Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Englische Weltvolitik und ZVeliverkehrsfragen vor dem Kriege

des Suezkanals auf. Mit der Geschichte des Kanals hängt aufs engste die
Erwerbung Abens, der Insel Perim, Zyperns und Ägyptens, das heißt die
Sicherung des Seewegs nach Indien zusammen. Mit der Kanaleröffnung
1869, die nahezu mit dem Geburtsjahr des Schlagwortes vom "Greater
Britain" zusammenfällt, kann der erste Zeitabschnitt, der vorbereitende, als
abgeschlossen gelten. Bis dahin ist die Suezkanalpolitik das politische
Programm der englischen Weltpolitik.

Von diesem Augenblick an mußte England das unter dem dritten Napoleon
ehrgeizig aufstrebende Frankreich als seinen Hauptgegner ansehen. Der deutsch-
französische Krieg befreite England von diesem Bann; der allmähliche Ankauf
der Suezkanalaktien, der 1875 abgeschlossen ist, klärt die Suezkanalfrage zunächst
völlig. England kann sich im zweiten Abschnitt der Entwicklung des Reichs¬
gedankens ganz dem Ausbau seiner Kolonien widmen und erwirbt in dieser
Zeit zu seinen Hauptbesitzungen eine große Anzahl von kleineren Kolonien,
Kohlenstationen und Jnselchen*), die ihm die Wege zu den Hauptpfeilern des
Weltreichs sichern sollen. Der Ausbau des Kolonialreichs ist das Kenn"
zeichen dieses Zeitabschnittes.

Auch als um 1885 mit dem Beginn der Bismarckschen Kolonialpolitik das
Deutsche Reich in die Reihe der Kolonialmächte eintritt, sieht England noch
keine Gefährdung seiner Weltherrschaft in diesem Ausdehnungsgelüst der neu¬
erstandenen Kontinentalmacht, die einer Flotte so gut wie ganz entbehrte. Erst
als etwa mit der Mitte der neunziger Jahre unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten
der "neue Kurs" einsetzte, als auch im Deutschen Reich eine zielbewußte
imperialistische Politik mit einer bis dahin noch nicht hervorgetretenen Betonung
des Deutschtums in der Welt zu keimen begann, da trat die Machtverschiebung
innerhalb der Großmächte Europas deutlich hervor, rief vor allem England
auf den Plan und weckte dort starkes Mißtrauen. Der Helgoland-Sansibar-
Tausch war der letzte von? englischen Standpunkt unbegreifliche Fehler der
englischen Weltpolitik. Kaiser Wilhelms Schlagwort von "Deutschlands Zukunft
auf dem Wasser" läßt als ein Warnungsruf das weltpolitische Programm
Englands in diesem dritten Zeitabschnitt deutlich werden: Niederhaltung
des neuen Gegners mit dem Mittel der Einkreisungspolitik Eduards
des Siebenten.

Daneben sah das britische Reich in dem bedrohlichen Anwachsen der
russischen Macht in Asien, in der Aufrichtung des französisch-afrikanischen
Kolonialreiches und in dem Erstarken der Vereinigten Staaten als einer Vor¬
macht auf der Westerde neue Gegner erscheinen, die seiner imperialistischen
Politik neue Schwierigkeiten bereiteten. Die astatische und pazifische Frage
wird, nachdem die französisch-afrikanische durch den Fall Faschoda (1898) als



*) In der Tat wird der Erwerb oder die Festigung dieser kleineren Besitzungen in
erster Linie in den Jahren 1866 bis Mitte der neunziger Jahre vollzogen.
Englische Weltvolitik und ZVeliverkehrsfragen vor dem Kriege

des Suezkanals auf. Mit der Geschichte des Kanals hängt aufs engste die
Erwerbung Abens, der Insel Perim, Zyperns und Ägyptens, das heißt die
Sicherung des Seewegs nach Indien zusammen. Mit der Kanaleröffnung
1869, die nahezu mit dem Geburtsjahr des Schlagwortes vom „Greater
Britain" zusammenfällt, kann der erste Zeitabschnitt, der vorbereitende, als
abgeschlossen gelten. Bis dahin ist die Suezkanalpolitik das politische
Programm der englischen Weltpolitik.

Von diesem Augenblick an mußte England das unter dem dritten Napoleon
ehrgeizig aufstrebende Frankreich als seinen Hauptgegner ansehen. Der deutsch-
französische Krieg befreite England von diesem Bann; der allmähliche Ankauf
der Suezkanalaktien, der 1875 abgeschlossen ist, klärt die Suezkanalfrage zunächst
völlig. England kann sich im zweiten Abschnitt der Entwicklung des Reichs¬
gedankens ganz dem Ausbau seiner Kolonien widmen und erwirbt in dieser
Zeit zu seinen Hauptbesitzungen eine große Anzahl von kleineren Kolonien,
Kohlenstationen und Jnselchen*), die ihm die Wege zu den Hauptpfeilern des
Weltreichs sichern sollen. Der Ausbau des Kolonialreichs ist das Kenn»
zeichen dieses Zeitabschnittes.

