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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Grundsätzliches zur Rolonialfrage

müssen, um sür unsere Viehhaltung die nötigen Kraftfuttermittel zu bekommen.
Die deutsche Ölindustrie, die bisher einen immerhin beträchtlichen Teil von
Preßrückständen an die Landwirtschaft abführte, würde bei dem obengenannten
Zoll nicht mehr dazu imstande sein und die Folge wäre einfach die, daß
England auch als Lieferant für einen wertvollen Teil der landwirtschaftlichen
Bedürfnisse in Betracht käme.

Die Gesamtmenge an tropischen und subtropischen Rohstoffen, die die
deutsche Industrie und Landwirtschaft in den letzten Jahren vor dem Krieg
brauchte, belief sich auf rund ein Drittel unserer gesamten Einfuhr, also über
3 Milliarden Mark. England als altes Kolonialland trat damit für unsere
Wirtschaft in einer Art in Erscheinung, die manche Zweige unserer Volkswirt¬
schaft völlig von ihm abhängig machten.

Nun könnte eingewendet werden, daß es uns gleichgültig sein könne, ob
wir unsere Rohstoffe von englischen oder französischen oder deutschen Kolonien
beziehen, um so mehr, da der Handel immer dem günstigsten Angebot folgt
und infolgedessen nicht mit einer absoluten Verbilligung des von uns Benötigten
durch eigenen Kolonialbesitz zu rechnen wäre. Gegen diese Auffassung kann
aber nicht scharf genug Einspruch erhoben werden. Gewiß könnte es sür die
deutsche Volkswirtschaft gleichgültig bleiben, wer ihr das Fell über die Ohren
zieht, wenn es sich nur um unbedeutende und nicht ins Gewicht fallende Beträge
handelt. Es handelt sich aber, wie gesagt, um Milliardenwerte und ein großer
Teil des deutschen Nationalvermögens geht uns einfach aus dem Grunde ver¬
loren, weil die fremden Kolonien das Prinzip der offenen Tür nicht durch¬
geführt haben. England selbst hat in seinen Selbstverwaltungskolonien seinen
eigenen Handel teilweise bis zu 33^/g Prozent begünstigt, ähnlich Frankreich,
und in allerschärfstem Maß Portugal, das für seinen Handel bzw. seine Schiffahrt
Vorzugszölle bis zu 90 Prozent kennt. Was die auf dem Papier stehende
"Offene Tür" in der Praxis bedeutet, hat uns doch das Beispiel Marokkos in
den letzten Jahren vor dem Krieg deutlich genug gezeigt, und was sich in
Marokko gezeigt hat, hat sich auch mehr oder weniger in den übrigen Kolonien
herausgestellt. Von Britisch-Indien z. B. bezogen wir im Jahre 1913 fast
ebensoviel wie von dem europäischen Frankreich, nämlich für 542 Millionen Mark.
Absetzen dahin konnten wir dagegen nur für 151 Millionen Mark. Der
Australische Bund lieferte uns für 156,1 Millionen Mark, also ebensoviel wie Italien,
nahm uns aber nur für 88^/2 Millionen Mark ab. Ähnlich ungünstig für uns
stellte sich das Verhältnis für Britisch-Westafrika (134.5 zu 16,7). Ägypten
(113.4 zu 43.4), Algerien (34.6 zu 6.2) usw. Diese Zahlen bedeuten doch
nichts anderes, als daß ein großer Teil des Bezugs von fremden Kolonien
nicht mit Waren bezahlt werden konnte, sondern in Barzahlungen ausgeglichen
werden mußte. Praktisch aber heißt doch das nichts anderes als Verlust an
Nationalvermögen.

Es sei nochmals betont, daß der Optimismus in Kolonialkreisen nicht so>


Grundsätzliches zur Rolonialfrage

müssen, um sür unsere Viehhaltung die nötigen Kraftfuttermittel zu bekommen.
Die deutsche Ölindustrie, die bisher einen immerhin beträchtlichen Teil von
Preßrückständen an die Landwirtschaft abführte, würde bei dem obengenannten
Zoll nicht mehr dazu imstande sein und die Folge wäre einfach die, daß
England auch als Lieferant für einen wertvollen Teil der landwirtschaftlichen
Bedürfnisse in Betracht käme.

Die Gesamtmenge an tropischen und subtropischen Rohstoffen, die die
deutsche Industrie und Landwirtschaft in den letzten Jahren vor dem Krieg
brauchte, belief sich auf rund ein Drittel unserer gesamten Einfuhr, also über
3 Milliarden Mark. England als altes Kolonialland trat damit für unsere
Wirtschaft in einer Art in Erscheinung, die manche Zweige unserer Volkswirt¬
schaft völlig von ihm abhängig machten.

Nun könnte eingewendet werden, daß es uns gleichgültig sein könne, ob
wir unsere Rohstoffe von englischen oder französischen oder deutschen Kolonien
beziehen, um so mehr, da der Handel immer dem günstigsten Angebot folgt
und infolgedessen nicht mit einer absoluten Verbilligung des von uns Benötigten
durch eigenen Kolonialbesitz zu rechnen wäre. Gegen diese Auffassung kann
aber nicht scharf genug Einspruch erhoben werden. Gewiß könnte es sür die
deutsche Volkswirtschaft gleichgültig bleiben, wer ihr das Fell über die Ohren
zieht, wenn es sich nur um unbedeutende und nicht ins Gewicht fallende Beträge
handelt. Es handelt sich aber, wie gesagt, um Milliardenwerte und ein großer
Teil des deutschen Nationalvermögens geht uns einfach aus dem Grunde ver¬
loren, weil die fremden Kolonien das Prinzip der offenen Tür nicht durch¬
geführt haben. England selbst hat in seinen Selbstverwaltungskolonien seinen
eigenen Handel teilweise bis zu 33^/g Prozent begünstigt, ähnlich Frankreich,
und in allerschärfstem Maß Portugal, das für seinen Handel bzw. seine Schiffahrt
Vorzugszölle bis zu 90 Prozent kennt. Was die auf dem Papier stehende
„Offene Tür" in der Praxis bedeutet, hat uns doch das Beispiel Marokkos in
den letzten Jahren vor dem Krieg deutlich genug gezeigt, und was sich in
Marokko gezeigt hat, hat sich auch mehr oder weniger in den übrigen Kolonien
herausgestellt. Von Britisch-Indien z. B. bezogen wir im Jahre 1913 fast
ebensoviel wie von dem europäischen Frankreich, nämlich für 542 Millionen Mark.
Absetzen dahin konnten wir dagegen nur für 151 Millionen Mark. Der
Australische Bund lieferte uns für 156,1 Millionen Mark, also ebensoviel wie Italien,
nahm uns aber nur für 88^/2 Millionen Mark ab. Ähnlich ungünstig für uns
stellte sich das Verhältnis für Britisch-Westafrika (134.5 zu 16,7). Ägypten
(113.4 zu 43.4), Algerien (34.6 zu 6.2) usw. Diese Zahlen bedeuten doch
nichts anderes, als daß ein großer Teil des Bezugs von fremden Kolonien
nicht mit Waren bezahlt werden konnte, sondern in Barzahlungen ausgeglichen
werden mußte. Praktisch aber heißt doch das nichts anderes als Verlust an
Nationalvermögen.

Es sei nochmals betont, daß der Optimismus in Kolonialkreisen nicht so>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/112>, abgerufen am 31.05.2024.