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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Deutsches Bürgerleben der Gstseeprovinzen

bitten, diese zu tragen. -- Diese Gilden hatten infolge von großen Vermächtnissen
reichen Besitz und machten große Schenkungen an die Kirchen. So werden in
einer Urkunde des Jahres 1441 die kirchlichen Gebranchsgegenstcinde aufgezählt,
welche die Gesellschaft der Schwarzhäupter in Riga zu Se. Katharinen und
Se. Peter gestiftet haben, unter anderen in der letzteren Kirche zwei große Kannen
aus Silber, auf denen das Wappen der Gesellschaft angebracht war, ferner in
Se. Katharinen, wo sie einen eigenen Stuhl haben, zwei gemalte Glasfenster.
In derselben Urkunde findet sich auch ein Verzeichnis des Hausrates der Gilde¬
stube an Silber, Tischzeug, Möbeln. Bildern und Waffen. Die letzteren haben
zum Teil einen sehr ernsten Zweck, wie die zwei Steinbüchsen, die dem Kauf¬
manns zwischen Lübeck und Riga zur Verteidigung dienen sollen, zum Teil aber
dienen sie zum Stecken oder zu Turnieren, einem Vergnügen, das sich die jungen
Patrizier auch in den Städten des inneren Deutschlands gegen Ende des Mittelalters
gestatteten. Dazu gehören zwei Steckhelme, zwei Platen d.h. Brustpanzer, zwei Sättel
und "Stecksachen genug". Ursprünglich durften aber nur Schwarzhäupter diese
Waffen brauchen, wie es in den Göttinger Satzungen heißt: "Niemand soll in den
Turnieren springen, es sei denn ein Schwarzhaupt, bei einem Schiffspfund
Wachs Strafe."

Bei diesen im obigen wiederholt angeführten Bußen darf es uns nicht
auffallen, daß sie vielfach in Wachs bezahlt wurden, denn das geschah auch
oft bei den Gilden des deutschen Mutterlandes. Auffallen könnte um die
Menge des zu liefernden Wachses, denn wenn wir zuletzt von einem Schiffs¬
pfund hören, so beträgt dieses ungefähr drei Zentner oder 150 Kilogramm,
und das wiederholt genannte Liespfund d. i. das Livische Pfund entspricht
vierzehn Pfunden oder sieben Kilogrammen. Gewiß wurde ein großer Teil
des so gelieferten Wachses in den Kirchen zu Lichtern verbraucht; überdies aber
war Wachs schon im dreizehnten Jahrhundert das Hauptausfuhrerzeugnis der
Ostseeprovinzen. Die Massenerzeugung beweisen die vielen urkundlich bezeugten
honigtragenden Bäume, d. h. Baumstämme, in denen Gestelle für Bienenkörbe
angebracht waren. Allein Riga hatte Hunderte von diesen an Liven verpachtet,
die mit der Hälfte des gewonnenen Wachses zahlten.

Wir haben einen Einblick getan in das bürgerliche Leben und Treiben
dieser deutschen Ansiedler, die niemals durch staatliche Bande mit dem Mutter-
lande vereinigt gewesen und nie von Kaiser und Reich unterstützt worden find. In
ihrem Kampfe gegen die sie umlagernden Feinde waren sie auf die eigene Kraft
angewiesen, und sie haben diese Kraft Jahrhundertelang glänzend bewährt und
bewähren sie vor allem heutzutage in den allergefährlichsten Kampfe, den sie
jemals zu führen gehabt haben. Möchte ihrer echt friesisch-niedersüchsischen
Zähigkeit und Ausdauer der gebührende Lohn zuteil werden!




Deutsches Bürgerleben der Gstseeprovinzen

bitten, diese zu tragen. — Diese Gilden hatten infolge von großen Vermächtnissen
reichen Besitz und machten große Schenkungen an die Kirchen. So werden in
einer Urkunde des Jahres 1441 die kirchlichen Gebranchsgegenstcinde aufgezählt,
welche die Gesellschaft der Schwarzhäupter in Riga zu Se. Katharinen und
Se. Peter gestiftet haben, unter anderen in der letzteren Kirche zwei große Kannen
aus Silber, auf denen das Wappen der Gesellschaft angebracht war, ferner in
Se. Katharinen, wo sie einen eigenen Stuhl haben, zwei gemalte Glasfenster.
In derselben Urkunde findet sich auch ein Verzeichnis des Hausrates der Gilde¬
stube an Silber, Tischzeug, Möbeln. Bildern und Waffen. Die letzteren haben
zum Teil einen sehr ernsten Zweck, wie die zwei Steinbüchsen, die dem Kauf¬
manns zwischen Lübeck und Riga zur Verteidigung dienen sollen, zum Teil aber
dienen sie zum Stecken oder zu Turnieren, einem Vergnügen, das sich die jungen
Patrizier auch in den Städten des inneren Deutschlands gegen Ende des Mittelalters
gestatteten. Dazu gehören zwei Steckhelme, zwei Platen d.h. Brustpanzer, zwei Sättel
und „Stecksachen genug". Ursprünglich durften aber nur Schwarzhäupter diese
Waffen brauchen, wie es in den Göttinger Satzungen heißt: „Niemand soll in den
Turnieren springen, es sei denn ein Schwarzhaupt, bei einem Schiffspfund
Wachs Strafe."

