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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Warum bekämpft uns Rußland?

Was nun die Ausbeutung durch den reichsdeutschen Handel und der Industrie
anbetrifft, so seien zunächst die betreffenden Zahlen für 1912 angeführt. Sie
lauten:

Nach deutscher Statistik:
Import aus Rußland . . . Rubel 707300000 --
Export nach " ... " 314700000 --
Nach russischer Statistik:
Import aus Rußland . . . Rubel 453800000 --
Export nach " ... " 532300000 --

Der außerordentlich hohe Unterschied dieser Zahlen spricht an und für sich
schon eine beredte Sprache; es würde zu weit führen, ihn hier eingehend zu
erklären; wem an einer genauen Erklärung liegt, seien die "Grenzboten" von
1914 Nummer 26 empfohlen, er findet darin das nötige. Für den vorliegenden
Zweck sei es genügend, darauf aufmerksam zu machen, daß schon in dieser
Statistik eine Agitation von Staats wegen zu suchen ist. Die Zahlen wurden
solange gedreht und gewendet, bis schließlich ein Ergebnis vorlag, welches
bewies, daß Deutschland in dem Handelsverkehr mit Rußland im Vorteil sei;
daß dieses Resultat trotzdem ein recht kümmerliches ist, beweist nur, daß die
deutschen Zahlen die richtigen sein müssen; es ließ sich eben beim besten Willen
nicht mehr wie eine Differenz von Rubel 80000000,-- zugunsten Deutschlands
herausrechnen. Diese aber ist nicht groß im Vergleich zu den Gesamtsummen.
Eine lebhafte Presseagitation hatte auch auf diesem Gebiete eingesetzt, sie
versuchte zu beweisen, daß Rußland in empfindlichster Weise von Deutschland
ausgebeutet würde. Daß dem nicht so ist, beweist der rapide Aufschwung der
russischen Industrie seit den letzten zehn Jahren, der nicht möglich gewesen wäre,
wenn die deutsche Industrie so günstige Verhältnisse auf dem russischen Markte
vorgefunden hätte, wie man glauben machen wollte. Ferner widerspricht dem
die Tatsache, daß, als 1914 das russische Finanzministerium seine Vorarbeiten
für einen neuen Handelsvertrag mit Deutschland begann -- der jetzige läuft
1917 ab --die Industriellen aller Branchen befragt wurden, ob sie eine
Erhöhung der Zölle für ratsam hielten; hierbei stellte sich heraus, daß die
meisten Industrien eine solche ablehnten und zwar mit der Begründung, daß
man unter dem jetzigen Zollschutz sehr wohl mit Deutschland konkurrieren
könne, eine weitere Erhöhung jedoch nur neue deutsche Konkurrenz nach
Nußland bringen würde, alle die Fabrikanten nämlich, die heute in Rußland
einen größeren Absatz haben und diesen durch Zollerhöhungen verlieren würden.

Als ferner Deutschland auf Grund seiner Ausfuhrprämien anfing. Getreide
nach Rußland zu exportieren, legte die russische Regierung kurzerhand einen ent¬
sprechenden Einfuhrzoll auf das Getreide und verhinderte damit weitere Importe.

Man ersieht aus allem gesagten, daß der jetzige Handelsvertrag durchaus
nicht das ist, was russische Agitation daraus machen will. Im übrigen ist
jeder Handelsvertrag ein kaufmännisches Geschäft und es steht jedem der Teil-


Warum bekämpft uns Rußland?

Was nun die Ausbeutung durch den reichsdeutschen Handel und der Industrie
anbetrifft, so seien zunächst die betreffenden Zahlen für 1912 angeführt. Sie
lauten:

Nach deutscher Statistik:
Import aus Rußland . . . Rubel 707300000 —
Export nach „ ... „ 314700000 —
Nach russischer Statistik:
Import aus Rußland . . . Rubel 453800000 —
Export nach „ ... „ 532300000 —

