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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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War die zweite englische Ariogsanleihe ein Erfolg?

erwartete Übergang zu einer viereinhalbprozentigen Basis. Wie wir weiter
unten noch sehen werden, hatte man sich wohl mit einem vierprozentigen Satz
vertraut gemacht, aber daß sich der Finanzminister genötigt halten würde, vier¬
einhalb Prozent zu gewähren, das hatte man nicht erwartet. Die Folge dieser
unerwarteten Maßregel war, daß alle festverzinslichen Anlagewerte stärkste Kurs¬
einbußen erlitten, bis sie, zum offiziellen Minimum herabgedrückt, unverkäuflich
wurden. Jeder fühlte, durch die neue Maßnahme der Regierung einen Teil
seines Kapitals eingebüßt zu haben, und es wurde offen zugegeben, daß die
ganze Operation vielleicht von dem Standpunkt der Regierung aus zu ver¬
stehen sei, daß sie aber für jeden englischen Kapitalisten einen schweren Schlag
und für den ganzen Anleihemarkt eine tiefgreifende Revolution bedeute. Man
wies darauf hin, daß man noch vor zwanzig Jahren eine jährliche Rente
von fünf Pfund Sterling mit 207 Pfund Sterling hatte bezahlen müssen,
während jetzt 111 Pfund Sterling genügten (vergleiche Westminster Gazette
vom 22. Juni). Das bedeutete nichts mehr und nichts weniger als eine Ver¬
ringerung des englischen Nationalvermögens um etwa 50 Prozent, ein be¬
sorgniserregendes Verhältnis für ein Rentnervolk wie das englische. In diesem
Zusammenhang wird es verständlich, daß verschiedene Tageszeitungen, so die
Westminster Gazette vom 22. Juni, Daily Mail vom 25. Juni und viele
andere in ernsthaften Leitartikeln darauf hinweisen, man müsse in Anbetracht
der großen Kapitalsverminderung die früher gemachten Testamente abändern,
insbesondere die ausgesetzten Legate beschneiden, da sonst für den eigentlichen
Erben nichts mehr übrig bleibe.

Daß die mit der Ausgabe der Anleihe verbundene Konversion ein großer
Fehler war, ist bereits oben besprochen. In dieses Kapitel gehört auch die
technisch-saloppe Abfassung der Anleihebestimmungen, wonach man sich, wie
oben gezeigt, noch acht Tage nach Emission der Anleihe nicht klar war, was
die Rechte, die durch die Konversion erlangt werden konnten, eigentlich bedeuteten.

Zu diesen finanziellen Bedenken gesellten sich Beunruhigungen politischer
Natur. Gerade in jenen Tagen fing das Publikum an. sich die Bedeutung
der russischen Niederlagen im Osten sowie der vergeblichen Angriffsversuche der
westlichen Alliierten klar zu machen, und die Northcliffe-Presse sorgte dafür,
daß auch die Schwierigkeiten der innerpolitischen Lage dem Publikum nicht
verborgen blieben. Alles dies konnte nicht dazu beitragen, das englische
Publikum zu größeren Zeichnungen für die Anleihe zu veranlassen. Wenn sie
täglich in den Zeitungen lasen, daß ihre führenden Minister unfähige Burschen
seien, die das Geld des Staates in sinnloser Weise verschwendeten, so konnte
dies unmöglich animierend für die Anleihe wirken. Dazu kamen ernste
finanzielle Bedenken allgemeiner Natur, wie sie von der angesehenen Finanz¬
presse wieder und wieder geäußert wurden, so im Economist vom 26. Juni,
der unter anderem darauf hinwies, daß infolge der Politik des Finanz¬
ministeriums die englische Anleihe innerhalb des laufenden Finanzjahres von


War die zweite englische Ariogsanleihe ein Erfolg?

erwartete Übergang zu einer viereinhalbprozentigen Basis. Wie wir weiter
unten noch sehen werden, hatte man sich wohl mit einem vierprozentigen Satz
vertraut gemacht, aber daß sich der Finanzminister genötigt halten würde, vier¬
einhalb Prozent zu gewähren, das hatte man nicht erwartet. Die Folge dieser
unerwarteten Maßregel war, daß alle festverzinslichen Anlagewerte stärkste Kurs¬
einbußen erlitten, bis sie, zum offiziellen Minimum herabgedrückt, unverkäuflich
wurden. Jeder fühlte, durch die neue Maßnahme der Regierung einen Teil
seines Kapitals eingebüßt zu haben, und es wurde offen zugegeben, daß die
ganze Operation vielleicht von dem Standpunkt der Regierung aus zu ver¬
stehen sei, daß sie aber für jeden englischen Kapitalisten einen schweren Schlag
und für den ganzen Anleihemarkt eine tiefgreifende Revolution bedeute. Man
wies darauf hin, daß man noch vor zwanzig Jahren eine jährliche Rente
von fünf Pfund Sterling mit 207 Pfund Sterling hatte bezahlen müssen,
während jetzt 111 Pfund Sterling genügten (vergleiche Westminster Gazette
vom 22. Juni). Das bedeutete nichts mehr und nichts weniger als eine Ver¬
ringerung des englischen Nationalvermögens um etwa 50 Prozent, ein be¬
sorgniserregendes Verhältnis für ein Rentnervolk wie das englische. In diesem
Zusammenhang wird es verständlich, daß verschiedene Tageszeitungen, so die
Westminster Gazette vom 22. Juni, Daily Mail vom 25. Juni und viele
andere in ernsthaften Leitartikeln darauf hinweisen, man müsse in Anbetracht
der großen Kapitalsverminderung die früher gemachten Testamente abändern,
insbesondere die ausgesetzten Legate beschneiden, da sonst für den eigentlichen
Erben nichts mehr übrig bleibe.

Daß die mit der Ausgabe der Anleihe verbundene Konversion ein großer
Fehler war, ist bereits oben besprochen. In dieses Kapitel gehört auch die
technisch-saloppe Abfassung der Anleihebestimmungen, wonach man sich, wie
oben gezeigt, noch acht Tage nach Emission der Anleihe nicht klar war, was
die Rechte, die durch die Konversion erlangt werden konnten, eigentlich bedeuteten.

Zu diesen finanziellen Bedenken gesellten sich Beunruhigungen politischer
Natur. Gerade in jenen Tagen fing das Publikum an. sich die Bedeutung
der russischen Niederlagen im Osten sowie der vergeblichen Angriffsversuche der
westlichen Alliierten klar zu machen, und die Northcliffe-Presse sorgte dafür,
daß auch die Schwierigkeiten der innerpolitischen Lage dem Publikum nicht
verborgen blieben. Alles dies konnte nicht dazu beitragen, das englische
Publikum zu größeren Zeichnungen für die Anleihe zu veranlassen. Wenn sie
täglich in den Zeitungen lasen, daß ihre führenden Minister unfähige Burschen
seien, die das Geld des Staates in sinnloser Weise verschwendeten, so konnte
dies unmöglich animierend für die Anleihe wirken. Dazu kamen ernste
finanzielle Bedenken allgemeiner Natur, wie sie von der angesehenen Finanz¬
presse wieder und wieder geäußert wurden, so im Economist vom 26. Juni,
der unter anderem darauf hinwies, daß infolge der Politik des Finanz¬
ministeriums die englische Anleihe innerhalb des laufenden Finanzjahres von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/180>, abgerufen am 17.06.2024.