Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Alte und neue deutsche Politik

vor dem Kriege von 1912/13 zur Aufgabe der Türkei und hielt Rumänien
für den vollgültigen Ersatz, ein Zeichen, in wie verkehrter Beleuchtung er auch
hier die Dinge gesehen hat. Der Gewinn Bulgariens für unsere Partei ist
vielleicht von Haus aus nicht unser Verdienst als vielmehr das der Diplomatie
Österreich-Ungarns, die damit die Früchte ihres Eintretens sür eine Revision
des Bukarester Friedensvertrages von 1913 geerntet hat.

Es ist also nicht zweifelhaft, daß wenn man nur das richtige Augenmaß
anwendet, unsere auswärtige und innere Politik vor dem Kriege doch größere
Erfolge gehabt hat, als Frymann und diejenigen, die seine Stimmung teilten,
damals Wort haben wollten. Ich naße mir aber nicht an zu behaupten, daß
etwa nichts fehlgeschlagen sei und gar nichts mehr hätte erreicht werden können.
Vielleicht hätte ein rücksichtsloser Bestechungsfeldzug nach englisch-russisch-franzö¬
sischem Muster uns in der öffentlichen Meinung von Ländern wie Italien,
Rumänien oder Belgien eine günstigere Position verschafft. In diesem Punkte
muß unsere künftige auswärtige Politik alle Skrupel verlernen und mit allen
Mitteln arbeiten. Was wir mit Geld gewinnen, daran sparen wir Blut. Das
ist eine wichtige Lehre des Weltkrieges. Man kann auch bezweifeln, ob die
Behandlung Japans und Amerikas immer richtig war. Den "Panthersprung"
nach Agadir und das Marokko-Kongo-Abkommen hält Bülow, der dafür nicht
mehr verantwortlich zeichnet, zwischen den Zeilen offenbar selbst nicht für eine
Meisterleistung. Aber die Lichtseiten bleiben dessen ungeachtet bestehen, und
das eben ist das Verdienst des Weltkrieges, daß sie gegenüber der früheren
leidenschaftlichen Polemik nun zu ihrem Rechte kommen.

Der Weltkrieg mit seinen Tränen und Enttäuschungen, aber auch mit
seinen Siegen und wertvollen Erfahrungen ist unser bester politischer Erzieher.
Er gräbt den Ideologen das Wasser ab und nimmt den Frakturpolitikern, den
Vertretern eines mißverstandenen Bismarckgeistes, manchen Wind aus den
Segeln. Bevor das neue Reich gegründet wurde, bestimmten die Ideologen
unsern politischen Verstand. Dann kam die Bismarcktradition und auch die
Bismarcklegende obenauf, mit ihr jenes altliberale Reichspathos, das die Sozial¬
demokratie und den doch nicht immer ganz unberechtigten außerpreußischen
Partikularismus, zu dem auch die reichsländischen Autonomiebestrebungen zu
rechnen sind, so hoffnungslos unverdaulich fand, daß es sich, wie wenigstens
das Buch von Frymann zeigte, nur noch vom verzweifelten Dreinschlagen, vom
Staatsstreich, Erfolg versprach. Manche von uns waren nicht frei von einer
Michelstimmung, die von sich sagte: Wo ich hinhaue, wächst kein Gras mehr;
wenn ich nur erst einmal ordentlich zubauen könnte! Wir wünschten keinen
Krieg, aber wir hielten ihn für kein Unglück. Wir nannten Frankreich
dekadent, Rußland einen Koloß mit tönernen Füßen und Englands Armee
glaubten wir mit Bismarck bei ihrer Landung auf dem europäischen Konti¬
nent arretieren zu können. Erst der wirkliche Krieg hat uns die wahren
Machtmittel unserer Feinde gezeigt Und uns enthüllt, loie groß die Leistung


Alte und neue deutsche Politik

vor dem Kriege von 1912/13 zur Aufgabe der Türkei und hielt Rumänien
für den vollgültigen Ersatz, ein Zeichen, in wie verkehrter Beleuchtung er auch
hier die Dinge gesehen hat. Der Gewinn Bulgariens für unsere Partei ist
vielleicht von Haus aus nicht unser Verdienst als vielmehr das der Diplomatie
Österreich-Ungarns, die damit die Früchte ihres Eintretens sür eine Revision
des Bukarester Friedensvertrages von 1913 geerntet hat.

