelspolitik, die ein besonderes wertvolles Stück darstellte, in Gefahr gebracht werden würde, falls die Gegenparteien, wozu sie berechtigt sein würden, jeden Handelsvertrag immer nur auf ein weiteres Jahr in Gültigkeit bestehen lassen wollten. Das würde zu bedenklichen Konjunkturschwankungen und Unsicher¬ heiten sonstiger Art führen. Um unseren handelspolisischen Himmel nicht wolkenlos erscheinen zu lassen, kam auch noch die russische Drohung hinzu, die unser Einfuhrscheinsystem mit der Sperrung der russischen Wanderarbeiter beantworten wollte. Man hat aber dieser Drohung eine übermäßige Bedeutung nicht bei¬ gelegt, weil das geringe Quantum von Roggen, das mit Hilfe der Einfuhr- fcheine nach Rußland ausgeführt wird, in keinem Verhältnis zu der gewaltigen Masse von landwirtschaftlichen Erzeugnissen steht (über 900 Millionen Mark), welche wir aus Rußland jährlich bezogen haben. Auch das handelspolitische Verhältnis zu den Vereinigten Staaten war in hohem Maße verbesserungsbe¬ dürftig und schließlich bot auch die Neuregelung der Handelsbeziehungen zu Österreich-Ungarn einige Schwierigkeiten, was diejenigen Leute bei uns uicht übersehen sollten, welche ziemlich leichthin von der mitteleuropäischen Zollunion sprechen. Durch alle diese Vorarbeiten ist, wie gesagt, vorläufig ein Strich gemacht worden. Die Weltgeschichte hat sich mit anderen großen Aufgaben befaßt. Immerhin stehen wir auch gerade infolge des Krieges voraussichtlich vor großen handelspolitischen Umgestaltungen, ganz gleich, ob Deutschland auf der ganzen Linie den Frieden diktieren kann oder zu weitgehenden Kompromissen seine Hilfe nehmen muß. Da werden zunächst bei Friedensschluß unsere Handels¬ beziehungen zu unseren Feinden gründlich erneuert werden. Es ist doch gerade die Eigenart dieses Krieges, daß an ihm außer den Vereinigten Staaten und den Niederlanden alle großen Handelsmächte beteiligt sind. Der Außenhandel der' am Kriege beteiligten Mächte umfaßt einen Gesamtwert von rund 80 Milliarden Mark, während auf alle übrigen Staaten rund 30 Milliarden kommen, wovon der Löwenanteil mit annähernd 13 Milliarden auf die Union fällt. Man sagt also nicht zu viel, wenn man diesen Weltkrieg als das große Ringen der Handelsmächte miteinander bezeichnet. Die treibende Kraft der Kriegswirren, Großbritannien, geht ja auch auf nichts anderes hinaus, als auf Vernichtung und Ausschaltung des deutschen Wettbewerbs. Demgemäß wird, wie die Friedensverhandlungen überhaupt, die Neugestaltung der Handels¬ politik ein sehr schwieriges und langwieriges Kapitel bilden. Und wenn wir daher nicht mit sehr klaren und möglichst einfachen Forderungen auf den Plan treten, so wird der Wunsch unserer Feinde, die Friedensverhandlungen möglichst in die Länge zu ziehen, leicht in Erfüllung gehen können. Die Zeit ist noch nicht gekommen, alle Einzelforderungen in der Öffent¬ lichkeit zu besprechen. Es muß dabei unseren großen Wirtschaftsorganisationen 4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/63>, abgerufen am 26.05.2024.