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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englands Kampf gegen den "Militarismus"

Pflicht des Deutschen. Trotzdem bot Deutschland keinen Anlaß für den Verdacht
einer imperialistischen Politik, für den Willen, von seiner Stärke rücksichtslosen
Gebrauch machen zu wollen. Es wollte nur seinen ihm gebührenden "Platz an
der Sonne" einnehmen. Aber dieser mußte entsprechend seinem Wachstum auch
wachsen und eine ganz andere Bedeutung gewinnen. Das Leben der Völker
läßt sich nicht in einem Rechenexempel auflösen, ebensowenig erschöpfen durch
eine noch so umfangreiche Statistik. Über die Kräfte, die für dieses von
richtunggebender Bedeutung sind, hat sich Ranke einmal in die Tiefe gehend,
geäußert. "Das Nationalbewußtsein eines großen Volkes," so führte er aus,
"fordert eine angemessene Stellung in Europa. Die auswärtigen Verhältnisse
bilden ein Reich nicht der Konvenienz, sondern der wesentlichen Macht; und das
Ansehen eines Staates wird immer dem Grade entsprechen, auf welchem die
Entwicklung seiner inneren Kräfte steht. Eine jede Nation wird es empfinden,
wenn sie sich nicht an der gebührenden Stelle erblickt." Den Beweis für die
Richtigkeit dieser Behauptung seines größten Geschichtsschreibers hat das deutsche
Volk in den letzten Jahren mehrfach selbst geführt. Wie brauste nicht der
Unwille auf, wenn es der Regierung nicht gelang, in der auswärtigen Politik
sein Verlangen nach noch mehr Geltung durchzusetzen. Nicht weniger energisch
drückt sich dieses aus in der allgemeinen, alle Volksklassen beherrschenden
Stimmung, die auch die ganz links stehenden Parteien zwang, jeder von der
Reichsleitung geforderten Stärkung der Wehrmacht zuzustimmen.

Dieses Deutschland, das alle anderen Staaten des Kontinents an Zahl,
c>u Reichtum, an militärischen Machtmitteln zu Wasser und zu Lande weit
übertraf, drohte das europäische Gleichgewicht völlig aufzuheben und zwar ohne
eine Gewalttat, lediglich durch sein in keiner Weise zu hinderndes Wachstum.
Darin erblickte England die schwerste Gefährdung seiner Weltmacht. Die Rivalität
Deutschlands in Handel und Industrie hätte die britischen Staatsmänner schwerlich
ernstlich beunruhigt, denn dieser ließ sich in friedlicher Weise durch Anspannung
aller Kräfte Englands, auch der diplomatischen, erfolgreich begegnen. Aber den
ungeheuren militärischen Machtmitteln hatte England nichts entgegenzusetzen,
was diese paralysierte, um so weniger als sie nach den in Deutschland geltenden
Grundsätzen nicht auf einem bestimmten Höhestand bleiben durften, sondern mit
dem Wachstum der Bevölkerung Schritt halten mußten. Hier war ein Staat,
der jeden Augenblick, da es ihm gut dünkte, seine gewaltige Macht in die
Wagschale werfen konnte, wenn es seine Interessen erheischten oder es zu
erheischen schienen. Was war zu tun? Beide Völker, beide Regierungen haben
nicht ohne zeitweilig? Erfolge ehrliche Versuche gemacht sich zu verständigen,
gerade als wenn durch Worte und Verträge die Existenz von ganze Völker
in Mitleidenschaft ziehende Fragen aus der Welt geschafft werden könnten. Eine
Einigung konnte immer nur eine zeitweilige sein, denn um Englands Polizist
auf dem Kontinent zu sein, war Deutschland schon zu mächtig und von einem
viel zu großen Lebensdrang erfüllt. In irgendeiner Weise mußte England zu


Englands Kampf gegen den „Militarismus"

Pflicht des Deutschen. Trotzdem bot Deutschland keinen Anlaß für den Verdacht
einer imperialistischen Politik, für den Willen, von seiner Stärke rücksichtslosen
Gebrauch machen zu wollen. Es wollte nur seinen ihm gebührenden „Platz an
der Sonne" einnehmen. Aber dieser mußte entsprechend seinem Wachstum auch
wachsen und eine ganz andere Bedeutung gewinnen. Das Leben der Völker
läßt sich nicht in einem Rechenexempel auflösen, ebensowenig erschöpfen durch
eine noch so umfangreiche Statistik. Über die Kräfte, die für dieses von
richtunggebender Bedeutung sind, hat sich Ranke einmal in die Tiefe gehend,
geäußert. „Das Nationalbewußtsein eines großen Volkes," so führte er aus,
„fordert eine angemessene Stellung in Europa. Die auswärtigen Verhältnisse
bilden ein Reich nicht der Konvenienz, sondern der wesentlichen Macht; und das
Ansehen eines Staates wird immer dem Grade entsprechen, auf welchem die
Entwicklung seiner inneren Kräfte steht. Eine jede Nation wird es empfinden,
wenn sie sich nicht an der gebührenden Stelle erblickt." Den Beweis für die
Richtigkeit dieser Behauptung seines größten Geschichtsschreibers hat das deutsche
Volk in den letzten Jahren mehrfach selbst geführt. Wie brauste nicht der
Unwille auf, wenn es der Regierung nicht gelang, in der auswärtigen Politik
sein Verlangen nach noch mehr Geltung durchzusetzen. Nicht weniger energisch
drückt sich dieses aus in der allgemeinen, alle Volksklassen beherrschenden
Stimmung, die auch die ganz links stehenden Parteien zwang, jeder von der
Reichsleitung geforderten Stärkung der Wehrmacht zuzustimmen.

