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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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vom geistigen Zarismus

wo es auch kommt, und überall zu lernen, wo zu lernen ist, diesen Willen, der
allein die restlose Anerkennung des Allheils als letztes Ziel begreift, und vor
dem jede Überlegenheit entwaffnet, und ihr Aufrechterhalten sinnlos würde, ziehen
sie überhaupt gar nicht in den Bereich der Möglichkeit und nehmen ihm dabei
von vornherein alle Aussicht, indem sie ihre ängstlich gehütete Überlegenheit in
ein Reich flüchten, wohin wir nüchterne Europäer einfach nicht folgen können:
das der Mystik. Freilich verzichten sie dann auf unsere fraglose Anerkennung:
und das wurmt sie immer mehr -- wenn sie auch, wir wiederholen das immer
wieder, vor allem ihren Landsleuten gegenüber uns überlegen erscheinen wollen.

So kommt das denkende Rußland Westeuropa gegenüber gar nicht aus
der Empfindlichkeit heraus. Es fühlt sich da ewig beleidigt, weil es eben von
vornherein eine Überlegenheitsstellung einnehmen will --"und für die statt
durch geistige Leistungen durch geistigen Zwang Anerkennung erstrebt (wir
betonen dabei immer wieder die geschichtliche Gewöhnung an solchen). Damit
gleitet aber das russische Denken immer wieder von der spiegelglatten Bahn des
Gedankens ab und verliert sich in das Labyrinth der Gefühlswelt oder in das
Nebelreich einer rein persönlichen Deutung von dem, was nur erlebbar ist. So
kommt es denn auch, daß das russische Denken im Grunde genommen völlig
unfruchtbar geblieben ist: alles, was wir da billigen müssen, ist dem deutschen
Idealismus entnommen, dessen leidenschaftliches Anrempeln und Beschimpfen
hierüber täuschen soll, und nur die täuscht, die unser Geistesgut nicht kennen.
Wir gönnen es übrigens allen, die davon richtigen Gebrauch zu machen ver¬
stehen. Die einzige originale russische Gedankenfindung ist der Nihilismus.
Das ist aber eigentlich gar kein Gedanke, vielmehr nur eine rein gefühlsmäßige
Ablehnungsgebärde gegen jeden Gedanken! Rußlands geistige Offenbarung
verwirklicht sich einstweilen noch ausschließlich in der Dichtung, und da schafft
es hochwillkommene Erlebnisse zu westeuropäischen Gedankenftndungen. Das
dichtende, das intuitive Rußland ist Geist von unserem Geiste, ist europäisch;
das denkende, sich deuten wollende Rußland hingegen ist bis jetzt noch in seinen
Empfindlichkeiten stecken geblieben und nicht herausgekommen aus der jahr¬
hundertelangen Gewöhnung an Zwang und der ihr entspringenden Neigung
solchen auszuüben. Vielleicht sind aber die haushohen Anmaßungen des
russischen Denkens, die in so seltsamem Mißverhältnis stehen zu seinen Leistungen,
vor allem zu erklären als vorausgenommene Abwehr vermuteter Überlegenheits¬
ansprüche unserseits. Wie dem aber auch immer sei, das russische Denken
wird solange bei seiner jetzigen Unfruchtbarkeit verharren, bis der Russe endlich
einmal begreift, daß im großen Reiche des Gedankens kein Unterschied ist
zwischen den Menschen, daß da nur eines entscheidet: die Leistung, und daß
der Zugang in den Freistaat des Geistes nur dem offen steht, der die Wahrheit
niemals fragt, von wo sie gekommen ist.




vom geistigen Zarismus

wo es auch kommt, und überall zu lernen, wo zu lernen ist, diesen Willen, der
allein die restlose Anerkennung des Allheils als letztes Ziel begreift, und vor
dem jede Überlegenheit entwaffnet, und ihr Aufrechterhalten sinnlos würde, ziehen
sie überhaupt gar nicht in den Bereich der Möglichkeit und nehmen ihm dabei
von vornherein alle Aussicht, indem sie ihre ängstlich gehütete Überlegenheit in
ein Reich flüchten, wohin wir nüchterne Europäer einfach nicht folgen können:
das der Mystik. Freilich verzichten sie dann auf unsere fraglose Anerkennung:
und das wurmt sie immer mehr — wenn sie auch, wir wiederholen das immer
wieder, vor allem ihren Landsleuten gegenüber uns überlegen erscheinen wollen.

