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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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"wo kommt das Geld her?"

Unser Deutschland gleicht, um das Bild noch einmal zu brauchen, einem
wohlhabenden Manne, der für eine schwere Operation einem großen Chirurgen
mehr zahlen muß, als aus seinem Reineinkommen erübrigt werden kann. Wenn
ihm der ärztliche Eingriff das Leben rettet und die Arbeitsfähigkeit wieder gibt,
wird er die Vermögenseinbuße nicht bedauern. Auch für uns ist dieser Krieg
ein schwerer chirurgischer Eingriff: aber wir sind sicher, daß unsere nationale
Existenz durch ihn gerettet, daß unsere nationale Arbeitsfähigkeit durch ihn vor
schwerer langdauernder Schädigung bewahrt worden ist. Ja, wir hoffen sogar,
daß unseres Landes Kraft und Gesundheit, seine Lebens- und Arbeitsfähigkeit
durch diesen Krieg eine starke Steigerung erfahren wird.

Neue "produktive Kräfte" hat er herausgerufen, nicht nur technische Ver¬
fahren von höherer Ergiebigkeit, die uns von fremden Märkten unabhängiger
machen werden, sondern mehr, wertvolleres als das. Wir werden hoffentlich
durch Zusammenschluß mit unseren Verbündeten und anderen Völkern einen
größeren Wirtschaftskörper bilden -- und es ist bekannt, daß die Ergiebigkeit
der Arbeit wie das Quadrat der Marktgröße wächst: so gewaltige neue Produktiv¬
kräfte der gesteigerten Arbeitsteilung und -Vereinigung ruft die Vergrößerung
des Marktes ins Leben.

Aber auch das, so wertvoll es ist, wird nicht die wertvollste Errungenschaft
dieses großartigen Krieges sein. Sondern das, daß wir eine neue seelische
Einheit erkämpft haben, die nie ganz wieder verloren gehen kann. Und das
wird auch unser wirtschaftliches Leben gewaltig befruchten. Zwischen uns wird
mehr Liebe, Vertrauen und Brüderlichkeit herrschen als vorher, darum mehr
Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Und das sind Kräfte, die auf die Volks¬
wirtschaft wirken wie die Sonnenwärme auf den Acker. Sie sind "außerwirt-
schastlich", aber nur unter ihrer Wirkung kann die Wirtschaft gedeihen.

In die Bilanz unserer Volkswirtschaft können wir diese neuen Kräfte nicht
einstellen. Aber wir dürfen sagen, daß sie die Bilanzen der kommenden Friedens¬
jahre günstig gestalten werden, und daß der Verlustsaldo des Rechnungsjahrs
1914/15 bald getilgt sein wird.




„wo kommt das Geld her?"

Unser Deutschland gleicht, um das Bild noch einmal zu brauchen, einem
wohlhabenden Manne, der für eine schwere Operation einem großen Chirurgen
mehr zahlen muß, als aus seinem Reineinkommen erübrigt werden kann. Wenn
ihm der ärztliche Eingriff das Leben rettet und die Arbeitsfähigkeit wieder gibt,
wird er die Vermögenseinbuße nicht bedauern. Auch für uns ist dieser Krieg
ein schwerer chirurgischer Eingriff: aber wir sind sicher, daß unsere nationale
Existenz durch ihn gerettet, daß unsere nationale Arbeitsfähigkeit durch ihn vor
schwerer langdauernder Schädigung bewahrt worden ist. Ja, wir hoffen sogar,
daß unseres Landes Kraft und Gesundheit, seine Lebens- und Arbeitsfähigkeit
durch diesen Krieg eine starke Steigerung erfahren wird.

Neue „produktive Kräfte" hat er herausgerufen, nicht nur technische Ver¬
fahren von höherer Ergiebigkeit, die uns von fremden Märkten unabhängiger
machen werden, sondern mehr, wertvolleres als das. Wir werden hoffentlich
durch Zusammenschluß mit unseren Verbündeten und anderen Völkern einen
größeren Wirtschaftskörper bilden — und es ist bekannt, daß die Ergiebigkeit
der Arbeit wie das Quadrat der Marktgröße wächst: so gewaltige neue Produktiv¬
kräfte der gesteigerten Arbeitsteilung und -Vereinigung ruft die Vergrößerung
des Marktes ins Leben.

