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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die politische" Beziehungen zwischen Christentum und Islam

Unter diesen Umstünden war jede politische oder völkerrechtliche Beziehung
mit einem Staate des Islam, als dessen Hauptvertreter seit Beginn der Neuzeit
die in Europa erobernd vordringenden Türken zu betrachten waren, ausgeschlossen.
Der Türke galt als der gemeinsame Feind der gesamten Christenheit. Für seine
Vernichtung zu beten, ihn nach Kräften zu bekämpfen war einfach gemeine
Christenpflicht ohne Unterschied des Bekenntnisses.

Andererseits wurde bei der Vielgestaltigkeit und dem inneren Zusammen¬
hange her europäischen Länder jede in Europa bestehende Macht in die politischen
Beziehungen der europäischen Staaten hineingezogen, mochte man sich aus über¬
lieferten religiös-politischen Grundsätzen an sich auch noch so ablehnend gegen
sie verhalten.

Das zeigte sich auch bei den Türken, sobald sie als europäische Macht in
Europa festen Fuß gefaßt hatten. Der allcrchristlichste König Franz der Erste
von Frankreich war der erste, der in seiner Not kein Bedenken trug, sich mit ihnen
gegen seinen mächtigen Feind Kaiser Karl den Fünften zu verbinden. Noch aus
seinem Gefängnisse in Madrid war er zu Sultan Soliman in Beziehungen ge¬
treten, um später mit ihm ein förmliches Bündnis zu schließen. Allerdings mußte
er dabei anderen gegenüber noch ein gewisses Schamgefühl zeigen, wie er dem
venetianischen Gesandten erklärte: "Ich kann nicht leugnen, ich wünsche, daß die
Türken mächtig in See erscheinen; nicht als ob ich an ihren Vorteilen Gefallen
fände, denn sie sind Ungläubige und wir sind Christen; aber sie geben dem Kaiser
zu schaffen und bewirken dadurch eine größere Sicherheit anderer Potentaten."

Seitdem war bis zum spanischen Erbfolgekriege die europäische Politik durch
den Gegensatz Frankreichs gegen das Haus Hcibsburg in seinen beiden Linien,
die spanische und die österreichische, bestimmt. Andererseits drangen die noch
jngendkräftigeu Türken überall an den Küsten des Mittelmeeres, in den alten
verfallenden islamitischen Staaten Afrikas und von der Balkanhalbinsel in Ungarn
erobernd vor. Sie mußten dabei auf den Widerstand der beiden Habsburger
Mächte, von denen die österreichische sich auf das heilige römische Reich deutscher
Nation stützte, stoßen. Beider Feind waren aber auch die Franzosen. So
bahnte sich über die einst von König Franz dein Ersten angeknüpfte Verbindung
hinaus zwischen Franzosen und Türken die engste Interessengemeinschaft an.
Sollte diese sich nicht auch in Rechtsformen umsetzen können?

Ludwig der Vierzehnte hat zwar äußerlich vermieden, mit den Türken förm¬
liche Bündnisse zu schließen wie einst sein Vorgänger Franz der Erste ja wohl
einmal sein christliches Gemeingefühl dadurch bekundet, daß er dem Kaiser nach
Ungarn eine kleine Hilfstruppe schickte. Aber die politische Interessengemeinschaft
setzte sich eben auch ohne förmliches Bündnis durch.

Aus dieser politischen Stellung zogen aber die Franzosen auch die be¬
deutendsten wirtschaftlichen Vorteile im osmanischen Reiche. Schon 1535 war
die erste der sogenannten Kapitulationen zwischen Frankreich und der Türkei
geschlossen, wodurch die Sonderstellung der Franzosen in der Türkei bestimmt


Die politische» Beziehungen zwischen Christentum und Islam

Unter diesen Umstünden war jede politische oder völkerrechtliche Beziehung
mit einem Staate des Islam, als dessen Hauptvertreter seit Beginn der Neuzeit
die in Europa erobernd vordringenden Türken zu betrachten waren, ausgeschlossen.
Der Türke galt als der gemeinsame Feind der gesamten Christenheit. Für seine
Vernichtung zu beten, ihn nach Kräften zu bekämpfen war einfach gemeine
Christenpflicht ohne Unterschied des Bekenntnisses.

Andererseits wurde bei der Vielgestaltigkeit und dem inneren Zusammen¬
hange her europäischen Länder jede in Europa bestehende Macht in die politischen
Beziehungen der europäischen Staaten hineingezogen, mochte man sich aus über¬
lieferten religiös-politischen Grundsätzen an sich auch noch so ablehnend gegen
sie verhalten.

Das zeigte sich auch bei den Türken, sobald sie als europäische Macht in
Europa festen Fuß gefaßt hatten. Der allcrchristlichste König Franz der Erste
von Frankreich war der erste, der in seiner Not kein Bedenken trug, sich mit ihnen
gegen seinen mächtigen Feind Kaiser Karl den Fünften zu verbinden. Noch aus
seinem Gefängnisse in Madrid war er zu Sultan Soliman in Beziehungen ge¬
treten, um später mit ihm ein förmliches Bündnis zu schließen. Allerdings mußte
er dabei anderen gegenüber noch ein gewisses Schamgefühl zeigen, wie er dem
venetianischen Gesandten erklärte: „Ich kann nicht leugnen, ich wünsche, daß die
Türken mächtig in See erscheinen; nicht als ob ich an ihren Vorteilen Gefallen
fände, denn sie sind Ungläubige und wir sind Christen; aber sie geben dem Kaiser
zu schaffen und bewirken dadurch eine größere Sicherheit anderer Potentaten."

