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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag der "Grenzboten"

erfüllt. 1865 verließ Julian Schmidt die Redaktion und wurde durch Max
Jordan ersetzt, jedoch schon wenige Jahre später, am 1. Januar 1871 löste sich
die gesamte Redaktion vom Grunowschen Verlage. Die "Grenzboten" blieben in
den Händen Friedrich Wilhelm Grunows, der bereits 1873 starb, ohne
daß es ihm gelungen wäre mit Hilfe von Hans Blum den alten Baum zum
Sprießen zu bringen.

Sein Sohn Johannes Grunow ergriff nun die Zügel. Er entschloß sich
alsbald, um Konflikte zwischen Verlag und Redaktion zu vermeiden, das Blatt
unter eigener Verantwortung herauszugeben und zwar wollte er es im Sinne
der Vismärckischen Politik leiten. Freilich wurde der Rahmen nicht auf das
politische Gebiet eingeengt, vielmehr wurde das ganze innere Leben des neuen
Reiches der Gegenstand der Beurteilung und vielfach der Ablehnung. Die
unerfreulichen Züge der neuen Zeit sind noch frisch in der Erinnerung. Die
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden, die geistige Öde kam dem größeren
Teil der Volksgenossen erst allmählich zum Bewußtsein. Tapfer haben die
"Grenzboten" in den Irrungen der Geister, im Streit der Meinungen und Parteien
den Sammelruf zur Betrachtung der Dinge von höherer Warte aus erschallen
lassen, jedoch nur langsam fand sich die Gemeinde zusammen, die der Nähr¬
bodens ihres Wirkens werden konnte. Sie lebten der Überzeugung dem Wahren
und Guten zu dienen und sind dieser Überzeugung auch treu geblieben, als sie
1909 aus dem Besitz der Grunowschen Erben in denjenigen des gegenwärtigen
Herausgebers übergingen und nach Berlin als dem Zentrum des politischen
Lebens übersiedelten.

Wie die "Grenzboten" ihren Idealen dienen, weiß jeder Freund der Zeitschrift;
es wäre müßig in wenigen Worten darauf hinzuweisen, was jahrelange Arbeit
kündet. Ihren Ausbau auf dem Grunde ihrer altehrwürdigen Überlieferung
zu einem Organ gesunden nationalen Lebens, das den Forderungen der Gegen¬
wart in ihrer Weite und Tiefe Rechnung trägt, hat das gigantische Unwetter
jählings unterbrochen. Daß sie ihm standhielten, mag für die Güte des
Fundamentes sprechen. Da die scheinbar unerschütterlichen Grenzen des alten
Europas barsten, ward der Name der grünen Hefte wieder zum Symbol.
Vom Anflug schweift der Blick in die Ferne, sieht die Klippen und Fähr-
nifse der Brandung um uns her -- aber unbeirrt bleibt der Glaube an die
Zukunft unseres Reiches und an die Kräfte, die ihm in Treue dienen. Abermals
sprechen wir mit dem Psalmisten:


Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich, und
fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das
Werk unserer Hände wolle er fördern.



Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag der „Grenzboten"

erfüllt. 1865 verließ Julian Schmidt die Redaktion und wurde durch Max
Jordan ersetzt, jedoch schon wenige Jahre später, am 1. Januar 1871 löste sich
die gesamte Redaktion vom Grunowschen Verlage. Die „Grenzboten" blieben in
den Händen Friedrich Wilhelm Grunows, der bereits 1873 starb, ohne
daß es ihm gelungen wäre mit Hilfe von Hans Blum den alten Baum zum
Sprießen zu bringen.

Sein Sohn Johannes Grunow ergriff nun die Zügel. Er entschloß sich
alsbald, um Konflikte zwischen Verlag und Redaktion zu vermeiden, das Blatt
unter eigener Verantwortung herauszugeben und zwar wollte er es im Sinne
der Vismärckischen Politik leiten. Freilich wurde der Rahmen nicht auf das
politische Gebiet eingeengt, vielmehr wurde das ganze innere Leben des neuen
Reiches der Gegenstand der Beurteilung und vielfach der Ablehnung. Die
unerfreulichen Züge der neuen Zeit sind noch frisch in der Erinnerung. Die
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden, die geistige Öde kam dem größeren
Teil der Volksgenossen erst allmählich zum Bewußtsein. Tapfer haben die
„Grenzboten" in den Irrungen der Geister, im Streit der Meinungen und Parteien
den Sammelruf zur Betrachtung der Dinge von höherer Warte aus erschallen
lassen, jedoch nur langsam fand sich die Gemeinde zusammen, die der Nähr¬
bodens ihres Wirkens werden konnte. Sie lebten der Überzeugung dem Wahren
und Guten zu dienen und sind dieser Überzeugung auch treu geblieben, als sie
1909 aus dem Besitz der Grunowschen Erben in denjenigen des gegenwärtigen
Herausgebers übergingen und nach Berlin als dem Zentrum des politischen
Lebens übersiedelten.

Wie die „Grenzboten" ihren Idealen dienen, weiß jeder Freund der Zeitschrift;
es wäre müßig in wenigen Worten darauf hinzuweisen, was jahrelange Arbeit
kündet. Ihren Ausbau auf dem Grunde ihrer altehrwürdigen Überlieferung
zu einem Organ gesunden nationalen Lebens, das den Forderungen der Gegen¬
wart in ihrer Weite und Tiefe Rechnung trägt, hat das gigantische Unwetter
jählings unterbrochen. Daß sie ihm standhielten, mag für die Güte des
Fundamentes sprechen. Da die scheinbar unerschütterlichen Grenzen des alten
Europas barsten, ward der Name der grünen Hefte wieder zum Symbol.
Vom Anflug schweift der Blick in die Ferne, sieht die Klippen und Fähr-
nifse der Brandung um uns her — aber unbeirrt bleibt der Glaube an die
Zukunft unseres Reiches und an die Kräfte, die ihm in Treue dienen. Abermals
sprechen wir mit dem Psalmisten:


Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich, und
fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das
Werk unserer Hände wolle er fördern.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/16>, abgerufen am 13.05.2024.