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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Weltkrieg und die preise der Lebensmittel

Fleisch 90 Kopeken gegen 18 Kopeken zu Friedenszeiten, ein Pfund Butter
1 Rubel und Eier pro Stück 13 Kopeken. Die Berichte besagen durchweg, daß
die Brotpreise überall gestiegen sind und die ärmeren Klassen außerordentliche
Not leiden. Hierzu kommt noch, daß, nach Genfer Meldungen vom Januar
1915, die Steuern von der Bevölkerung in rücksichtsloser Weise eingetrieben
werden.

Die Maßnahmen der russischen Regierung gegen diese unerträgliche Ver¬
teuerung der Lebensmittel sind vielfach ganz ohne jegliche Wirkung. So hat
man überaus schlimme Erfahrungen mit den in den größeren Städten eingeführten
Höchstpreisen gemacht. Die Produzenten verkauften zu diesen Preisen einfach
nicht. So waren beispielsweise in Kostroma die Händler seit Einführung der
Höchstpreise ganz ohne Landeserzeugnisse.

Die Plan- und Kopflosigkeit der russischen Regierung zeigte sich so recht
bei Kriegsausbruch. Nach Berichten aus den baltischen Provinzen entwickelte
die russische Negierung in ihrem Bestreben, das Heer mit allem nötigen zu
versorgen, kopflosen, alle schädigenden Eifer, und kümmerte sich dabei wenig um
die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung. So wurde beispielsweise den baltischen
Provinzen auferlegt, ganz ungeheuere Mengen von Lebensmitteln zu stellen.
Daß das Gebiet am Ostseestrande von einer Mißernte betroffen war und selber
Mangel litt, störte die russische Regierung wenig. Ebenfalls legte man gleich
nach Ausbruch des Krieges auf alles Vieh der baltischen Provinzen Beschlag
und ordnete an, daß jedem Gehöft nur eine Kuh verbleiben dürfe. Ob das
Anwesen groß oder klein, ob es nur einige wenige Leute beherbergte oder ein
Herrschaftsfitz war, der dreißig bis achtzig Personen Unterkunft und Verpflegung
gewährte, war dabei vollständig gleichgültig. Ferner spielte es keine Rolle, ob es
sich nur um Schlachtvieh oder aber gar um Rassenvieh, das zur Ver¬
edelung der Zucht aus dem Auslande mit großen Kosten eingeführt worden war,
handelte.

Auf dem Mitte Mai 1915 in Kopenhagen lagerten dänischen Holzarbeiter¬
kongreß gab ein als Gast teilnehmender Vertreter der finnländischen Holzarbeiter¬
organisation eine erschütternde Schilderung der verzweifelten Zustände in Finn¬
land. Es wurde betont, daß die Löhne fast aller Industriearbeiter um ein
Drittel reduziert seien, dabei herrsche eine Lebensmittelteuerung, bei der selbst
eine Verdoppelung der früheren Löhne nicht ausreichend wäre.

Nach italienischen Meldungen schwankte in Italien im Mai 1915 der
Weizenpreis auf den dortigen Hauptmärkten zwischen 37 und 40 Mark pro
Doppelzentner. Verschiedenenorts waren aber die Preise noch viel beträchtlicher.
Nach Züricher Meldungen vom 26. Juni 1915 wurde auf dem Markt von
Allessandra 32,50 Lire für den einfachen Zentner Weizen gezahlt. Entsprechend
den Getreidepreisen stiegen die Fleischpreise. Die Steigerung der Preise der
notwendigsten Lebensmittel in Italien bestätigen die vielen Straßenkundgebungen
und Demonstrationen der italienischen Bevölkerung, die beispielsweise in Bar-


Der Weltkrieg und die preise der Lebensmittel

Fleisch 90 Kopeken gegen 18 Kopeken zu Friedenszeiten, ein Pfund Butter
1 Rubel und Eier pro Stück 13 Kopeken. Die Berichte besagen durchweg, daß
die Brotpreise überall gestiegen sind und die ärmeren Klassen außerordentliche
Not leiden. Hierzu kommt noch, daß, nach Genfer Meldungen vom Januar
1915, die Steuern von der Bevölkerung in rücksichtsloser Weise eingetrieben
werden.

Die Maßnahmen der russischen Regierung gegen diese unerträgliche Ver¬
teuerung der Lebensmittel sind vielfach ganz ohne jegliche Wirkung. So hat
man überaus schlimme Erfahrungen mit den in den größeren Städten eingeführten
Höchstpreisen gemacht. Die Produzenten verkauften zu diesen Preisen einfach
nicht. So waren beispielsweise in Kostroma die Händler seit Einführung der
Höchstpreise ganz ohne Landeserzeugnisse.

Die Plan- und Kopflosigkeit der russischen Regierung zeigte sich so recht
bei Kriegsausbruch. Nach Berichten aus den baltischen Provinzen entwickelte
die russische Negierung in ihrem Bestreben, das Heer mit allem nötigen zu
versorgen, kopflosen, alle schädigenden Eifer, und kümmerte sich dabei wenig um
die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung. So wurde beispielsweise den baltischen
Provinzen auferlegt, ganz ungeheuere Mengen von Lebensmitteln zu stellen.
Daß das Gebiet am Ostseestrande von einer Mißernte betroffen war und selber
Mangel litt, störte die russische Regierung wenig. Ebenfalls legte man gleich
nach Ausbruch des Krieges auf alles Vieh der baltischen Provinzen Beschlag
und ordnete an, daß jedem Gehöft nur eine Kuh verbleiben dürfe. Ob das
Anwesen groß oder klein, ob es nur einige wenige Leute beherbergte oder ein
Herrschaftsfitz war, der dreißig bis achtzig Personen Unterkunft und Verpflegung
gewährte, war dabei vollständig gleichgültig. Ferner spielte es keine Rolle, ob es
sich nur um Schlachtvieh oder aber gar um Rassenvieh, das zur Ver¬
edelung der Zucht aus dem Auslande mit großen Kosten eingeführt worden war,
handelte.

Auf dem Mitte Mai 1915 in Kopenhagen lagerten dänischen Holzarbeiter¬
kongreß gab ein als Gast teilnehmender Vertreter der finnländischen Holzarbeiter¬
organisation eine erschütternde Schilderung der verzweifelten Zustände in Finn¬
land. Es wurde betont, daß die Löhne fast aller Industriearbeiter um ein
Drittel reduziert seien, dabei herrsche eine Lebensmittelteuerung, bei der selbst
eine Verdoppelung der früheren Löhne nicht ausreichend wäre.

Nach italienischen Meldungen schwankte in Italien im Mai 1915 der
Weizenpreis auf den dortigen Hauptmärkten zwischen 37 und 40 Mark pro
Doppelzentner. Verschiedenenorts waren aber die Preise noch viel beträchtlicher.
Nach Züricher Meldungen vom 26. Juni 1915 wurde auf dem Markt von
Allessandra 32,50 Lire für den einfachen Zentner Weizen gezahlt. Entsprechend
den Getreidepreisen stiegen die Fleischpreise. Die Steigerung der Preise der
notwendigsten Lebensmittel in Italien bestätigen die vielen Straßenkundgebungen
und Demonstrationen der italienischen Bevölkerung, die beispielsweise in Bar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/90>, abgerufen am 10.06.2024.