Seitdem war bis zum spanischen Erbfolgekriege die europäische Politik durch
den Gegensatz Frankreichs gegen das Haus Hcibsburg in seinen beiden Linien,
die spanische und die österreichische, bestimmt. Andererseits drangen die noch
jngendkräftigeu Türken überall an den Küsten des Mittelmeeres, in den alten
verfallenden islamitischen Staaten Afrikas und von der Balkanhalbinsel in Ungarn
erobernd vor. Sie mußten dabei auf den Widerstand der beiden Habsburger
Mächte, von denen die österreichische sich auf das heilige römische Reich deutscher
Nation stützte, stoßen. Beider Feind waren aber auch die Franzosen. So
bahnte sich über die einst von König Franz dein Ersten angeknüpfte Verbindung
hinaus zwischen Franzosen und Türken die engste Interessengemeinschaft an.
Sollte diese sich nicht auch in Rechtsformen umsetzen können?

Ludwig der Vierzehnte hat zwar äußerlich vermieden, mit den Türken förm¬
liche Bündnisse zu schließen wie einst sein Vorgänger Franz der Erste ja wohl
einmal sein christliches Gemeingefühl dadurch bekundet, daß er dem Kaiser nach
Ungarn eine kleine Hilfstruppe schickte. Aber die politische Interessengemeinschaft
setzte sich eben auch ohne förmliches Bündnis durch.

Aus dieser politischen Stellung zogen aber die Franzosen auch die be¬
deutendsten wirtschaftlichen Vorteile im osmanischen Reiche. Schon 1535 war
die erste der sogenannten Kapitulationen zwischen Frankreich und der Türkei
geschlossen, wodurch die Sonderstellung der Franzosen in der Türkei bestimmt


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[0270] Die politische» Beziehungen zwischen Christentum und Islam Unter diesen Umstünden war jede politische oder völkerrechtliche Beziehung mit einem Staate des Islam, als dessen Hauptvertreter seit Beginn der Neuzeit die in Europa erobernd vordringenden Türken zu betrachten waren, ausgeschlossen. Der Türke galt als der gemeinsame Feind der gesamten Christenheit. Für seine Vernichtung zu beten, ihn nach Kräften zu bekämpfen war einfach gemeine Christenpflicht ohne Unterschied des Bekenntnisses. Andererseits wurde bei der Vielgestaltigkeit und dem inneren Zusammen¬ hange her europäischen Länder jede in Europa bestehende Macht in die politischen Beziehungen der europäischen Staaten hineingezogen, mochte man sich aus über¬ lieferten religiös-politischen Grundsätzen an sich auch noch so ablehnend gegen sie verhalten. Das zeigte sich auch bei den Türken, sobald sie als europäische Macht in Europa festen Fuß gefaßt hatten. Der allcrchristlichste König Franz der Erste von Frankreich war der erste, der in seiner Not kein Bedenken trug, sich mit ihnen gegen seinen mächtigen Feind Kaiser Karl den Fünften zu verbinden. Noch aus seinem Gefängnisse in Madrid war er zu Sultan Soliman in Beziehungen ge¬ treten, um später mit ihm ein förmliches Bündnis zu schließen. Allerdings mußte er dabei anderen gegenüber noch ein gewisses Schamgefühl zeigen, wie er dem venetianischen Gesandten erklärte: „Ich kann nicht leugnen, ich wünsche, daß die Türken mächtig in See erscheinen; nicht als ob ich an ihren Vorteilen Gefallen fände, denn sie sind Ungläubige und wir sind Christen; aber sie geben dem Kaiser zu schaffen und bewirken dadurch eine größere Sicherheit anderer Potentaten." Seitdem war bis zum spanischen Erbfolgekriege die europäische Politik durch den Gegensatz Frankreichs gegen das Haus Hcibsburg in seinen beiden Linien, die spanische und die österreichische, bestimmt. Andererseits drangen die noch jngendkräftigeu Türken überall an den Küsten des Mittelmeeres, in den alten verfallenden islamitischen Staaten Afrikas und von der Balkanhalbinsel in Ungarn erobernd vor. Sie mußten dabei auf den Widerstand der beiden Habsburger Mächte, von denen die österreichische sich auf das heilige römische Reich deutscher Nation stützte, stoßen. Beider Feind waren aber auch die Franzosen. So bahnte sich über die einst von König Franz dein Ersten angeknüpfte Verbindung hinaus zwischen Franzosen und Türken die engste Interessengemeinschaft an. Sollte diese sich nicht auch in Rechtsformen umsetzen können? Ludwig der Vierzehnte hat zwar äußerlich vermieden, mit den Türken förm¬ liche Bündnisse zu schließen wie einst sein Vorgänger Franz der Erste ja wohl einmal sein christliches Gemeingefühl dadurch bekundet, daß er dem Kaiser nach Ungarn eine kleine Hilfstruppe schickte. Aber die politische Interessengemeinschaft setzte sich eben auch ohne förmliches Bündnis durch. Aus dieser politischen Stellung zogen aber die Franzosen auch die be¬ deutendsten wirtschaftlichen Vorteile im osmanischen Reiche. Schon 1535 war die erste der sogenannten Kapitulationen zwischen Frankreich und der Türkei geschlossen, wodurch die Sonderstellung der Franzosen in der Türkei bestimmt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/270>, abgerufen am 24.05.2024.