Es ist also nicht zweifelhaft, daß wenn man nur das richtige Augenmaß
anwendet, unsere auswärtige und innere Politik vor dem Kriege doch größere
Erfolge gehabt hat, als Frymann und diejenigen, die seine Stimmung teilten,
damals Wort haben wollten. Ich naße mir aber nicht an zu behaupten, daß
etwa nichts fehlgeschlagen sei und gar nichts mehr hätte erreicht werden können.
Vielleicht hätte ein rücksichtsloser Bestechungsfeldzug nach englisch-russisch-franzö¬
sischem Muster uns in der öffentlichen Meinung von Ländern wie Italien,
Rumänien oder Belgien eine günstigere Position verschafft. In diesem Punkte
muß unsere künftige auswärtige Politik alle Skrupel verlernen und mit allen
Mitteln arbeiten. Was wir mit Geld gewinnen, daran sparen wir Blut. Das
ist eine wichtige Lehre des Weltkrieges. Man kann auch bezweifeln, ob die
Behandlung Japans und Amerikas immer richtig war. Den „Panthersprung"
nach Agadir und das Marokko-Kongo-Abkommen hält Bülow, der dafür nicht
mehr verantwortlich zeichnet, zwischen den Zeilen offenbar selbst nicht für eine
Meisterleistung. Aber die Lichtseiten bleiben dessen ungeachtet bestehen, und
das eben ist das Verdienst des Weltkrieges, daß sie gegenüber der früheren
leidenschaftlichen Polemik nun zu ihrem Rechte kommen.