Dieses Deutschland, das alle anderen Staaten des Kontinents an Zahl,
c>u Reichtum, an militärischen Machtmitteln zu Wasser und zu Lande weit
übertraf, drohte das europäische Gleichgewicht völlig aufzuheben und zwar ohne
eine Gewalttat, lediglich durch sein in keiner Weise zu hinderndes Wachstum.
Darin erblickte England die schwerste Gefährdung seiner Weltmacht. Die Rivalität
Deutschlands in Handel und Industrie hätte die britischen Staatsmänner schwerlich
ernstlich beunruhigt, denn dieser ließ sich in friedlicher Weise durch Anspannung
aller Kräfte Englands, auch der diplomatischen, erfolgreich begegnen. Aber den
ungeheuren militärischen Machtmitteln hatte England nichts entgegenzusetzen,
was diese paralysierte, um so weniger als sie nach den in Deutschland geltenden
Grundsätzen nicht auf einem bestimmten Höhestand bleiben durften, sondern mit
dem Wachstum der Bevölkerung Schritt halten mußten. Hier war ein Staat,
der jeden Augenblick, da es ihm gut dünkte, seine gewaltige Macht in die
Wagschale werfen konnte, wenn es seine Interessen erheischten oder es zu
erheischen schienen. Was war zu tun? Beide Völker, beide Regierungen haben
nicht ohne zeitweilig? Erfolge ehrliche Versuche gemacht sich zu verständigen,
gerade als wenn durch Worte und Verträge die Existenz von ganze Völker
in Mitleidenschaft ziehende Fragen aus der Welt geschafft werden könnten. Eine
Einigung konnte immer nur eine zeitweilige sein, denn um Englands Polizist
auf dem Kontinent zu sein, war Deutschland schon zu mächtig und von einem
viel zu großen Lebensdrang erfüllt. In irgendeiner Weise mußte England zu


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[0014] Englands Kampf gegen den „Militarismus" Pflicht des Deutschen. Trotzdem bot Deutschland keinen Anlaß für den Verdacht einer imperialistischen Politik, für den Willen, von seiner Stärke rücksichtslosen Gebrauch machen zu wollen. Es wollte nur seinen ihm gebührenden „Platz an der Sonne" einnehmen. Aber dieser mußte entsprechend seinem Wachstum auch wachsen und eine ganz andere Bedeutung gewinnen. Das Leben der Völker läßt sich nicht in einem Rechenexempel auflösen, ebensowenig erschöpfen durch eine noch so umfangreiche Statistik. Über die Kräfte, die für dieses von richtunggebender Bedeutung sind, hat sich Ranke einmal in die Tiefe gehend, geäußert. „Das Nationalbewußtsein eines großen Volkes," so führte er aus, „fordert eine angemessene Stellung in Europa. Die auswärtigen Verhältnisse bilden ein Reich nicht der Konvenienz, sondern der wesentlichen Macht; und das Ansehen eines Staates wird immer dem Grade entsprechen, auf welchem die Entwicklung seiner inneren Kräfte steht. Eine jede Nation wird es empfinden, wenn sie sich nicht an der gebührenden Stelle erblickt." Den Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung seines größten Geschichtsschreibers hat das deutsche Volk in den letzten Jahren mehrfach selbst geführt. Wie brauste nicht der Unwille auf, wenn es der Regierung nicht gelang, in der auswärtigen Politik sein Verlangen nach noch mehr Geltung durchzusetzen. Nicht weniger energisch drückt sich dieses aus in der allgemeinen, alle Volksklassen beherrschenden Stimmung, die auch die ganz links stehenden Parteien zwang, jeder von der Reichsleitung geforderten Stärkung der Wehrmacht zuzustimmen. Dieses Deutschland, das alle anderen Staaten des Kontinents an Zahl, c>u Reichtum, an militärischen Machtmitteln zu Wasser und zu Lande weit übertraf, drohte das europäische Gleichgewicht völlig aufzuheben und zwar ohne eine Gewalttat, lediglich durch sein in keiner Weise zu hinderndes Wachstum. Darin erblickte England die schwerste Gefährdung seiner Weltmacht. Die Rivalität Deutschlands in Handel und Industrie hätte die britischen Staatsmänner schwerlich ernstlich beunruhigt, denn dieser ließ sich in friedlicher Weise durch Anspannung aller Kräfte Englands, auch der diplomatischen, erfolgreich begegnen. Aber den ungeheuren militärischen Machtmitteln hatte England nichts entgegenzusetzen, was diese paralysierte, um so weniger als sie nach den in Deutschland geltenden Grundsätzen nicht auf einem bestimmten Höhestand bleiben durften, sondern mit dem Wachstum der Bevölkerung Schritt halten mußten. Hier war ein Staat, der jeden Augenblick, da es ihm gut dünkte, seine gewaltige Macht in die Wagschale werfen konnte, wenn es seine Interessen erheischten oder es zu erheischen schienen. Was war zu tun? Beide Völker, beide Regierungen haben nicht ohne zeitweilig? Erfolge ehrliche Versuche gemacht sich zu verständigen, gerade als wenn durch Worte und Verträge die Existenz von ganze Völker in Mitleidenschaft ziehende Fragen aus der Welt geschafft werden könnten. Eine Einigung konnte immer nur eine zeitweilige sein, denn um Englands Polizist auf dem Kontinent zu sein, war Deutschland schon zu mächtig und von einem viel zu großen Lebensdrang erfüllt. In irgendeiner Weise mußte England zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/14>, abgerufen am 17.06.2024.