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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Lin mitteleuropäisch-vorderasiatischer Schiedsgerichtsbund

Eine straffere Staatenverbinduug, selbst nur in der losen Form des Staaten¬
bundes, will, so scheint es, keiner der verbündeten Staaten in eifersüchtiger Sorge
um sein Hoheitsrecht dulden. Sie würde eine Quelle des Mißmutes werden
und den machtpolitischen Einfluß des Vierbundes schädigen. Umgekehrt aber
dient das Bewußtsein, daß eine unparteiische Rechtsprechung den Mißbrauch
wirtschafts- und verkehrspolitischer Vorzugsstellungen ausschließt, der Befestigung
auch des militärpolitischen Bündnisses.

Schon die Zeit vor dem Weltkriege kannte Kompromisse auf Schiedsgerichte,
die sich aus der Auslegung von Handelsverträgen ergeben könnten. Ein Schieds¬
gerichtsbund des mitteleuropäisch-vorderasiatischen Vierbundes würde in allen
Streitfällen, die nicht die Ehre, die Unabhängigkeit und das Lebensdasein be¬
rühren, einen ständigen Schiedsgerichtshof automatisch in Tätigkeit setzen, sobald
sich der Streitpunkt nicht durch direkte diplomatische Verhandlungen von Kabinett
zu Kabinett im Handumdrehen aus der Welt schaffen ließe. Der jedesmalige
Obmann könnte aus der Reihe der an dem zur Erörterung stehenden Streit¬
fall unbeteiligten Schiedsrichter ernannt werden. Für Meinungsverschieden¬
heiten zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn z. B. würden Bul¬
garien und die Türkei, für eine solche zwischen dem deutschen und dem os-
manischen Reich der Habsburgische und der bulgarische Staat abwechselnd den
obersten Schiedsmann stellen und so fort. Schwierigkeiten bestehen hier nur
theoretisch und find im übrigen dazu da, überwunden zu werden.

Gedanken, einmal ausgesprochen, können nicht sterben. Der Schiedsgerichts¬
gedanke ist unsterblich. Der Weltschiedsgerichtsvertrag scheiterte an der Un¬
möglichkeit, die Interessengegensätze zu übersehen. Der mitteleuropäisch-vorder-
asiatische Schiedsgerichtsbund ist die Verkörperung der Interessengemeinschaft des
Gebietes zwischen Nordsee und Irdischen Ozean. Er bedeutet in seiner Ein¬
fachheit einen Fortschritt der politischen Kultur und wird der Freiheit und der
Entwicklung der dem Mittel- und dem Schwarzen Meer anliegenden Staaten
eine zukunftsreiche Stütze bieten.




Lin mitteleuropäisch-vorderasiatischer Schiedsgerichtsbund

Eine straffere Staatenverbinduug, selbst nur in der losen Form des Staaten¬
bundes, will, so scheint es, keiner der verbündeten Staaten in eifersüchtiger Sorge
um sein Hoheitsrecht dulden. Sie würde eine Quelle des Mißmutes werden
und den machtpolitischen Einfluß des Vierbundes schädigen. Umgekehrt aber
dient das Bewußtsein, daß eine unparteiische Rechtsprechung den Mißbrauch
wirtschafts- und verkehrspolitischer Vorzugsstellungen ausschließt, der Befestigung
auch des militärpolitischen Bündnisses.

Schon die Zeit vor dem Weltkriege kannte Kompromisse auf Schiedsgerichte,
die sich aus der Auslegung von Handelsverträgen ergeben könnten. Ein Schieds¬
gerichtsbund des mitteleuropäisch-vorderasiatischen Vierbundes würde in allen
Streitfällen, die nicht die Ehre, die Unabhängigkeit und das Lebensdasein be¬
rühren, einen ständigen Schiedsgerichtshof automatisch in Tätigkeit setzen, sobald
sich der Streitpunkt nicht durch direkte diplomatische Verhandlungen von Kabinett
zu Kabinett im Handumdrehen aus der Welt schaffen ließe. Der jedesmalige
Obmann könnte aus der Reihe der an dem zur Erörterung stehenden Streit¬
fall unbeteiligten Schiedsrichter ernannt werden. Für Meinungsverschieden¬
heiten zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn z. B. würden Bul¬
garien und die Türkei, für eine solche zwischen dem deutschen und dem os-
manischen Reich der Habsburgische und der bulgarische Staat abwechselnd den
obersten Schiedsmann stellen und so fort. Schwierigkeiten bestehen hier nur
theoretisch und find im übrigen dazu da, überwunden zu werden.

