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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Anliur im englischen Spiegel

Der Zweck des Buches ist "einen Überblick über die Hauptsphären
menschlicher Tätigkeit in dieser Richtung ohne Einseitigkeit und Partei¬
nahme zu geben."

Wir haben es also hier mit einem klassischen Dokument der Einschätzung
dos deutschen Anteils an der Weltkultur, den ihr unabhängige, mutige und
sachkundige Männer in Großbritannien notgedrungen einräumen, zu tun,
Männer, die noch dazu nach ihrer Herkunft und ihrem Amt, sowie nach diesen
ihren Äußerungen selbst, als nichts weniger als deutschfreundlich bezeichnet
werden können. Der Lärm, den eine gewisse Presse der in den Krieg gegen
Deutschland verwickelten und neutralen Länder gegen die kulturelle Bedeutung
Deutschlands geschlagen hat, muß fürderhin -- nach dem Erscheinen dieses
Buches -- entweder als auf bösem Willen oder grober Unkenntnis beruhend
bezeichnet werden. Dabei ist nicht nur das erste Kapitel: "Oennany aricl
Pru88la" von einem ganz ausgeprägt antideutschen Standpunkt geschrieben, aus-
gehend von der Voraussetzung, daß die Gründung des Deutschen Kaiserreiches,
"jedenfalls die eines besseren und mehr balancierten Deutschlands ohne die rohen
und brutalen Mittel Bismarcks" möglich gewesen wäre. Es heißt da: "Bismarck
nahm seine Zuflucht zu einer gewaltsamen, chirurgischen Operation, um ein
Ergebnis zu erreichen, das auch auf dem Wege gewöhnlicher medizinischer Be¬
handlung möglich gewesen wäre und Arroganz und Selbstüberhebung sind die
Eigenschaften, die sich dabei in einer teutonischen Rasse aller Wahrscheinlichkeit
nach entwickeln mußten." (S. 27 und 28.) Der Verfasser dieses Kapitels hat
sogar die Anschauung, daß eine gewisse neue deutsche Literatur die ganze
Geschichte des Mittelalters zu dem Zweck absichtlich falsch darstellt, um angeblich
zu beweisen, daß der Purpur des kaiserlichen Roms auf die Schultern Deutsch¬
lands übergegangen sei und daß die Hohenzollern die Macht und Prcitentionen
der Karolinger, der Ottonen und der Hohenstaufen erbten und also in die Fuß"
stapfen des heiligen römischen Reiches traten, dessen Geschichte "ein unvergäng¬
liches Zeugnis der politischen Unzulänglichkeit Deutschlands sei". (S. 31.) Ja,
noch mehr: die Konzeption einer solchen göttlichen Misston sei ein Inventarstück der
Vorstellungen des deutschen Volkes geworden, dessen Sinn für Humor seitdem durch
eine extravagante Selbstüberschätzung eingeschläfert sei. Der englische Verfasser
kann sich natürlich auch am Schluß nicht enthalten, zu bemerken, daß ihm zweifelhaft
erscheine, ob die Welt eine starke Sehnsucht empfinde, "die Segnungen der
Zivilisation künftig von einem Staat zu beziehen, der Vertragsoerpflichtungen
mißachte, den schwächeren Nachbar zermalme, den zu verteidigen seine Aufgabe
gewesen wäre, und der den Krieg mit zynischer Brutalität führe."

Kann man hiernach über die prinzipielle Stellungnahme der Verfasser zu
dem deutsch englischen Problem nicht im Zweifel sein, so wirken die Urteile
dieser Fachmänner, die sämtlich Feinde Deutschlands sind, in ihrer eigentlichen
Sphäre um so stärker, als diese Anerkennung mit echt englischer reservierter
Kühle und der uns nun so wohlbekannten Geste des "Aibiter aurai", sozu¬
sagen nur widerwillig und mit zusammengepreßten Zähnen, vorgetragen wird.


