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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und die Koalition

-- befreiten Völker. Rußland eilte in den Krieg, man könnte sagen, im
Parademarsch, nein, nicht in den Krieg, sondern es eilte zur Galatafel nach
Berlin, indem es nach Ostpreußen ging, wie der Bengel vom Lande in den
fremden Garten an die Äpfel geht. Die Früchte des Krieges genießend noch
ehe sie gepflückt waren, ergötzte sich das russische politische Denken von Miljukow
bis Plechanow und von Trubezkoj bis Markow am Besitz Konstantinopels,
vierteilte die Habsburgische Monarchie, einigte Polen, bildete das Deutsche Reich
um, baute das Königreich Böhmen auf, mit einem Wort, es zog tausendfache
Wollust aus den geplanten Eroberungen, tat aber nichts, um die Mittel zu
organisieren, sie zu vollbringen, Ostgalizien erlag in der ersten Phase des
Krieges Rußland, aber es erlag nicht seiner Kraft, sondern nur seiner Schwere.
Die gleichen Triumphfanfaren auf Vorschuß wie Rußland schlug auch England
an: am Tage des Kriegsbeginns mobilisierte es alle seine -- Siegeshoffnungen
und die vor allem sandte es auf den Kriegsschauplatz nach Frankreich; Ru߬
land sandte es außer guten Wünschen auch -- Kapitalien und degradierte so
diese Macht von Anfang an zu einem Fleischerladen, in dem man für Pfunde
Sterling Menschenfleisch zu ermäßigtem Preise ersteht.

Denn, abgesehen von dem Verkauf des Felles des noch lebenden Bären,
besteht das zweite Charakteristikum der Koalition darin, daß man die schwierigsten
Kriegsaufgaben -- und überhaupt Kriegsaufgaben den Bundesgenossen überläßt.
Jeder nimmt für seine Person am Kriege nur soweit Anteil, als ihm das
Messer an der Kehle sitzt. Darüber hinaus steht er beiseite und beklatscht die
Tapferkeit des Bundesgenossen, ihm die Ehre der Auseinandersetzung ungeteilt
überlassend. Diese Politik hat bewirkt, daß der Krieg in seinen Folgen das
Schwergewicht auf die Schultern der kleinen Staaten wälzte, die im Vertrauen
auf die Koalition alles, ihre ganze Bevölkerung, ihr ganzes Land und ihre
ganze Zukunft in die Schale des Krieges warfen. Sie und sie allein haben
in blutiger Mühsal die erschütternde Tragik in das Lager der Koalition ge¬
tragen, die im übrigen durch ihre Hauptregisseure über die unermeßlichen Ge¬
biete ihrer Niederlagen und Leichenhügel das groteske Bild einer Operette breitet,
etwa nach Art des orgiastischen Tollens der Pariser, das selbst der Danteschen
Hölle gegenüber sich behauptet.

Das dritte Charakteristikum der Koalition in ihrer Entwicklung ist der
Kult der Waffe der Untätigkeit als Offensivwaffe. Das erste Jahr des Krieges
ist vorüber, das zweite Jahr des Krieges neigt sich seinem Ende zu: England
hat bisher bei sich noch nicht den allgemeinen Heeresdienst organisiert. Es
wartet. Es bemüht sich nicht, dem Gegner die Waffe aus der Hand zu
schlagen, sondern es wartet, bis ihm die Waffe von selbst aus der Hand fällt.
Es erzieht keine Armee, aber es sucht für die Zentralmächte den -- Hunger
zu züchten. So hat auch Rußland im verflossenen Jahre, als es diesen Mächten
nicht die nötige Kraft gegenüberstellen konnte, beschlossen, ihnen im Königreich
Polen eine Wüste gegenüberzustellen. Es ist das eine Arbeitsmethode, die


Deutschland und die Koalition

— befreiten Völker. Rußland eilte in den Krieg, man könnte sagen, im
Parademarsch, nein, nicht in den Krieg, sondern es eilte zur Galatafel nach
Berlin, indem es nach Ostpreußen ging, wie der Bengel vom Lande in den
fremden Garten an die Äpfel geht. Die Früchte des Krieges genießend noch
ehe sie gepflückt waren, ergötzte sich das russische politische Denken von Miljukow
bis Plechanow und von Trubezkoj bis Markow am Besitz Konstantinopels,
vierteilte die Habsburgische Monarchie, einigte Polen, bildete das Deutsche Reich
um, baute das Königreich Böhmen auf, mit einem Wort, es zog tausendfache
Wollust aus den geplanten Eroberungen, tat aber nichts, um die Mittel zu
organisieren, sie zu vollbringen, Ostgalizien erlag in der ersten Phase des
Krieges Rußland, aber es erlag nicht seiner Kraft, sondern nur seiner Schwere.
Die gleichen Triumphfanfaren auf Vorschuß wie Rußland schlug auch England
an: am Tage des Kriegsbeginns mobilisierte es alle seine — Siegeshoffnungen
und die vor allem sandte es auf den Kriegsschauplatz nach Frankreich; Ru߬
land sandte es außer guten Wünschen auch — Kapitalien und degradierte so
diese Macht von Anfang an zu einem Fleischerladen, in dem man für Pfunde
Sterling Menschenfleisch zu ermäßigtem Preise ersteht.