Bei diesen im obigen wiederholt angeführten Bußen darf es uns nicht
auffallen, daß sie vielfach in Wachs bezahlt wurden, denn das geschah auch
oft bei den Gilden des deutschen Mutterlandes. Auffallen könnte um die
Menge des zu liefernden Wachses, denn wenn wir zuletzt von einem Schiffs¬
pfund hören, so beträgt dieses ungefähr drei Zentner oder 150 Kilogramm,
und das wiederholt genannte Liespfund d. i. das Livische Pfund entspricht
vierzehn Pfunden oder sieben Kilogrammen. Gewiß wurde ein großer Teil
des so gelieferten Wachses in den Kirchen zu Lichtern verbraucht; überdies aber
war Wachs schon im dreizehnten Jahrhundert das Hauptausfuhrerzeugnis der
Ostseeprovinzen. Die Massenerzeugung beweisen die vielen urkundlich bezeugten
honigtragenden Bäume, d. h. Baumstämme, in denen Gestelle für Bienenkörbe
angebracht waren. Allein Riga hatte Hunderte von diesen an Liven verpachtet,
die mit der Hälfte des gewonnenen Wachses zahlten.

Wir haben einen Einblick getan in das bürgerliche Leben und Treiben
dieser deutschen Ansiedler, die niemals durch staatliche Bande mit dem Mutter-
lande vereinigt gewesen und nie von Kaiser und Reich unterstützt worden find. In
ihrem Kampfe gegen die sie umlagernden Feinde waren sie auf die eigene Kraft
angewiesen, und sie haben diese Kraft Jahrhundertelang glänzend bewährt und
bewähren sie vor allem heutzutage in den allergefährlichsten Kampfe, den sie
jemals zu führen gehabt haben. Möchte ihrer echt friesisch-niedersüchsischen
Zähigkeit und Ausdauer der gebührende Lohn zuteil werden!




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[0101] Deutsches Bürgerleben der Gstseeprovinzen bitten, diese zu tragen. — Diese Gilden hatten infolge von großen Vermächtnissen reichen Besitz und machten große Schenkungen an die Kirchen. So werden in einer Urkunde des Jahres 1441 die kirchlichen Gebranchsgegenstcinde aufgezählt, welche die Gesellschaft der Schwarzhäupter in Riga zu Se. Katharinen und Se. Peter gestiftet haben, unter anderen in der letzteren Kirche zwei große Kannen aus Silber, auf denen das Wappen der Gesellschaft angebracht war, ferner in Se. Katharinen, wo sie einen eigenen Stuhl haben, zwei gemalte Glasfenster. In derselben Urkunde findet sich auch ein Verzeichnis des Hausrates der Gilde¬ stube an Silber, Tischzeug, Möbeln. Bildern und Waffen. Die letzteren haben zum Teil einen sehr ernsten Zweck, wie die zwei Steinbüchsen, die dem Kauf¬ manns zwischen Lübeck und Riga zur Verteidigung dienen sollen, zum Teil aber dienen sie zum Stecken oder zu Turnieren, einem Vergnügen, das sich die jungen Patrizier auch in den Städten des inneren Deutschlands gegen Ende des Mittelalters gestatteten. Dazu gehören zwei Steckhelme, zwei Platen d.h. Brustpanzer, zwei Sättel und „Stecksachen genug". Ursprünglich durften aber nur Schwarzhäupter diese Waffen brauchen, wie es in den Göttinger Satzungen heißt: „Niemand soll in den Turnieren springen, es sei denn ein Schwarzhaupt, bei einem Schiffspfund Wachs Strafe." Bei diesen im obigen wiederholt angeführten Bußen darf es uns nicht auffallen, daß sie vielfach in Wachs bezahlt wurden, denn das geschah auch oft bei den Gilden des deutschen Mutterlandes. Auffallen könnte um die Menge des zu liefernden Wachses, denn wenn wir zuletzt von einem Schiffs¬ pfund hören, so beträgt dieses ungefähr drei Zentner oder 150 Kilogramm, und das wiederholt genannte Liespfund d. i. das Livische Pfund entspricht vierzehn Pfunden oder sieben Kilogrammen. Gewiß wurde ein großer Teil des so gelieferten Wachses in den Kirchen zu Lichtern verbraucht; überdies aber war Wachs schon im dreizehnten Jahrhundert das Hauptausfuhrerzeugnis der Ostseeprovinzen. Die Massenerzeugung beweisen die vielen urkundlich bezeugten honigtragenden Bäume, d. h. Baumstämme, in denen Gestelle für Bienenkörbe angebracht waren. Allein Riga hatte Hunderte von diesen an Liven verpachtet, die mit der Hälfte des gewonnenen Wachses zahlten. Wir haben einen Einblick getan in das bürgerliche Leben und Treiben dieser deutschen Ansiedler, die niemals durch staatliche Bande mit dem Mutter- lande vereinigt gewesen und nie von Kaiser und Reich unterstützt worden find. In ihrem Kampfe gegen die sie umlagernden Feinde waren sie auf die eigene Kraft angewiesen, und sie haben diese Kraft Jahrhundertelang glänzend bewährt und bewähren sie vor allem heutzutage in den allergefährlichsten Kampfe, den sie jemals zu führen gehabt haben. Möchte ihrer echt friesisch-niedersüchsischen Zähigkeit und Ausdauer der gebührende Lohn zuteil werden!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/101>, abgerufen am 13.05.2024.