Deutsche Anliur im englischen Spiegel

Der Zweck des Buches ist „einen Überblick über die Hauptsphären
menschlicher Tätigkeit in dieser Richtung ohne Einseitigkeit und Partei¬
nahme zu geben."

Wir haben es also hier mit einem klassischen Dokument der Einschätzung
dos deutschen Anteils an der Weltkultur, den ihr unabhängige, mutige und
sachkundige Männer in Großbritannien notgedrungen einräumen, zu tun,
Männer, die noch dazu nach ihrer Herkunft und ihrem Amt, sowie nach diesen
ihren Äußerungen selbst, als nichts weniger als deutschfreundlich bezeichnet
werden können. Der Lärm, den eine gewisse Presse der in den Krieg gegen
Deutschland verwickelten und neutralen Länder gegen die kulturelle Bedeutung
Deutschlands geschlagen hat, muß fürderhin — nach dem Erscheinen dieses
Buches — entweder als auf bösem Willen oder grober Unkenntnis beruhend
bezeichnet werden. Dabei ist nicht nur das erste Kapitel: „Oennany aricl
Pru88la" von einem ganz ausgeprägt antideutschen Standpunkt geschrieben, aus-
gehend von der Voraussetzung, daß die Gründung des Deutschen Kaiserreiches,
„jedenfalls die eines besseren und mehr balancierten Deutschlands ohne die rohen
und brutalen Mittel Bismarcks" möglich gewesen wäre. Es heißt da: „Bismarck
nahm seine Zuflucht zu einer gewaltsamen, chirurgischen Operation, um ein
Ergebnis zu erreichen, das auch auf dem Wege gewöhnlicher medizinischer Be¬
handlung möglich gewesen wäre und Arroganz und Selbstüberhebung sind die
Eigenschaften, die sich dabei in einer teutonischen Rasse aller Wahrscheinlichkeit
nach entwickeln mußten." (S. 27 und 28.) Der Verfasser dieses Kapitels hat
sogar die Anschauung, daß eine gewisse neue deutsche Literatur die ganze
Geschichte des Mittelalters zu dem Zweck absichtlich falsch darstellt, um angeblich
zu beweisen, daß der Purpur des kaiserlichen Roms auf die Schultern Deutsch¬
lands übergegangen sei und daß die Hohenzollern die Macht und Prcitentionen
der Karolinger, der Ottonen und der Hohenstaufen erbten und also in die Fuß«
stapfen des heiligen römischen Reiches traten, dessen Geschichte „ein unvergäng¬
liches Zeugnis der politischen Unzulänglichkeit Deutschlands sei". (S. 31.) Ja,
noch mehr: die Konzeption einer solchen göttlichen Misston sei ein Inventarstück der
Vorstellungen des deutschen Volkes geworden, dessen Sinn für Humor seitdem durch
eine extravagante Selbstüberschätzung eingeschläfert sei. Der englische Verfasser
kann sich natürlich auch am Schluß nicht enthalten, zu bemerken, daß ihm zweifelhaft
erscheine, ob die Welt eine starke Sehnsucht empfinde, „die Segnungen der
Zivilisation künftig von einem Staat zu beziehen, der Vertragsoerpflichtungen
mißachte, den schwächeren Nachbar zermalme, den zu verteidigen seine Aufgabe
gewesen wäre, und der den Krieg mit zynischer Brutalität führe."

Kann man hiernach über die prinzipielle Stellungnahme der Verfasser zu
dem deutsch englischen Problem nicht im Zweifel sein, so wirken die Urteile
dieser Fachmänner, die sämtlich Feinde Deutschlands sind, in ihrer eigentlichen
Sphäre um so stärker, als diese Anerkennung mit echt englischer reservierter
Kühle und der uns nun so wohlbekannten Geste des „Aibiter aurai", sozu¬
sagen nur widerwillig und mit zusammengepreßten Zähnen, vorgetragen wird.