Gedanken, einmal ausgesprochen, können nicht sterben. Der Schiedsgerichts¬
gedanke ist unsterblich. Der Weltschiedsgerichtsvertrag scheiterte an der Un¬
möglichkeit, die Interessengegensätze zu übersehen. Der mitteleuropäisch-vorder-
asiatische Schiedsgerichtsbund ist die Verkörperung der Interessengemeinschaft des
Gebietes zwischen Nordsee und Irdischen Ozean. Er bedeutet in seiner Ein¬
fachheit einen Fortschritt der politischen Kultur und wird der Freiheit und der
Entwicklung der dem Mittel- und dem Schwarzen Meer anliegenden Staaten
eine zukunftsreiche Stütze bieten.




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[0112] Lin mitteleuropäisch-vorderasiatischer Schiedsgerichtsbund Eine straffere Staatenverbinduug, selbst nur in der losen Form des Staaten¬ bundes, will, so scheint es, keiner der verbündeten Staaten in eifersüchtiger Sorge um sein Hoheitsrecht dulden. Sie würde eine Quelle des Mißmutes werden und den machtpolitischen Einfluß des Vierbundes schädigen. Umgekehrt aber dient das Bewußtsein, daß eine unparteiische Rechtsprechung den Mißbrauch wirtschafts- und verkehrspolitischer Vorzugsstellungen ausschließt, der Befestigung auch des militärpolitischen Bündnisses. Schon die Zeit vor dem Weltkriege kannte Kompromisse auf Schiedsgerichte, die sich aus der Auslegung von Handelsverträgen ergeben könnten. Ein Schieds¬ gerichtsbund des mitteleuropäisch-vorderasiatischen Vierbundes würde in allen Streitfällen, die nicht die Ehre, die Unabhängigkeit und das Lebensdasein be¬ rühren, einen ständigen Schiedsgerichtshof automatisch in Tätigkeit setzen, sobald sich der Streitpunkt nicht durch direkte diplomatische Verhandlungen von Kabinett zu Kabinett im Handumdrehen aus der Welt schaffen ließe. Der jedesmalige Obmann könnte aus der Reihe der an dem zur Erörterung stehenden Streit¬ fall unbeteiligten Schiedsrichter ernannt werden. Für Meinungsverschieden¬ heiten zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn z. B. würden Bul¬ garien und die Türkei, für eine solche zwischen dem deutschen und dem os- manischen Reich der Habsburgische und der bulgarische Staat abwechselnd den obersten Schiedsmann stellen und so fort. Schwierigkeiten bestehen hier nur theoretisch und find im übrigen dazu da, überwunden zu werden. Gedanken, einmal ausgesprochen, können nicht sterben. Der Schiedsgerichts¬ gedanke ist unsterblich. Der Weltschiedsgerichtsvertrag scheiterte an der Un¬ möglichkeit, die Interessengegensätze zu übersehen. Der mitteleuropäisch-vorder- asiatische Schiedsgerichtsbund ist die Verkörperung der Interessengemeinschaft des Gebietes zwischen Nordsee und Irdischen Ozean. Er bedeutet in seiner Ein¬ fachheit einen Fortschritt der politischen Kultur und wird der Freiheit und der Entwicklung der dem Mittel- und dem Schwarzen Meer anliegenden Staaten eine zukunftsreiche Stütze bieten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/112>, abgerufen am 21.05.2024.