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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Aricg und der Neubau der höheren Schule

Unter starker Beteiligung der Schüler würde sich diese Ordnungsarbeit voll¬
ziehen; sie müßte bei ihnen zu einer bisher ungekannten Befriedigung am
selbsterarbeiteten Kosmos führen. Daß dieser Ausblick, durchaus vom Gesichts¬
punkt des Deutschen unternommen, doch durch Vergleich mit dem Fremden und
Abwägung die besondere Lage und Eigenart des deutschen Menschen und seines
Staates um so klarer hervortreten ließe, versteht sich von selbst. In dieser
Zusammenfassung würde auch der im geschichtlichen Unterricht gewonnene Stoff
der sogenannten staatsbürgerlichen Kenntnisse gesichtet und gruppiert werden,
denn im ganzen müßte sich historische Bildung erweisen, wie sie Kerschensteiner
neulich definiert hat (Süddeutsche Monatshefte 1915, Mai) als "die Fähigkeit,
die Lebensbedingungen des eigenen Volkes und Staates, seine Lebensaufgaben
sowie die Möglichkeit ihrer Lösung erfassen zu können, auf Grund des Ein¬
blickes und Verständnisses in das Werden des heute in Volk und Staat Be¬
stehenden und in die Verhältnisse, die sich aus seinen geographischen Bedingungen
und seinen Beziehungen zu anderen Völkern und Staaten ergeben." Während
vor dem Kriege manche Lehrer geneigt waren, die staatsbürgerliche Ausbildung
fast rein innerpolitisch zu orientieren, wird die Schulung des Urteils über die
internationale Lage unseres Reiches jetzt eine große Rolle spielen; Bücher wie
die von Kjellön und Ruedorffer werden zu unentbehrlichen Handbüchern werden.
Dann wird die höhere Schule in künftigen kritischen Zeiten nicht mehr der
Vorwurf Kerschensteiners treffen, daß sie an dem Mangel historischer -- will
sagen politischer -- Bildung unserer Zeit die Schuld trage. --

Wie aus der weltgeschichtlichen Bedeutung unserer Zeit ein neues historisches
Interesse erwachsen ist, so vertiefe sich in diesen Jahren unserer wahrhaft glänzenden
Vereinsamung das Wissen um deutsches Wesen und deutsches Wirken. Unerreichbar
für die schmutzige Verleumdung liege es treu bewahrt für die Zukunft in den
Herzen der Jugend.




Grenzboten III 181510
Der Aricg und der Neubau der höheren Schule

Unter starker Beteiligung der Schüler würde sich diese Ordnungsarbeit voll¬
ziehen; sie müßte bei ihnen zu einer bisher ungekannten Befriedigung am
selbsterarbeiteten Kosmos führen. Daß dieser Ausblick, durchaus vom Gesichts¬
punkt des Deutschen unternommen, doch durch Vergleich mit dem Fremden und
Abwägung die besondere Lage und Eigenart des deutschen Menschen und seines
Staates um so klarer hervortreten ließe, versteht sich von selbst. In dieser
Zusammenfassung würde auch der im geschichtlichen Unterricht gewonnene Stoff
der sogenannten staatsbürgerlichen Kenntnisse gesichtet und gruppiert werden,
denn im ganzen müßte sich historische Bildung erweisen, wie sie Kerschensteiner
neulich definiert hat (Süddeutsche Monatshefte 1915, Mai) als „die Fähigkeit,
die Lebensbedingungen des eigenen Volkes und Staates, seine Lebensaufgaben
sowie die Möglichkeit ihrer Lösung erfassen zu können, auf Grund des Ein¬
blickes und Verständnisses in das Werden des heute in Volk und Staat Be¬
stehenden und in die Verhältnisse, die sich aus seinen geographischen Bedingungen
und seinen Beziehungen zu anderen Völkern und Staaten ergeben." Während
vor dem Kriege manche Lehrer geneigt waren, die staatsbürgerliche Ausbildung
fast rein innerpolitisch zu orientieren, wird die Schulung des Urteils über die
internationale Lage unseres Reiches jetzt eine große Rolle spielen; Bücher wie
die von Kjellön und Ruedorffer werden zu unentbehrlichen Handbüchern werden.
Dann wird die höhere Schule in künftigen kritischen Zeiten nicht mehr der
Vorwurf Kerschensteiners treffen, daß sie an dem Mangel historischer — will
sagen politischer — Bildung unserer Zeit die Schuld trage. —

Wie aus der weltgeschichtlichen Bedeutung unserer Zeit ein neues historisches
Interesse erwachsen ist, so vertiefe sich in diesen Jahren unserer wahrhaft glänzenden
Vereinsamung das Wissen um deutsches Wesen und deutsches Wirken. Unerreichbar
für die schmutzige Verleumdung liege es treu bewahrt für die Zukunft in den
Herzen der Jugend.




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[0157] Der Aricg und der Neubau der höheren Schule Unter starker Beteiligung der Schüler würde sich diese Ordnungsarbeit voll¬ ziehen; sie müßte bei ihnen zu einer bisher ungekannten Befriedigung am selbsterarbeiteten Kosmos führen. Daß dieser Ausblick, durchaus vom Gesichts¬ punkt des Deutschen unternommen, doch durch Vergleich mit dem Fremden und Abwägung die besondere Lage und Eigenart des deutschen Menschen und seines Staates um so klarer hervortreten ließe, versteht sich von selbst. In dieser Zusammenfassung würde auch der im geschichtlichen Unterricht gewonnene Stoff der sogenannten staatsbürgerlichen Kenntnisse gesichtet und gruppiert werden, denn im ganzen müßte sich historische Bildung erweisen, wie sie Kerschensteiner neulich definiert hat (Süddeutsche Monatshefte 1915, Mai) als „die Fähigkeit, die Lebensbedingungen des eigenen Volkes und Staates, seine Lebensaufgaben sowie die Möglichkeit ihrer Lösung erfassen zu können, auf Grund des Ein¬ blickes und Verständnisses in das Werden des heute in Volk und Staat Be¬ stehenden und in die Verhältnisse, die sich aus seinen geographischen Bedingungen und seinen Beziehungen zu anderen Völkern und Staaten ergeben." Während vor dem Kriege manche Lehrer geneigt waren, die staatsbürgerliche Ausbildung fast rein innerpolitisch zu orientieren, wird die Schulung des Urteils über die internationale Lage unseres Reiches jetzt eine große Rolle spielen; Bücher wie die von Kjellön und Ruedorffer werden zu unentbehrlichen Handbüchern werden. Dann wird die höhere Schule in künftigen kritischen Zeiten nicht mehr der Vorwurf Kerschensteiners treffen, daß sie an dem Mangel historischer — will sagen politischer — Bildung unserer Zeit die Schuld trage. — Wie aus der weltgeschichtlichen Bedeutung unserer Zeit ein neues historisches Interesse erwachsen ist, so vertiefe sich in diesen Jahren unserer wahrhaft glänzenden Vereinsamung das Wissen um deutsches Wesen und deutsches Wirken. Unerreichbar für die schmutzige Verleumdung liege es treu bewahrt für die Zukunft in den Herzen der Jugend. Grenzboten III 181510

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/157>, abgerufen am 17.06.2024.