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[0214] Deutsche Anliur im englischen Spiegel Der Zweck des Buches ist „einen Überblick über die Hauptsphären menschlicher Tätigkeit in dieser Richtung ohne Einseitigkeit und Partei¬ nahme zu geben." Wir haben es also hier mit einem klassischen Dokument der Einschätzung dos deutschen Anteils an der Weltkultur, den ihr unabhängige, mutige und sachkundige Männer in Großbritannien notgedrungen einräumen, zu tun, Männer, die noch dazu nach ihrer Herkunft und ihrem Amt, sowie nach diesen ihren Äußerungen selbst, als nichts weniger als deutschfreundlich bezeichnet werden können. Der Lärm, den eine gewisse Presse der in den Krieg gegen Deutschland verwickelten und neutralen Länder gegen die kulturelle Bedeutung Deutschlands geschlagen hat, muß fürderhin — nach dem Erscheinen dieses Buches — entweder als auf bösem Willen oder grober Unkenntnis beruhend bezeichnet werden. Dabei ist nicht nur das erste Kapitel: „Oennany aricl Pru88la" von einem ganz ausgeprägt antideutschen Standpunkt geschrieben, aus- gehend von der Voraussetzung, daß die Gründung des Deutschen Kaiserreiches, „jedenfalls die eines besseren und mehr balancierten Deutschlands ohne die rohen und brutalen Mittel Bismarcks" möglich gewesen wäre. Es heißt da: „Bismarck nahm seine Zuflucht zu einer gewaltsamen, chirurgischen Operation, um ein Ergebnis zu erreichen, das auch auf dem Wege gewöhnlicher medizinischer Be¬ handlung möglich gewesen wäre und Arroganz und Selbstüberhebung sind die Eigenschaften, die sich dabei in einer teutonischen Rasse aller Wahrscheinlichkeit nach entwickeln mußten." (S. 27 und 28.) Der Verfasser dieses Kapitels hat sogar die Anschauung, daß eine gewisse neue deutsche Literatur die ganze Geschichte des Mittelalters zu dem Zweck absichtlich falsch darstellt, um angeblich zu beweisen, daß der Purpur des kaiserlichen Roms auf die Schultern Deutsch¬ lands übergegangen sei und daß die Hohenzollern die Macht und Prcitentionen der Karolinger, der Ottonen und der Hohenstaufen erbten und also in die Fuß« stapfen des heiligen römischen Reiches traten, dessen Geschichte „ein unvergäng¬ liches Zeugnis der politischen Unzulänglichkeit Deutschlands sei". (S. 31.) Ja, noch mehr: die Konzeption einer solchen göttlichen Misston sei ein Inventarstück der Vorstellungen des deutschen Volkes geworden, dessen Sinn für Humor seitdem durch eine extravagante Selbstüberschätzung eingeschläfert sei. Der englische Verfasser kann sich natürlich auch am Schluß nicht enthalten, zu bemerken, daß ihm zweifelhaft erscheine, ob die Welt eine starke Sehnsucht empfinde, „die Segnungen der Zivilisation künftig von einem Staat zu beziehen, der Vertragsoerpflichtungen mißachte, den schwächeren Nachbar zermalme, den zu verteidigen seine Aufgabe gewesen wäre, und der den Krieg mit zynischer Brutalität führe." Kann man hiernach über die prinzipielle Stellungnahme der Verfasser zu dem deutsch englischen Problem nicht im Zweifel sein, so wirken die Urteile dieser Fachmänner, die sämtlich Feinde Deutschlands sind, in ihrer eigentlichen Sphäre um so stärker, als diese Anerkennung mit echt englischer reservierter Kühle und der uns nun so wohlbekannten Geste des „Aibiter aurai", sozu¬ sagen nur widerwillig und mit zusammengepreßten Zähnen, vorgetragen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/214>, abgerufen am 21.05.2024.