Der außerordentlich hohe Unterschied dieser Zahlen spricht an und für sich
schon eine beredte Sprache; es würde zu weit führen, ihn hier eingehend zu
erklären; wem an einer genauen Erklärung liegt, seien die „Grenzboten" von
1914 Nummer 26 empfohlen, er findet darin das nötige. Für den vorliegenden
Zweck sei es genügend, darauf aufmerksam zu machen, daß schon in dieser
Statistik eine Agitation von Staats wegen zu suchen ist. Die Zahlen wurden
solange gedreht und gewendet, bis schließlich ein Ergebnis vorlag, welches
bewies, daß Deutschland in dem Handelsverkehr mit Rußland im Vorteil sei;
daß dieses Resultat trotzdem ein recht kümmerliches ist, beweist nur, daß die
deutschen Zahlen die richtigen sein müssen; es ließ sich eben beim besten Willen
nicht mehr wie eine Differenz von Rubel 80000000,— zugunsten Deutschlands
herausrechnen. Diese aber ist nicht groß im Vergleich zu den Gesamtsummen.
Eine lebhafte Presseagitation hatte auch auf diesem Gebiete eingesetzt, sie
versuchte zu beweisen, daß Rußland in empfindlichster Weise von Deutschland
ausgebeutet würde. Daß dem nicht so ist, beweist der rapide Aufschwung der
russischen Industrie seit den letzten zehn Jahren, der nicht möglich gewesen wäre,
wenn die deutsche Industrie so günstige Verhältnisse auf dem russischen Markte
vorgefunden hätte, wie man glauben machen wollte. Ferner widerspricht dem
die Tatsache, daß, als 1914 das russische Finanzministerium seine Vorarbeiten
für einen neuen Handelsvertrag mit Deutschland begann — der jetzige läuft
1917 ab —die Industriellen aller Branchen befragt wurden, ob sie eine
Erhöhung der Zölle für ratsam hielten; hierbei stellte sich heraus, daß die
meisten Industrien eine solche ablehnten und zwar mit der Begründung, daß
man unter dem jetzigen Zollschutz sehr wohl mit Deutschland konkurrieren
könne, eine weitere Erhöhung jedoch nur neue deutsche Konkurrenz nach
Nußland bringen würde, alle die Fabrikanten nämlich, die heute in Rußland
einen größeren Absatz haben und diesen durch Zollerhöhungen verlieren würden.

Als ferner Deutschland auf Grund seiner Ausfuhrprämien anfing. Getreide
nach Rußland zu exportieren, legte die russische Regierung kurzerhand einen ent¬
sprechenden Einfuhrzoll auf das Getreide und verhinderte damit weitere Importe.

Man ersieht aus allem gesagten, daß der jetzige Handelsvertrag durchaus
nicht das ist, was russische Agitation daraus machen will. Im übrigen ist
jeder Handelsvertrag ein kaufmännisches Geschäft und es steht jedem der Teil-


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[0276] Warum bekämpft uns Rußland? Was nun die Ausbeutung durch den reichsdeutschen Handel und der Industrie anbetrifft, so seien zunächst die betreffenden Zahlen für 1912 angeführt. Sie lauten: Nach deutscher Statistik: Import aus Rußland . . . Rubel 707300000 — Export nach „ ... „ 314700000 — Nach russischer Statistik: Import aus Rußland . . . Rubel 453800000 — Export nach „ ... „ 532300000 — Der außerordentlich hohe Unterschied dieser Zahlen spricht an und für sich schon eine beredte Sprache; es würde zu weit führen, ihn hier eingehend zu erklären; wem an einer genauen Erklärung liegt, seien die „Grenzboten" von 1914 Nummer 26 empfohlen, er findet darin das nötige. Für den vorliegenden Zweck sei es genügend, darauf aufmerksam zu machen, daß schon in dieser Statistik eine Agitation von Staats wegen zu suchen ist. Die Zahlen wurden solange gedreht und gewendet, bis schließlich ein Ergebnis vorlag, welches bewies, daß Deutschland in dem Handelsverkehr mit Rußland im Vorteil sei; daß dieses Resultat trotzdem ein recht kümmerliches ist, beweist nur, daß die deutschen Zahlen die richtigen sein müssen; es ließ sich eben beim besten Willen nicht mehr wie eine Differenz von Rubel 80000000,— zugunsten Deutschlands herausrechnen. Diese aber ist nicht groß im Vergleich zu den Gesamtsummen. Eine lebhafte Presseagitation hatte auch auf diesem Gebiete eingesetzt, sie versuchte zu beweisen, daß Rußland in empfindlichster Weise von Deutschland ausgebeutet würde. Daß dem nicht so ist, beweist der rapide Aufschwung der russischen Industrie seit den letzten zehn Jahren, der nicht möglich gewesen wäre, wenn die deutsche Industrie so günstige Verhältnisse auf dem russischen Markte vorgefunden hätte, wie man glauben machen wollte. Ferner widerspricht dem die Tatsache, daß, als 1914 das russische Finanzministerium seine Vorarbeiten für einen neuen Handelsvertrag mit Deutschland begann — der jetzige läuft 1917 ab —die Industriellen aller Branchen befragt wurden, ob sie eine Erhöhung der Zölle für ratsam hielten; hierbei stellte sich heraus, daß die meisten Industrien eine solche ablehnten und zwar mit der Begründung, daß man unter dem jetzigen Zollschutz sehr wohl mit Deutschland konkurrieren könne, eine weitere Erhöhung jedoch nur neue deutsche Konkurrenz nach Nußland bringen würde, alle die Fabrikanten nämlich, die heute in Rußland einen größeren Absatz haben und diesen durch Zollerhöhungen verlieren würden. Als ferner Deutschland auf Grund seiner Ausfuhrprämien anfing. Getreide nach Rußland zu exportieren, legte die russische Regierung kurzerhand einen ent¬ sprechenden Einfuhrzoll auf das Getreide und verhinderte damit weitere Importe. Man ersieht aus allem gesagten, daß der jetzige Handelsvertrag durchaus nicht das ist, was russische Agitation daraus machen will. Im übrigen ist jeder Handelsvertrag ein kaufmännisches Geschäft und es steht jedem der Teil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/276>, abgerufen am 10.06.2024.