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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

Seitdem treten nach und nach immer mehr Stimmen hervor, die die öffentliche
Meinung auf eine längere Kriegsdauer vorbereiten.

Ebenso erfolglos wie im Norden gegen Österreich ist man in Libyen den
Aufständen der Eingeborenen gegenüber. Alles, bis auf das Küstengebiet, hat
sich der italienischen Einflußsphäre entzogen. In den Spalten des Giornale
d'Italia ist dargelegt worden, wie es zu einer solchen Verschlimmerung der
Lage gekommen ist. Es gäbe nur ein Mittel, wenn man nicht alles verlieren
wolle: mit den Männern und mit den Methoden zu wechseln, vor allem aber
mit den Männern.

Ein Gefühl der Unsicherheit verrät sich seit den ersten Augusttagen auch
der Flotte gegenüber. Es zeigte sich darin, daß im Messaggero ein Offizier
sie in langen Ausführungen gegen die von Seiten gewisser politisierender Kreise
wegen bisheriger Mißerfolge ausgestreuten Verdächtigungen glaubte in Schutz
nehmen zu müssen. Um den dadurch hervorgerufenen peinlichen Eindruck zu
beschwichtigen, stellte das Blatt gleich in seiner nächsten Nummer einen anderen
Aufsatz entgegen, der solche Erwägungen als unangebracht verurteilte, mit dem
ausdrücklichen Hinweis, daß man sich dadurch dem Ausland gegenüber nur
eine Blöße gäbe.

Je aussichtsloser sich das Hauptunternehmen gegen Österreich in seinem
ganzen Verlauf zu Land und zu Wasser erwies, um so mehr sah man sich genötigt,
die Gedanken auf ein neues Kriegstheater zu richten. Die Bezwingung der
Dardanellen gewann mit jedem weiteren Zurückweichen der russischen Heere
eine erhöhte Bedeutung innerhalb des Gesamtplans der Entente, und da
England und Frankreich kaum vorwärts kamen, so erhob sich gebieterisch der
Wunsch nach einer Verstärkung der dortigen Kräfte.

Die inneren Verhältnisse sind aber gewiß nicht dazu angetan, die breiten
Massen zu neuem Tatendrang aufzurufen. Daß die Kriegsanleihe, die öffentlich
als eine große Leistung veranschlagt wurde, eine herbe Enttäuschung bedeutete,
darüber wußte man in den eingeweihten Kreisen Bescheid. Kaum wurde aber
begonnen, dem in der Presse Ausdruck zu geben, als die Diskussion plötzlich
abbrach -- wohl auf einen Wink von oben hin. In ein römisches Blatt ist
indessen eine Zuschrift des Deputierten Giulio Alessio gelangt, die mit den
Worten beginnt: "Es ist nicht zu verkennen, daß die Kriegsanleihe kein
günstiges Resultat ergeben hat."

Dazu kommt, daß die Stimmung im Lande durchaus keine einheitliche
ist. Die anfangs zu den Kriegsgegnern gehörenden Anhänger der offiziellen
sozialistischen Partei, die durch den Avanti vertreten werden, lassen auch weiter
nicht von einer geheimen Opposition ab. Das zeigt sich darin, daß an ver¬
schiedenen Orten die sozialistischen Mitglieder des Gemeinderath ihr Amt nieder¬
gelegt haben. Auch Verhaftungen von sozialistischen Munizipalbeamten sind
vorgekommen. Viel Beachtung findet, daß bei den Neuwahlen der Parteigruppe
in Turin die Anhänger des intransigenten Prinzips den Sieg errungen haben;


Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

Seitdem treten nach und nach immer mehr Stimmen hervor, die die öffentliche
Meinung auf eine längere Kriegsdauer vorbereiten.

Ebenso erfolglos wie im Norden gegen Österreich ist man in Libyen den
Aufständen der Eingeborenen gegenüber. Alles, bis auf das Küstengebiet, hat
sich der italienischen Einflußsphäre entzogen. In den Spalten des Giornale
d'Italia ist dargelegt worden, wie es zu einer solchen Verschlimmerung der
Lage gekommen ist. Es gäbe nur ein Mittel, wenn man nicht alles verlieren
wolle: mit den Männern und mit den Methoden zu wechseln, vor allem aber
mit den Männern.

Ein Gefühl der Unsicherheit verrät sich seit den ersten Augusttagen auch
der Flotte gegenüber. Es zeigte sich darin, daß im Messaggero ein Offizier
sie in langen Ausführungen gegen die von Seiten gewisser politisierender Kreise
wegen bisheriger Mißerfolge ausgestreuten Verdächtigungen glaubte in Schutz
nehmen zu müssen. Um den dadurch hervorgerufenen peinlichen Eindruck zu
beschwichtigen, stellte das Blatt gleich in seiner nächsten Nummer einen anderen
Aufsatz entgegen, der solche Erwägungen als unangebracht verurteilte, mit dem
ausdrücklichen Hinweis, daß man sich dadurch dem Ausland gegenüber nur
eine Blöße gäbe.

Je aussichtsloser sich das Hauptunternehmen gegen Österreich in seinem
ganzen Verlauf zu Land und zu Wasser erwies, um so mehr sah man sich genötigt,
die Gedanken auf ein neues Kriegstheater zu richten. Die Bezwingung der
Dardanellen gewann mit jedem weiteren Zurückweichen der russischen Heere
eine erhöhte Bedeutung innerhalb des Gesamtplans der Entente, und da
England und Frankreich kaum vorwärts kamen, so erhob sich gebieterisch der
Wunsch nach einer Verstärkung der dortigen Kräfte.

Die inneren Verhältnisse sind aber gewiß nicht dazu angetan, die breiten
Massen zu neuem Tatendrang aufzurufen. Daß die Kriegsanleihe, die öffentlich
als eine große Leistung veranschlagt wurde, eine herbe Enttäuschung bedeutete,
darüber wußte man in den eingeweihten Kreisen Bescheid. Kaum wurde aber
begonnen, dem in der Presse Ausdruck zu geben, als die Diskussion plötzlich
abbrach — wohl auf einen Wink von oben hin. In ein römisches Blatt ist
indessen eine Zuschrift des Deputierten Giulio Alessio gelangt, die mit den
Worten beginnt: „Es ist nicht zu verkennen, daß die Kriegsanleihe kein
günstiges Resultat ergeben hat."

Dazu kommt, daß die Stimmung im Lande durchaus keine einheitliche
ist. Die anfangs zu den Kriegsgegnern gehörenden Anhänger der offiziellen
sozialistischen Partei, die durch den Avanti vertreten werden, lassen auch weiter
nicht von einer geheimen Opposition ab. Das zeigt sich darin, daß an ver¬
schiedenen Orten die sozialistischen Mitglieder des Gemeinderath ihr Amt nieder¬
gelegt haben. Auch Verhaftungen von sozialistischen Munizipalbeamten sind
vorgekommen. Viel Beachtung findet, daß bei den Neuwahlen der Parteigruppe
in Turin die Anhänger des intransigenten Prinzips den Sieg errungen haben;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/316>, abgerufen am 17.06.2024.