Aber auch das, so wertvoll es ist, wird nicht die wertvollste Errungenschaft
dieses großartigen Krieges sein. Sondern das, daß wir eine neue seelische
Einheit erkämpft haben, die nie ganz wieder verloren gehen kann. Und das
wird auch unser wirtschaftliches Leben gewaltig befruchten. Zwischen uns wird
mehr Liebe, Vertrauen und Brüderlichkeit herrschen als vorher, darum mehr
Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Und das sind Kräfte, die auf die Volks¬
wirtschaft wirken wie die Sonnenwärme auf den Acker. Sie sind „außerwirt-
schastlich", aber nur unter ihrer Wirkung kann die Wirtschaft gedeihen.

In die Bilanz unserer Volkswirtschaft können wir diese neuen Kräfte nicht
einstellen. Aber wir dürfen sagen, daß sie die Bilanzen der kommenden Friedens¬
jahre günstig gestalten werden, und daß der Verlustsaldo des Rechnungsjahrs
1914/15 bald getilgt sein wird.




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[0069] „wo kommt das Geld her?" Unser Deutschland gleicht, um das Bild noch einmal zu brauchen, einem wohlhabenden Manne, der für eine schwere Operation einem großen Chirurgen mehr zahlen muß, als aus seinem Reineinkommen erübrigt werden kann. Wenn ihm der ärztliche Eingriff das Leben rettet und die Arbeitsfähigkeit wieder gibt, wird er die Vermögenseinbuße nicht bedauern. Auch für uns ist dieser Krieg ein schwerer chirurgischer Eingriff: aber wir sind sicher, daß unsere nationale Existenz durch ihn gerettet, daß unsere nationale Arbeitsfähigkeit durch ihn vor schwerer langdauernder Schädigung bewahrt worden ist. Ja, wir hoffen sogar, daß unseres Landes Kraft und Gesundheit, seine Lebens- und Arbeitsfähigkeit durch diesen Krieg eine starke Steigerung erfahren wird. Neue „produktive Kräfte" hat er herausgerufen, nicht nur technische Ver¬ fahren von höherer Ergiebigkeit, die uns von fremden Märkten unabhängiger machen werden, sondern mehr, wertvolleres als das. Wir werden hoffentlich durch Zusammenschluß mit unseren Verbündeten und anderen Völkern einen größeren Wirtschaftskörper bilden — und es ist bekannt, daß die Ergiebigkeit der Arbeit wie das Quadrat der Marktgröße wächst: so gewaltige neue Produktiv¬ kräfte der gesteigerten Arbeitsteilung und -Vereinigung ruft die Vergrößerung des Marktes ins Leben. Aber auch das, so wertvoll es ist, wird nicht die wertvollste Errungenschaft dieses großartigen Krieges sein. Sondern das, daß wir eine neue seelische Einheit erkämpft haben, die nie ganz wieder verloren gehen kann. Und das wird auch unser wirtschaftliches Leben gewaltig befruchten. Zwischen uns wird mehr Liebe, Vertrauen und Brüderlichkeit herrschen als vorher, darum mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Und das sind Kräfte, die auf die Volks¬ wirtschaft wirken wie die Sonnenwärme auf den Acker. Sie sind „außerwirt- schastlich", aber nur unter ihrer Wirkung kann die Wirtschaft gedeihen. In die Bilanz unserer Volkswirtschaft können wir diese neuen Kräfte nicht einstellen. Aber wir dürfen sagen, daß sie die Bilanzen der kommenden Friedens¬ jahre günstig gestalten werden, und daß der Verlustsaldo des Rechnungsjahrs 1914/15 bald getilgt sein wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/69>, abgerufen am 17.06.2024.