Auch als um 1885 mit dem Beginn der Bismarckschen Kolonialpolitik das
Deutsche Reich in die Reihe der Kolonialmächte eintritt, sieht England noch
keine Gefährdung seiner Weltherrschaft in diesem Ausdehnungsgelüst der neu¬
erstandenen Kontinentalmacht, die einer Flotte so gut wie ganz entbehrte. Erst
als etwa mit der Mitte der neunziger Jahre unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten
der „neue Kurs" einsetzte, als auch im Deutschen Reich eine zielbewußte
imperialistische Politik mit einer bis dahin noch nicht hervorgetretenen Betonung
des Deutschtums in der Welt zu keimen begann, da trat die Machtverschiebung
innerhalb der Großmächte Europas deutlich hervor, rief vor allem England
auf den Plan und weckte dort starkes Mißtrauen. Der Helgoland-Sansibar-
Tausch war der letzte von? englischen Standpunkt unbegreifliche Fehler der
englischen Weltpolitik. Kaiser Wilhelms Schlagwort von „Deutschlands Zukunft
auf dem Wasser" läßt als ein Warnungsruf das weltpolitische Programm
Englands in diesem dritten Zeitabschnitt deutlich werden: Niederhaltung
des neuen Gegners mit dem Mittel der Einkreisungspolitik Eduards
des Siebenten.

Daneben sah das britische Reich in dem bedrohlichen Anwachsen der
russischen Macht in Asien, in der Aufrichtung des französisch-afrikanischen
Kolonialreiches und in dem Erstarken der Vereinigten Staaten als einer Vor¬
macht auf der Westerde neue Gegner erscheinen, die seiner imperialistischen
Politik neue Schwierigkeiten bereiteten. Die astatische und pazifische Frage
wird, nachdem die französisch-afrikanische durch den Fall Faschoda (1898) als



