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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Revolutionäre Strömungen in Rußland

Ernten befriedigt und die Agrarreform im besten Zuge; -- die russische Bour¬
geoisie verdiente durch die überreiche Befruchtung des Landes mit deutschem
Gelde, das der soviel geschmähte Handelsvertrag den Russen gebracht hatte,
so glänzend, daß sie schon halb auf dem Wege war, sich mit den bestehenden
Zuständen auszusöhnen, jedenfalls aber volle Bereitschaft zeigte, wie ein Gimpel
auf den Leim zu gehen und der nationalistischen Politik der Negierung blind¬
lings zu folgen.

Die erste Phase des Krieges brachte also nicht nur keine Revolution,
sondern die Arbeiter, die in Rußland immer revolutionäre Tendenzen gehabt
haben, wurden teils durch die pauslavistische Agitation, teils durch Terrorismus
und die Drohung mit dem Standgericht in die der Regierung genehme Haltung
gebracht.

Es kam die zweite Phase des Krieges für Rußland, die der "Sozialdemokrat"
wie folgt charakterisiert:


"Siege der zarischen Armeen in Galizien. Ein noch größerer AuZ-
bruch des Schwarzhundert-Chauvinismus. Die Bande des schwarzen
Hundert feiert ihre Orgien nicht nur innerhalb Rußlands, sie beraubt,
sie zerstört, sie erwürgt die Bevölkerung Galiziens. Die Bourgeoisie
schwelgt im Vorgeschmack der Gewinne, die ihren Taschen mit der Ein"
nähme der Dardanellen zufließen würden, was wie es schien eine Frage
der nächsten Zukunft sein würde. Der Liberalismus fällt noch demon¬
strativer vor dem Zarenthron auf die Knie. Die Demokratie schweigt.
Die Kontrerevolution wütet mit noch größerem Zynismus." --

Auch während dieser Zeit konnte natürlich von irgend welchen revolutionären
oder Arbeiterbewegungen nicht die Rede sein. Im Gegenteil, wir sehen, wie
sogar die größten Feinde des Zarismus. Leute mit ausgesprochen revolutionärer
Vergangenheit, verseucht von den Ideen der Ententepresse, die Deutschland als
den internationalen reaktionären Popanz, als Feind jeden Fortschritts hinstellt,
den imperialistischen russischen Regierungsideen verfallen. Vera Fiegner und
Burzew sind gute Beispiele für diese Strömung. Sie kehren aus ihrem Pariser
Asyl zurück, um sich dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen, ohne die wirk¬
lichen Tendenzen der zarischeu Regierung zu erkennen, die den Heimgekehrten
in den russischen Gefängnissen und in Sibirien einen warmen Empfang bereitete.
In Paris gab es eine Menge revolutionärer Russen, die zwar nicht heim¬
kehrten, aber sich der französischen Regierung halb gezwungen halb freiwillig
zur Verfügung stellten. Von den unmenschlichen Leiden, denen sie in der
französischen Fremdenlegion unterworfen wurden, legt eine Veröffentlichung der
russischen Emigrantenkolonie Zeugnis ab. Wo sie nicht im Schützengraben¬
kampfe den Tod fanden, da bereitete ihnen die Kugel der französischen Freunde
den Untergang. Dutzende von den russischen Freiwilligen sind von französischen
Standgerichten wegen angeblicher disziplinarischer Vergehungen ohne eigentlichen
Urteilsspruch zum Tode des Erschießens bestimmt und hingerichtet worden.


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Revolutionäre Strömungen in Rußland

Ernten befriedigt und die Agrarreform im besten Zuge; — die russische Bour¬
geoisie verdiente durch die überreiche Befruchtung des Landes mit deutschem
Gelde, das der soviel geschmähte Handelsvertrag den Russen gebracht hatte,
so glänzend, daß sie schon halb auf dem Wege war, sich mit den bestehenden
Zuständen auszusöhnen, jedenfalls aber volle Bereitschaft zeigte, wie ein Gimpel
auf den Leim zu gehen und der nationalistischen Politik der Negierung blind¬
lings zu folgen.

Die erste Phase des Krieges brachte also nicht nur keine Revolution,
sondern die Arbeiter, die in Rußland immer revolutionäre Tendenzen gehabt
haben, wurden teils durch die pauslavistische Agitation, teils durch Terrorismus
und die Drohung mit dem Standgericht in die der Regierung genehme Haltung
gebracht.

Es kam die zweite Phase des Krieges für Rußland, die der „Sozialdemokrat"
wie folgt charakterisiert:


„Siege der zarischen Armeen in Galizien. Ein noch größerer AuZ-
bruch des Schwarzhundert-Chauvinismus. Die Bande des schwarzen
Hundert feiert ihre Orgien nicht nur innerhalb Rußlands, sie beraubt,
sie zerstört, sie erwürgt die Bevölkerung Galiziens. Die Bourgeoisie
schwelgt im Vorgeschmack der Gewinne, die ihren Taschen mit der Ein«
nähme der Dardanellen zufließen würden, was wie es schien eine Frage
der nächsten Zukunft sein würde. Der Liberalismus fällt noch demon¬
strativer vor dem Zarenthron auf die Knie. Die Demokratie schweigt.
Die Kontrerevolution wütet mit noch größerem Zynismus." —

Auch während dieser Zeit konnte natürlich von irgend welchen revolutionären
oder Arbeiterbewegungen nicht die Rede sein. Im Gegenteil, wir sehen, wie
sogar die größten Feinde des Zarismus. Leute mit ausgesprochen revolutionärer
Vergangenheit, verseucht von den Ideen der Ententepresse, die Deutschland als
den internationalen reaktionären Popanz, als Feind jeden Fortschritts hinstellt,
den imperialistischen russischen Regierungsideen verfallen. Vera Fiegner und
Burzew sind gute Beispiele für diese Strömung. Sie kehren aus ihrem Pariser
Asyl zurück, um sich dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen, ohne die wirk¬
lichen Tendenzen der zarischeu Regierung zu erkennen, die den Heimgekehrten
in den russischen Gefängnissen und in Sibirien einen warmen Empfang bereitete.
In Paris gab es eine Menge revolutionärer Russen, die zwar nicht heim¬
kehrten, aber sich der französischen Regierung halb gezwungen halb freiwillig
zur Verfügung stellten. Von den unmenschlichen Leiden, denen sie in der
französischen Fremdenlegion unterworfen wurden, legt eine Veröffentlichung der
russischen Emigrantenkolonie Zeugnis ab. Wo sie nicht im Schützengraben¬
kampfe den Tod fanden, da bereitete ihnen die Kugel der französischen Freunde
den Untergang. Dutzende von den russischen Freiwilligen sind von französischen
Standgerichten wegen angeblicher disziplinarischer Vergehungen ohne eigentlichen
Urteilsspruch zum Tode des Erschießens bestimmt und hingerichtet worden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/15>, abgerufen am 21.05.2024.