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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Predigten I Den Zug zur Schönheit, zum
kunstvollen Aufbau lassen sie völlig zurück¬
treten. Jede Predigt ist ein Kind ihrer
Zeit, der Siegesmeldungen der Woche, der
Stimmung des Augenblicks, einer Zeit voll
banger, nervöser Fragen, voll hastiger Sehn¬
sucht nach Gewißheit, nach Befreiung und
Erlösung, voller Gegensätze der Anschauungen
und Strebungen, wie sie leidenschaftlicher
kaum sich so geltend machen konnten. Hun-
zinger unternimmt es, diese Gefühle einheit¬
lich zu bannen, indem er an das Tiefste
in der Geschichte des Christentums, an die
deutsche Mystik anknüpft. Mit großer Frei¬
mütigkeit redet er von den heiligsten Myste¬
rien unserer Soldaten, denen Kanonendonner
und Schlachtgeschrei das tiefste Verständnis
von Sittlichkeit, Religion und - Christentum
geben und aus Verächtern des Christentums
Verächter von Tod und Teufel machen. Nicht
als bloße Stütze von Recht und Sittlichkeit,
von Thron und Altar, sondern als etwas in
sich Wertvolles läßt Hunzinger uns die religiöse
Erweckung unserer Zeit erkennen, die aus
dem Innern jeder besseren Seele von selbst
entspringt. Wenn diese Predigten auch oft
scheinbar die stilistische Formvollendung ver¬
missen lassen und die Sprache ein etwas
starkes, freies, fast unkanzelhaftes Gepräge
hat -- des deutschen Volkes Todfeinde nennt

[Spaltenumbruch]

Verfasser gelegentlich im heiligen Zorn
Schufte, wie einst Jesus geistesgewaltig,
nicht mild und liebenswürdig, aber herb,
bitter und furchtlos seine Gegner Otternge¬
züchte genannt hat -- so ersetzt Hunzinger das,
was an herkömmlicher Form und gewohnheits¬
mäßigen Kanzelton abgeht, durch die Per¬
sönliche Wucht einer mit sich fortreißenden
Rhetorik, die als persönliches Moment einer
treuen, deutschen Gesinnung gewürdigt zu
werden verdient. Achtundfünfzig Kriegs-
predigten enthalten diese drei Bändchen.
Wie Kolumbus einst mit staunenswerter Ge-
schicklichkeit und Einfachheit ein El zum
Stehen brachte, so weiß Hunzinger ohne gesuchte
Gcistreichigkeit, auch ohne triviale Geschmack¬
losigkeit, ohne Wiederholung, mit geschulter
Treffsicherheit Predigtthemen zu finden, die
Bibel und Gegenwart als ein unauflösliches,
füreinander geschaffenes Ganze erscheinen
lassen. Sämtliche Predigten sind vor ihrer
Sammlung in diesen drei Bänden als Ein¬
zeldrucke erschienen und in einer Folge von
nahezu einer halben Million abgesetzt und
an die Front gesandt worden. Alles in
allem genommen, kann man auch angesichts
dieser Sammlung in Buchform den Verfasser
wegen seines gewaltigen Erfolges nur herz¬
lich beglückwünschen.

Heinrich Reuß [Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Predigten I Den Zug zur Schönheit, zum
kunstvollen Aufbau lassen sie völlig zurück¬
treten. Jede Predigt ist ein Kind ihrer
Zeit, der Siegesmeldungen der Woche, der
Stimmung des Augenblicks, einer Zeit voll
banger, nervöser Fragen, voll hastiger Sehn¬
sucht nach Gewißheit, nach Befreiung und
Erlösung, voller Gegensätze der Anschauungen
und Strebungen, wie sie leidenschaftlicher
kaum sich so geltend machen konnten. Hun-
zinger unternimmt es, diese Gefühle einheit¬
lich zu bannen, indem er an das Tiefste
in der Geschichte des Christentums, an die
deutsche Mystik anknüpft. Mit großer Frei¬
mütigkeit redet er von den heiligsten Myste¬
rien unserer Soldaten, denen Kanonendonner
und Schlachtgeschrei das tiefste Verständnis
von Sittlichkeit, Religion und - Christentum
geben und aus Verächtern des Christentums
Verächter von Tod und Teufel machen. Nicht
als bloße Stütze von Recht und Sittlichkeit,
von Thron und Altar, sondern als etwas in
sich Wertvolles läßt Hunzinger uns die religiöse
Erweckung unserer Zeit erkennen, die aus
dem Innern jeder besseren Seele von selbst
entspringt. Wenn diese Predigten auch oft
scheinbar die stilistische Formvollendung ver¬
missen lassen und die Sprache ein etwas
starkes, freies, fast unkanzelhaftes Gepräge
hat — des deutschen Volkes Todfeinde nennt

[Spaltenumbruch]

Verfasser gelegentlich im heiligen Zorn
Schufte, wie einst Jesus geistesgewaltig,
nicht mild und liebenswürdig, aber herb,
bitter und furchtlos seine Gegner Otternge¬
züchte genannt hat — so ersetzt Hunzinger das,
was an herkömmlicher Form und gewohnheits¬
mäßigen Kanzelton abgeht, durch die Per¬
sönliche Wucht einer mit sich fortreißenden
Rhetorik, die als persönliches Moment einer
treuen, deutschen Gesinnung gewürdigt zu
werden verdient. Achtundfünfzig Kriegs-
predigten enthalten diese drei Bändchen.
Wie Kolumbus einst mit staunenswerter Ge-
schicklichkeit und Einfachheit ein El zum
Stehen brachte, so weiß Hunzinger ohne gesuchte
Gcistreichigkeit, auch ohne triviale Geschmack¬
losigkeit, ohne Wiederholung, mit geschulter
Treffsicherheit Predigtthemen zu finden, die
Bibel und Gegenwart als ein unauflösliches,
füreinander geschaffenes Ganze erscheinen
lassen. Sämtliche Predigten sind vor ihrer
Sammlung in diesen drei Bänden als Ein¬
zeldrucke erschienen und in einer Folge von
nahezu einer halben Million abgesetzt und
an die Front gesandt worden. Alles in
allem genommen, kann man auch angesichts
dieser Sammlung in Buchform den Verfasser
wegen seines gewaltigen Erfolges nur herz¬
lich beglückwünschen.

Heinrich Reuß [Ende Spaltensatz]


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/103>, abgerufen am 19.05.2024.