*) In der Tat wird der Erwerb oder die Festigung dieser kleineren Besitzungen in
erster Linie in den Jahren 1866 bis Mitte der neunziger Jahre vollzogen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324307"/>
          <fw type="header" place="top"> Englische Weltvolitik und ZVeliverkehrsfragen vor dem Kriege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1008" prev="#ID_1007"> des Suezkanals auf. Mit der Geschichte des Kanals hängt aufs engste die<lb/>
Erwerbung Abens, der Insel Perim, Zyperns und Ägyptens, das heißt die<lb/>
Sicherung des Seewegs nach Indien zusammen. Mit der Kanaleröffnung<lb/>
1869, die nahezu mit dem Geburtsjahr des Schlagwortes vom &#x201E;Greater<lb/>
Britain" zusammenfällt, kann der erste Zeitabschnitt, der vorbereitende, als<lb/>
abgeschlossen gelten. Bis dahin ist die Suezkanalpolitik das politische<lb/>
Programm der englischen Weltpolitik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1009"> Von diesem Augenblick an mußte England das unter dem dritten Napoleon<lb/>
ehrgeizig aufstrebende Frankreich als seinen Hauptgegner ansehen. Der deutsch-<lb/>
französische Krieg befreite England von diesem Bann; der allmähliche Ankauf<lb/>
der Suezkanalaktien, der 1875 abgeschlossen ist, klärt die Suezkanalfrage zunächst<lb/>
völlig. England kann sich im zweiten Abschnitt der Entwicklung des Reichs¬<lb/>
gedankens ganz dem Ausbau seiner Kolonien widmen und erwirbt in dieser<lb/>
Zeit zu seinen Hauptbesitzungen eine große Anzahl von kleineren Kolonien,<lb/>
Kohlenstationen und Jnselchen*), die ihm die Wege zu den Hauptpfeilern des<lb/>
Weltreichs sichern sollen. Der Ausbau des Kolonialreichs ist das Kenn»<lb/>
zeichen dieses Zeitabschnittes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010"> Auch als um 1885 mit dem Beginn der Bismarckschen Kolonialpolitik das<lb/>
Deutsche Reich in die Reihe der Kolonialmächte eintritt, sieht England noch<lb/>
keine Gefährdung seiner Weltherrschaft in diesem Ausdehnungsgelüst der neu¬<lb/>
erstandenen Kontinentalmacht, die einer Flotte so gut wie ganz entbehrte. Erst<lb/>
als etwa mit der Mitte der neunziger Jahre unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten<lb/>
der &#x201E;neue Kurs" einsetzte, als auch im Deutschen Reich eine zielbewußte<lb/>
imperialistische Politik mit einer bis dahin noch nicht hervorgetretenen Betonung<lb/>
des Deutschtums in der Welt zu keimen begann, da trat die Machtverschiebung<lb/>
innerhalb der Großmächte Europas deutlich hervor, rief vor allem England<lb/>
auf den Plan und weckte dort starkes Mißtrauen. Der Helgoland-Sansibar-<lb/>
Tausch war der letzte von? englischen Standpunkt unbegreifliche Fehler der<lb/>
englischen Weltpolitik. Kaiser Wilhelms Schlagwort von &#x201E;Deutschlands Zukunft<lb/>
auf dem Wasser" läßt als ein Warnungsruf das weltpolitische Programm<lb/>
Englands in diesem dritten Zeitabschnitt deutlich werden: Niederhaltung<lb/>
des neuen Gegners mit dem Mittel der Einkreisungspolitik Eduards<lb/>
des Siebenten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1011" next="#ID_1012"> Daneben sah das britische Reich in dem bedrohlichen Anwachsen der<lb/>
russischen Macht in Asien, in der Aufrichtung des französisch-afrikanischen<lb/>
Kolonialreiches und in dem Erstarken der Vereinigten Staaten als einer Vor¬<lb/>
macht auf der Westerde neue Gegner erscheinen, die seiner imperialistischen<lb/>
Politik neue Schwierigkeiten bereiteten. Die astatische und pazifische Frage<lb/>
wird, nachdem die französisch-afrikanische durch den Fall Faschoda (1898) als</p><lb/>
          <note xml:id="FID_29" place="foot"> *) In der Tat wird der Erwerb oder die Festigung dieser kleineren Besitzungen in<lb/>
erster Linie in den Jahren 1866 bis Mitte der neunziger Jahre vollzogen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Englische Weltvolitik und ZVeliverkehrsfragen vor dem Kriege des Suezkanals auf. Mit der Geschichte des Kanals hängt aufs engste die Erwerbung Abens, der Insel Perim, Zyperns und Ägyptens, das heißt die Sicherung des Seewegs nach Indien zusammen. Mit der Kanaleröffnung 1869, die nahezu mit dem Geburtsjahr des Schlagwortes vom „Greater Britain" zusammenfällt, kann der erste Zeitabschnitt, der vorbereitende, als abgeschlossen gelten. Bis dahin ist die Suezkanalpolitik das politische Programm der englischen Weltpolitik. Von diesem Augenblick an mußte England das unter dem dritten Napoleon ehrgeizig aufstrebende Frankreich als seinen Hauptgegner ansehen. Der deutsch- französische Krieg befreite England von diesem Bann; der allmähliche Ankauf der Suezkanalaktien, der 1875 abgeschlossen ist, klärt die Suezkanalfrage zunächst völlig. England kann sich im zweiten Abschnitt der Entwicklung des Reichs¬ gedankens ganz dem Ausbau seiner Kolonien widmen und erwirbt in dieser Zeit zu seinen Hauptbesitzungen eine große Anzahl von kleineren Kolonien, Kohlenstationen und Jnselchen*), die ihm die Wege zu den Hauptpfeilern des Weltreichs sichern sollen. Der Ausbau des Kolonialreichs ist das Kenn» zeichen dieses Zeitabschnittes. Auch als um 1885 mit dem Beginn der Bismarckschen Kolonialpolitik das Deutsche Reich in die Reihe der Kolonialmächte eintritt, sieht England noch keine Gefährdung seiner Weltherrschaft in diesem Ausdehnungsgelüst der neu¬ erstandenen Kontinentalmacht, die einer Flotte so gut wie ganz entbehrte. Erst als etwa mit der Mitte der neunziger Jahre unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten der „neue Kurs" einsetzte, als auch im Deutschen Reich eine zielbewußte imperialistische Politik mit einer bis dahin noch nicht hervorgetretenen Betonung des Deutschtums in der Welt zu keimen begann, da trat die Machtverschiebung innerhalb der Großmächte Europas deutlich hervor, rief vor allem England auf den Plan und weckte dort starkes Mißtrauen. Der Helgoland-Sansibar- Tausch war der letzte von? englischen Standpunkt unbegreifliche Fehler der englischen Weltpolitik. Kaiser Wilhelms Schlagwort von „Deutschlands Zukunft auf dem Wasser" läßt als ein Warnungsruf das weltpolitische Programm Englands in diesem dritten Zeitabschnitt deutlich werden: Niederhaltung des neuen Gegners mit dem Mittel der Einkreisungspolitik Eduards des Siebenten. Daneben sah das britische Reich in dem bedrohlichen Anwachsen der russischen Macht in Asien, in der Aufrichtung des französisch-afrikanischen Kolonialreiches und in dem Erstarken der Vereinigten Staaten als einer Vor¬ macht auf der Westerde neue Gegner erscheinen, die seiner imperialistischen Politik neue Schwierigkeiten bereiteten. Die astatische und pazifische Frage wird, nachdem die französisch-afrikanische durch den Fall Faschoda (1898) als *) In der Tat wird der Erwerb oder die Festigung dieser kleineren Besitzungen in erster Linie in den Jahren 1866 bis Mitte der neunziger Jahre vollzogen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/334>, abgerufen am 17.06.2024.