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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und die Koalition

scheidende Siege gebracht hätte; die Koalition aber dürfte, selbst wenn sie ge¬
winnen sollte, aus dem Kriege verarmt und demoralisiert hervorgehen. Der
Sieg hätte all die Entartung, die das Unglück der Koalition in diesem Kriege
ist und das Unglück Europas vor dem Kriege war, sanktioniert und ent¬
sündigt. Deutschland wäre selbst aus dem Mißgeschick mit einem Zuwachs an
innerer Kraft hervorgegangen, wie sich Österreich im Mißgeschick innerlich ge¬
kräftigt und gefestigt hat. Deutschland schreitet zum Siege durch eigene Kraft,
Aufopferung und Festigkeit; die Koalition wollte siegen durch Spekulation,
Terror und Verschwendung. Der Sieg der Zentralmächte hebt Europa auf
eine höhere Stufe der Arbeit und des Denkens; der Triumph der Koalition
wäre eine Degradation dieser beiden Faktoren, ihre Erniedrigung zugunsten von
Trägheit und Gewohnheit, diesen Falsifikaten der Macht.

Indem ich dieses Urteil ausspreche, muß ich feststellen, daß es älterer
Herkunft ist und seit einem Jahr unverändert bestand. Vor einem Jahr (Mai
1915) sprach ich es aus mit der ganzen, leider sehr beschränkten Freiheit, die
sich die polnische Presse in Warschau damals (unter russischer Herrschaft) er¬
lauben konnte. Heute (unter deutscher Herrschaft) hat es sich in mir dank der
Fülle neuer Eindrücke noch mehr befestigt, weil heute noch stärker und aus¬
drucksvoller die Wohltat zu mir spricht, deren wir zugleich mit der ganzen
europäischen Kultur teilhaftig geworden sind dank der Niederlage des russischen
Reiches. Der Niederlage, die mit Österreich Deutschland vollbracht hat und
die außer ihnen niemand sonst in Europa hätte vollbringen können. Nur sie
allein haben, indem sie vierzig Jahre lang die Waffe schmiedeten, sie mit
hartem Hammer schmiedeten, in sich die materielle Kraft geschaffen, um eine
solche Tat zu vollbringen, und die moralische Disziplin, um ein solches Unter¬
nehmen wagen zu können. Weder das an den Lorbeeren seines alten Ruhmes
zehrende Frankreich, noch das ferne, am Lande machtlose England hätten diese
furchtbare Arbeit, wie sie das Vertreiben der russischen Macht von der polnischen
Erde und das Austreiben der Überzeugung seiner Allmacht aus der polnischen
Seele vollbringen können. Vergessen wir nicht, daß noch Mickiewicz, dem es an
Mut nicht gebrach, beim Gedanken an den russischen Zaren verzweifelt auf¬
stöhnte: "Mächtiger! stark wie ein Gott und boshaft wie der Satan!" Ja,
im Kampfe mit Rußland waren wir immer verloren, weil wir nicht mehr an
den eigenen Sieg glauben konnten, weil Rußland für uns eine kosmische Macht
war, das fünfte Element der Erde, dessen unbezwingbare Macht dem Polen
die Grabesflügel ganzer in die Erde getretener Geschlechter kündeten, nur
Hügel und Schauplätze der Niederlage. In Rußland versanken wir wie im
Meere, Rußland war für uns furchtbar durch seine Ozeantiefe. Wer sich von
den ethnographischen Grenzen losriß, versank für das Polentum in feinen
Wogen; diese Wogen aber unterspülten unsern Grund immer weiter und un¬
widerstehlicher. Mit immer grausameren Opfern an Geist und Körper mußten
wir unsere elementare und natürliche Existenz in der Menschheit erkaufen.


Deutschland und die Koalition

scheidende Siege gebracht hätte; die Koalition aber dürfte, selbst wenn sie ge¬
winnen sollte, aus dem Kriege verarmt und demoralisiert hervorgehen. Der
Sieg hätte all die Entartung, die das Unglück der Koalition in diesem Kriege
ist und das Unglück Europas vor dem Kriege war, sanktioniert und ent¬
sündigt. Deutschland wäre selbst aus dem Mißgeschick mit einem Zuwachs an
innerer Kraft hervorgegangen, wie sich Österreich im Mißgeschick innerlich ge¬
kräftigt und gefestigt hat. Deutschland schreitet zum Siege durch eigene Kraft,
Aufopferung und Festigkeit; die Koalition wollte siegen durch Spekulation,
Terror und Verschwendung. Der Sieg der Zentralmächte hebt Europa auf
eine höhere Stufe der Arbeit und des Denkens; der Triumph der Koalition
wäre eine Degradation dieser beiden Faktoren, ihre Erniedrigung zugunsten von
Trägheit und Gewohnheit, diesen Falsifikaten der Macht.

Indem ich dieses Urteil ausspreche, muß ich feststellen, daß es älterer
Herkunft ist und seit einem Jahr unverändert bestand. Vor einem Jahr (Mai
1915) sprach ich es aus mit der ganzen, leider sehr beschränkten Freiheit, die
sich die polnische Presse in Warschau damals (unter russischer Herrschaft) er¬
lauben konnte. Heute (unter deutscher Herrschaft) hat es sich in mir dank der
Fülle neuer Eindrücke noch mehr befestigt, weil heute noch stärker und aus¬
drucksvoller die Wohltat zu mir spricht, deren wir zugleich mit der ganzen
europäischen Kultur teilhaftig geworden sind dank der Niederlage des russischen
Reiches. Der Niederlage, die mit Österreich Deutschland vollbracht hat und
die außer ihnen niemand sonst in Europa hätte vollbringen können. Nur sie
allein haben, indem sie vierzig Jahre lang die Waffe schmiedeten, sie mit
hartem Hammer schmiedeten, in sich die materielle Kraft geschaffen, um eine
solche Tat zu vollbringen, und die moralische Disziplin, um ein solches Unter¬
nehmen wagen zu können. Weder das an den Lorbeeren seines alten Ruhmes
zehrende Frankreich, noch das ferne, am Lande machtlose England hätten diese
furchtbare Arbeit, wie sie das Vertreiben der russischen Macht von der polnischen
Erde und das Austreiben der Überzeugung seiner Allmacht aus der polnischen
Seele vollbringen können. Vergessen wir nicht, daß noch Mickiewicz, dem es an
Mut nicht gebrach, beim Gedanken an den russischen Zaren verzweifelt auf¬
stöhnte: „Mächtiger! stark wie ein Gott und boshaft wie der Satan!" Ja,
im Kampfe mit Rußland waren wir immer verloren, weil wir nicht mehr an
den eigenen Sieg glauben konnten, weil Rußland für uns eine kosmische Macht
war, das fünfte Element der Erde, dessen unbezwingbare Macht dem Polen
die Grabesflügel ganzer in die Erde getretener Geschlechter kündeten, nur
Hügel und Schauplätze der Niederlage. In Rußland versanken wir wie im
Meere, Rußland war für uns furchtbar durch seine Ozeantiefe. Wer sich von
den ethnographischen Grenzen losriß, versank für das Polentum in feinen
Wogen; diese Wogen aber unterspülten unsern Grund immer weiter und un¬
widerstehlicher. Mit immer grausameren Opfern an Geist und Körper mußten
wir unsere elementare und natürliche Existenz in der Menschheit erkaufen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/28>, abgerufen am 26.05.2024.