Der Weltkrieg mit seinen Tränen und Enttäuschungen, aber auch mit
seinen Siegen und wertvollen Erfahrungen ist unser bester politischer Erzieher.
Er gräbt den Ideologen das Wasser ab und nimmt den Frakturpolitikern, den
Vertretern eines mißverstandenen Bismarckgeistes, manchen Wind aus den
Segeln. Bevor das neue Reich gegründet wurde, bestimmten die Ideologen
unsern politischen Verstand. Dann kam die Bismarcktradition und auch die
Bismarcklegende obenauf, mit ihr jenes altliberale Reichspathos, das die Sozial¬
demokratie und den doch nicht immer ganz unberechtigten außerpreußischen
Partikularismus, zu dem auch die reichsländischen Autonomiebestrebungen zu
rechnen sind, so hoffnungslos unverdaulich fand, daß es sich, wie wenigstens
das Buch von Frymann zeigte, nur noch vom verzweifelten Dreinschlagen, vom
Staatsstreich, Erfolg versprach. Manche von uns waren nicht frei von einer
Michelstimmung, die von sich sagte: Wo ich hinhaue, wächst kein Gras mehr;
wenn ich nur erst einmal ordentlich zubauen könnte! Wir wünschten keinen
Krieg, aber wir hielten ihn für kein Unglück. Wir nannten Frankreich
dekadent, Rußland einen Koloß mit tönernen Füßen und Englands Armee
glaubten wir mit Bismarck bei ihrer Landung auf dem europäischen Konti¬
nent arretieren zu können. Erst der wirkliche Krieg hat uns die wahren
Machtmittel unserer Feinde gezeigt Und uns enthüllt, loie groß die Leistung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330941"/>
          <fw type="header" place="top"> Alte und neue deutsche Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1286" prev="#ID_1285"> vor dem Kriege von 1912/13 zur Aufgabe der Türkei und hielt Rumänien<lb/>
für den vollgültigen Ersatz, ein Zeichen, in wie verkehrter Beleuchtung er auch<lb/>
hier die Dinge gesehen hat. Der Gewinn Bulgariens für unsere Partei ist<lb/>
vielleicht von Haus aus nicht unser Verdienst als vielmehr das der Diplomatie<lb/>
Österreich-Ungarns, die damit die Früchte ihres Eintretens sür eine Revision<lb/>
des Bukarester Friedensvertrages von 1913 geerntet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1287"> Es ist also nicht zweifelhaft, daß wenn man nur das richtige Augenmaß<lb/>
anwendet, unsere auswärtige und innere Politik vor dem Kriege doch größere<lb/>
Erfolge gehabt hat, als Frymann und diejenigen, die seine Stimmung teilten,<lb/>
damals Wort haben wollten. Ich naße mir aber nicht an zu behaupten, daß<lb/>
etwa nichts fehlgeschlagen sei und gar nichts mehr hätte erreicht werden können.<lb/>
Vielleicht hätte ein rücksichtsloser Bestechungsfeldzug nach englisch-russisch-franzö¬<lb/>
sischem Muster uns in der öffentlichen Meinung von Ländern wie Italien,<lb/>
Rumänien oder Belgien eine günstigere Position verschafft. In diesem Punkte<lb/>
muß unsere künftige auswärtige Politik alle Skrupel verlernen und mit allen<lb/>
Mitteln arbeiten. Was wir mit Geld gewinnen, daran sparen wir Blut. Das<lb/>
ist eine wichtige Lehre des Weltkrieges. Man kann auch bezweifeln, ob die<lb/>
Behandlung Japans und Amerikas immer richtig war. Den &#x201E;Panthersprung"<lb/>
nach Agadir und das Marokko-Kongo-Abkommen hält Bülow, der dafür nicht<lb/>
mehr verantwortlich zeichnet, zwischen den Zeilen offenbar selbst nicht für eine<lb/>
Meisterleistung. Aber die Lichtseiten bleiben dessen ungeachtet bestehen, und<lb/>
das eben ist das Verdienst des Weltkrieges, daß sie gegenüber der früheren<lb/>
leidenschaftlichen Polemik nun zu ihrem Rechte kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Der Weltkrieg mit seinen Tränen und Enttäuschungen, aber auch mit<lb/>
seinen Siegen und wertvollen Erfahrungen ist unser bester politischer Erzieher.<lb/>
Er gräbt den Ideologen das Wasser ab und nimmt den Frakturpolitikern, den<lb/>
Vertretern eines mißverstandenen Bismarckgeistes, manchen Wind aus den<lb/>
Segeln. Bevor das neue Reich gegründet wurde, bestimmten die Ideologen<lb/>
unsern politischen Verstand. Dann kam die Bismarcktradition und auch die<lb/>
Bismarcklegende obenauf, mit ihr jenes altliberale Reichspathos, das die Sozial¬<lb/>
demokratie und den doch nicht immer ganz unberechtigten außerpreußischen<lb/>