So kommt das denkende Rußland Westeuropa gegenüber gar nicht aus
der Empfindlichkeit heraus. Es fühlt sich da ewig beleidigt, weil es eben von
vornherein eine Überlegenheitsstellung einnehmen will —"und für die statt
durch geistige Leistungen durch geistigen Zwang Anerkennung erstrebt (wir
betonen dabei immer wieder die geschichtliche Gewöhnung an solchen). Damit
gleitet aber das russische Denken immer wieder von der spiegelglatten Bahn des
Gedankens ab und verliert sich in das Labyrinth der Gefühlswelt oder in das
Nebelreich einer rein persönlichen Deutung von dem, was nur erlebbar ist. So
kommt es denn auch, daß das russische Denken im Grunde genommen völlig
unfruchtbar geblieben ist: alles, was wir da billigen müssen, ist dem deutschen
Idealismus entnommen, dessen leidenschaftliches Anrempeln und Beschimpfen
hierüber täuschen soll, und nur die täuscht, die unser Geistesgut nicht kennen.
Wir gönnen es übrigens allen, die davon richtigen Gebrauch zu machen ver¬
stehen. Die einzige originale russische Gedankenfindung ist der Nihilismus.
Das ist aber eigentlich gar kein Gedanke, vielmehr nur eine rein gefühlsmäßige
Ablehnungsgebärde gegen jeden Gedanken! Rußlands geistige Offenbarung
verwirklicht sich einstweilen noch ausschließlich in der Dichtung, und da schafft
es hochwillkommene Erlebnisse zu westeuropäischen Gedankenftndungen. Das
dichtende, das intuitive Rußland ist Geist von unserem Geiste, ist europäisch;
das denkende, sich deuten wollende Rußland hingegen ist bis jetzt noch in seinen
Empfindlichkeiten stecken geblieben und nicht herausgekommen aus der jahr¬
hundertelangen Gewöhnung an Zwang und der ihr entspringenden Neigung
solchen auszuüben. Vielleicht sind aber die haushohen Anmaßungen des
russischen Denkens, die in so seltsamem Mißverhältnis stehen zu seinen Leistungen,
vor allem zu erklären als vorausgenommene Abwehr vermuteter Überlegenheits¬
ansprüche unserseits. Wie dem aber auch immer sei, das russische Denken
wird solange bei seiner jetzigen Unfruchtbarkeit verharren, bis der Russe endlich
einmal begreift, daß im großen Reiche des Gedankens kein Unterschied ist
zwischen den Menschen, daß da nur eines entscheidet: die Leistung, und daß
der Zugang in den Freistaat des Geistes nur dem offen steht, der die Wahrheit
niemals fragt, von wo sie gekommen ist.




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[0210] vom geistigen Zarismus wo es auch kommt, und überall zu lernen, wo zu lernen ist, diesen Willen, der allein die restlose Anerkennung des Allheils als letztes Ziel begreift, und vor dem jede Überlegenheit entwaffnet, und ihr Aufrechterhalten sinnlos würde, ziehen sie überhaupt gar nicht in den Bereich der Möglichkeit und nehmen ihm dabei von vornherein alle Aussicht, indem sie ihre ängstlich gehütete Überlegenheit in ein Reich flüchten, wohin wir nüchterne Europäer einfach nicht folgen können: das der Mystik. Freilich verzichten sie dann auf unsere fraglose Anerkennung: und das wurmt sie immer mehr — wenn sie auch, wir wiederholen das immer wieder, vor allem ihren Landsleuten gegenüber uns überlegen erscheinen wollen. So kommt das denkende Rußland Westeuropa gegenüber gar nicht aus der Empfindlichkeit heraus. Es fühlt sich da ewig beleidigt, weil es eben von vornherein eine Überlegenheitsstellung einnehmen will —"und für die statt durch geistige Leistungen durch geistigen Zwang Anerkennung erstrebt (wir betonen dabei immer wieder die geschichtliche Gewöhnung an solchen). Damit gleitet aber das russische Denken immer wieder von der spiegelglatten Bahn des Gedankens ab und verliert sich in das Labyrinth der Gefühlswelt oder in das Nebelreich einer rein persönlichen Deutung von dem, was nur erlebbar ist. So kommt es denn auch, daß das russische Denken im Grunde genommen völlig unfruchtbar geblieben ist: alles, was wir da billigen müssen, ist dem deutschen Idealismus entnommen, dessen leidenschaftliches Anrempeln und Beschimpfen hierüber täuschen soll, und nur die täuscht, die unser Geistesgut nicht kennen. Wir gönnen es übrigens allen, die davon richtigen Gebrauch zu machen ver¬ stehen. Die einzige originale russische Gedankenfindung ist der Nihilismus. Das ist aber eigentlich gar kein Gedanke, vielmehr nur eine rein gefühlsmäßige Ablehnungsgebärde gegen jeden Gedanken! Rußlands geistige Offenbarung verwirklicht sich einstweilen noch ausschließlich in der Dichtung, und da schafft es hochwillkommene Erlebnisse zu westeuropäischen Gedankenftndungen. Das dichtende, das intuitive Rußland ist Geist von unserem Geiste, ist europäisch; das denkende, sich deuten wollende Rußland hingegen ist bis jetzt noch in seinen Empfindlichkeiten stecken geblieben und nicht herausgekommen aus der jahr¬ hundertelangen Gewöhnung an Zwang und der ihr entspringenden Neigung solchen auszuüben. Vielleicht sind aber die haushohen Anmaßungen des russischen Denkens, die in so seltsamem Mißverhältnis stehen zu seinen Leistungen, vor allem zu erklären als vorausgenommene Abwehr vermuteter Überlegenheits¬ ansprüche unserseits. Wie dem aber auch immer sei, das russische Denken wird solange bei seiner jetzigen Unfruchtbarkeit verharren, bis der Russe endlich einmal begreift, daß im großen Reiche des Gedankens kein Unterschied ist zwischen den Menschen, daß da nur eines entscheidet: die Leistung, und daß der Zugang in den Freistaat des Geistes nur dem offen steht, der die Wahrheit niemals fragt, von wo sie gekommen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/210>, abgerufen am 17.06.2024.