Denn, abgesehen von dem Verkauf des Felles des noch lebenden Bären,
besteht das zweite Charakteristikum der Koalition darin, daß man die schwierigsten
Kriegsaufgaben — und überhaupt Kriegsaufgaben den Bundesgenossen überläßt.
Jeder nimmt für seine Person am Kriege nur soweit Anteil, als ihm das
Messer an der Kehle sitzt. Darüber hinaus steht er beiseite und beklatscht die
Tapferkeit des Bundesgenossen, ihm die Ehre der Auseinandersetzung ungeteilt
überlassend. Diese Politik hat bewirkt, daß der Krieg in seinen Folgen das
Schwergewicht auf die Schultern der kleinen Staaten wälzte, die im Vertrauen
auf die Koalition alles, ihre ganze Bevölkerung, ihr ganzes Land und ihre
ganze Zukunft in die Schale des Krieges warfen. Sie und sie allein haben
in blutiger Mühsal die erschütternde Tragik in das Lager der Koalition ge¬
tragen, die im übrigen durch ihre Hauptregisseure über die unermeßlichen Ge¬
biete ihrer Niederlagen und Leichenhügel das groteske Bild einer Operette breitet,
etwa nach Art des orgiastischen Tollens der Pariser, das selbst der Danteschen
Hölle gegenüber sich behauptet.

Das dritte Charakteristikum der Koalition in ihrer Entwicklung ist der
Kult der Waffe der Untätigkeit als Offensivwaffe. Das erste Jahr des Krieges
ist vorüber, das zweite Jahr des Krieges neigt sich seinem Ende zu: England
hat bisher bei sich noch nicht den allgemeinen Heeresdienst organisiert. Es
wartet. Es bemüht sich nicht, dem Gegner die Waffe aus der Hand zu
schlagen, sondern es wartet, bis ihm die Waffe von selbst aus der Hand fällt.
Es erzieht keine Armee, aber es sucht für die Zentralmächte den — Hunger
zu züchten. So hat auch Rußland im verflossenen Jahre, als es diesen Mächten
nicht die nötige Kraft gegenüberstellen konnte, beschlossen, ihnen im Königreich
Polen eine Wüste gegenüberzustellen. Es ist das eine Arbeitsmethode, die


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[0026] Deutschland und die Koalition — befreiten Völker. Rußland eilte in den Krieg, man könnte sagen, im Parademarsch, nein, nicht in den Krieg, sondern es eilte zur Galatafel nach Berlin, indem es nach Ostpreußen ging, wie der Bengel vom Lande in den fremden Garten an die Äpfel geht. Die Früchte des Krieges genießend noch ehe sie gepflückt waren, ergötzte sich das russische politische Denken von Miljukow bis Plechanow und von Trubezkoj bis Markow am Besitz Konstantinopels, vierteilte die Habsburgische Monarchie, einigte Polen, bildete das Deutsche Reich um, baute das Königreich Böhmen auf, mit einem Wort, es zog tausendfache Wollust aus den geplanten Eroberungen, tat aber nichts, um die Mittel zu organisieren, sie zu vollbringen, Ostgalizien erlag in der ersten Phase des Krieges Rußland, aber es erlag nicht seiner Kraft, sondern nur seiner Schwere. Die gleichen Triumphfanfaren auf Vorschuß wie Rußland schlug auch England an: am Tage des Kriegsbeginns mobilisierte es alle seine — Siegeshoffnungen und die vor allem sandte es auf den Kriegsschauplatz nach Frankreich; Ru߬ land sandte es außer guten Wünschen auch — Kapitalien und degradierte so diese Macht von Anfang an zu einem Fleischerladen, in dem man für Pfunde Sterling Menschenfleisch zu ermäßigtem Preise ersteht. Denn, abgesehen von dem Verkauf des Felles des noch lebenden Bären, besteht das zweite Charakteristikum der Koalition darin, daß man die schwierigsten Kriegsaufgaben — und überhaupt Kriegsaufgaben den Bundesgenossen überläßt. Jeder nimmt für seine Person am Kriege nur soweit Anteil, als ihm das Messer an der Kehle sitzt. Darüber hinaus steht er beiseite und beklatscht die Tapferkeit des Bundesgenossen, ihm die Ehre der Auseinandersetzung ungeteilt überlassend. Diese Politik hat bewirkt, daß der Krieg in seinen Folgen das Schwergewicht auf die Schultern der kleinen Staaten wälzte, die im Vertrauen auf die Koalition alles, ihre ganze Bevölkerung, ihr ganzes Land und ihre ganze Zukunft in die Schale des Krieges warfen. Sie und sie allein haben in blutiger Mühsal die erschütternde Tragik in das Lager der Koalition ge¬ tragen, die im übrigen durch ihre Hauptregisseure über die unermeßlichen Ge¬ biete ihrer Niederlagen und Leichenhügel das groteske Bild einer Operette breitet, etwa nach Art des orgiastischen Tollens der Pariser, das selbst der Danteschen Hölle gegenüber sich behauptet. Das dritte Charakteristikum der Koalition in ihrer Entwicklung ist der Kult der Waffe der Untätigkeit als Offensivwaffe. Das erste Jahr des Krieges ist vorüber, das zweite Jahr des Krieges neigt sich seinem Ende zu: England hat bisher bei sich noch nicht den allgemeinen Heeresdienst organisiert. Es wartet. Es bemüht sich nicht, dem Gegner die Waffe aus der Hand zu schlagen, sondern es wartet, bis ihm die Waffe von selbst aus der Hand fällt. Es erzieht keine Armee, aber es sucht für die Zentralmächte den — Hunger zu züchten. So hat auch Rußland im verflossenen Jahre, als es diesen Mächten nicht die nötige Kraft gegenüberstellen konnte, beschlossen, ihnen im Königreich Polen eine Wüste gegenüberzustellen. Es ist das eine Arbeitsmethode, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/26>, abgerufen am 26.05.2024.