Partikularismus, zu dem auch die reichsländischen Autonomiebestrebungen zu<lb/>
rechnen sind, so hoffnungslos unverdaulich fand, daß es sich, wie wenigstens<lb/>
das Buch von Frymann zeigte, nur noch vom verzweifelten Dreinschlagen, vom<lb/>
Staatsstreich, Erfolg versprach. Manche von uns waren nicht frei von einer<lb/>
Michelstimmung, die von sich sagte: Wo ich hinhaue, wächst kein Gras mehr;<lb/>
wenn ich nur erst einmal ordentlich zubauen könnte! Wir wünschten keinen<lb/>
Krieg, aber wir hielten ihn für kein Unglück. Wir nannten Frankreich<lb/>
dekadent, Rußland einen Koloß mit tönernen Füßen und Englands Armee<lb/>
glaubten wir mit Bismarck bei ihrer Landung auf dem europäischen Konti¬<lb/>
nent arretieren zu können. Erst der wirkliche Krieg hat uns die wahren<lb/>
Machtmittel unserer Feinde gezeigt Und uns enthüllt, loie groß die Leistung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] Alte und neue deutsche Politik vor dem Kriege von 1912/13 zur Aufgabe der Türkei und hielt Rumänien für den vollgültigen Ersatz, ein Zeichen, in wie verkehrter Beleuchtung er auch hier die Dinge gesehen hat. Der Gewinn Bulgariens für unsere Partei ist vielleicht von Haus aus nicht unser Verdienst als vielmehr das der Diplomatie Österreich-Ungarns, die damit die Früchte ihres Eintretens sür eine Revision des Bukarester Friedensvertrages von 1913 geerntet hat. Es ist also nicht zweifelhaft, daß wenn man nur das richtige Augenmaß anwendet, unsere auswärtige und innere Politik vor dem Kriege doch größere Erfolge gehabt hat, als Frymann und diejenigen, die seine Stimmung teilten, damals Wort haben wollten. Ich naße mir aber nicht an zu behaupten, daß etwa nichts fehlgeschlagen sei und gar nichts mehr hätte erreicht werden können. Vielleicht hätte ein rücksichtsloser Bestechungsfeldzug nach englisch-russisch-franzö¬ sischem Muster uns in der öffentlichen Meinung von Ländern wie Italien, Rumänien oder Belgien eine günstigere Position verschafft. In diesem Punkte muß unsere künftige auswärtige Politik alle Skrupel verlernen und mit allen Mitteln arbeiten. Was wir mit Geld gewinnen, daran sparen wir Blut. Das ist eine wichtige Lehre des Weltkrieges. Man kann auch bezweifeln, ob die Behandlung Japans und Amerikas immer richtig war. Den „Panthersprung" nach Agadir und das Marokko-Kongo-Abkommen hält Bülow, der dafür nicht mehr verantwortlich zeichnet, zwischen den Zeilen offenbar selbst nicht für eine Meisterleistung. Aber die Lichtseiten bleiben dessen ungeachtet bestehen, und das eben ist das Verdienst des Weltkrieges, daß sie gegenüber der früheren leidenschaftlichen Polemik nun zu ihrem Rechte kommen. Der Weltkrieg mit seinen Tränen und Enttäuschungen, aber auch mit seinen Siegen und wertvollen Erfahrungen ist unser bester politischer Erzieher. Er gräbt den Ideologen das Wasser ab und nimmt den Frakturpolitikern, den Vertretern eines mißverstandenen Bismarckgeistes, manchen Wind aus den Segeln. Bevor das neue Reich gegründet wurde, bestimmten die Ideologen unsern politischen Verstand. Dann kam die Bismarcktradition und auch die Bismarcklegende obenauf, mit ihr jenes altliberale Reichspathos, das die Sozial¬ demokratie und den doch nicht immer ganz unberechtigten außerpreußischen Partikularismus, zu dem auch die reichsländischen Autonomiebestrebungen zu rechnen sind, so hoffnungslos unverdaulich fand, daß es sich, wie wenigstens das Buch von Frymann zeigte, nur noch vom verzweifelten Dreinschlagen, vom Staatsstreich, Erfolg versprach. Manche von uns waren nicht frei von einer Michelstimmung, die von sich sagte: Wo ich hinhaue, wächst kein Gras mehr; wenn ich nur erst einmal ordentlich zubauen könnte! Wir wünschten keinen Krieg, aber wir hielten ihn für kein Unglück. Wir nannten Frankreich dekadent, Rußland einen Koloß mit tönernen Füßen und Englands Armee glaubten wir mit Bismarck bei ihrer Landung auf dem europäischen Konti¬ nent arretieren zu können. Erst der wirkliche Krieg hat uns die wahren Machtmittel unserer Feinde gezeigt Und uns enthüllt, loie groß die Leistung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/403>, abgerufen am 09.06.2024.