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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Palästina und unsere Feinde

dem Deutschen Reich gemacht, so daß das französische Protektorat für die
deutsch-katholischen Niederlassungen mit ihren Arbeitern völlig illusorisch
wurde.

In ähnlicher Weise ist auch die Invasion Rußlands in Palästina erfolgt;
sie ist freilich neueren Datums, da sie erst Ende des vorige" Jahrhunderts
einsetzte, aber Staat und Kirche arbeiteten sich von vornherein ungleich intensiver
in die Hände, um bei der "friedlichen Eroberung" Palästinas durch die
Großmächte nicht die Rolle des betrübten Gerbers spielen zu müssen, dem die
Felle weggeschwommen sind. Eine nicht übel geleitete Schulpolitik sollte auch für
den Moskowiter die Bresche schlagen. Während es im Jahre 1898 in Syrien
und Palästina vierundsechzig russische Schulen mit sechstausendsiebenhundertfünf-
unddreißig Kindern gab, war die Zahl derselben zehn Jahre später bereits
auf einhundertundeins resp, zehntausend gestiegen und ist seitdem immer weiter
gewachsen. Vor allem sind Mädchenschulen eingerichtet. Die Lehrkräfte sind
durchaus ihrer Aufgabe gewachsen, sie werden in Seminaren des Landes aus¬
gebildet, nach bestandenen Examen auf einige Jahre nach Rußland geschickt und
kehren dann als "russische" Araber in die Heimat zurück, um die ihnen anver¬
trauten Kinder mit russischer Bildung zu beglücken und sie so für den ältesten
und schlimmsten Feind der Türkei zu erziehen. So findet man nicht nur in
den russischen Schulen, was erklärlich ist, Bilder des Zarenpaares, sondern
auch vielfach in den Wohnungen der früheren Zöglinge. Mit an erster Stelle
steht auf dem Stundenplan der Religionsunterricht der griechisch-orthodoxen
Kirche, so daß die Kinder römisch-katholischer, aber auch mohammedanischer
Eltern durch denselben auch in religiöser Beziehung russtfiziert werden.

Der Verherrlichung des orthodoxen Glaubens dienen aber auch die zahl¬
reichen russischen Kirchen und Kapellen. Die prächtige Kathedrale der heiligen
Dreieinigkeit in Jerusalem wie die nicht minder schöne Magdalenenkirche am
Fuß des Ölberges, die Gotteshäuser an der Küste wie in Jaffa und in der
Jordanaue in Jericho, die Klöster und Kapellen mit ihren weiten, vortrefflich
bebauten Ländereien geben einen imposanten Eindruck von der Macht des großen
nordischen Reiches, das sich auf diese Weise zugleich als Großgrundbesitzer im Lande
festgesetzt hat. Jahr um Jahr füllten sich diese Gotteshäuser und die geräumigen
Herbergen der Klöster mit Tausenden von russischen Pilgern, die ihr Staat als
Reklameschild für seine selbstsüchtigen Interessen den weiten Weg aus der nor¬
dischen Heimat nach Palästina machen ließ, das namentlich um die Osterzeit
infolge des starken russischen Pilgerandrangs einen fast russischen Eindruck zu
machen schien. Die "Russische Handels- und Dampfschiffahrtsgesellschaft" be¬
förderte mit staatlicher Unterstützung die Pilger von Odessa bis Jaffa für den
geringen Preis von 130 Mark hin und zurück, und für 10 Pfennige erhielten
sie täglich Nahrung und Obdach in den Pilgerhäusern, in denen mächtige
mannshohe Samoware auch für die Stillung des bekannten russischen Durstes
sorgten.


Palästina und unsere Feinde

dem Deutschen Reich gemacht, so daß das französische Protektorat für die
deutsch-katholischen Niederlassungen mit ihren Arbeitern völlig illusorisch
wurde.

In ähnlicher Weise ist auch die Invasion Rußlands in Palästina erfolgt;
sie ist freilich neueren Datums, da sie erst Ende des vorige« Jahrhunderts
einsetzte, aber Staat und Kirche arbeiteten sich von vornherein ungleich intensiver
in die Hände, um bei der „friedlichen Eroberung" Palästinas durch die
Großmächte nicht die Rolle des betrübten Gerbers spielen zu müssen, dem die
Felle weggeschwommen sind. Eine nicht übel geleitete Schulpolitik sollte auch für
den Moskowiter die Bresche schlagen. Während es im Jahre 1898 in Syrien
und Palästina vierundsechzig russische Schulen mit sechstausendsiebenhundertfünf-
unddreißig Kindern gab, war die Zahl derselben zehn Jahre später bereits
auf einhundertundeins resp, zehntausend gestiegen und ist seitdem immer weiter
gewachsen. Vor allem sind Mädchenschulen eingerichtet. Die Lehrkräfte sind
durchaus ihrer Aufgabe gewachsen, sie werden in Seminaren des Landes aus¬
gebildet, nach bestandenen Examen auf einige Jahre nach Rußland geschickt und
kehren dann als „russische" Araber in die Heimat zurück, um die ihnen anver¬
trauten Kinder mit russischer Bildung zu beglücken und sie so für den ältesten
und schlimmsten Feind der Türkei zu erziehen. So findet man nicht nur in
den russischen Schulen, was erklärlich ist, Bilder des Zarenpaares, sondern
auch vielfach in den Wohnungen der früheren Zöglinge. Mit an erster Stelle
steht auf dem Stundenplan der Religionsunterricht der griechisch-orthodoxen
Kirche, so daß die Kinder römisch-katholischer, aber auch mohammedanischer
Eltern durch denselben auch in religiöser Beziehung russtfiziert werden.

Der Verherrlichung des orthodoxen Glaubens dienen aber auch die zahl¬
reichen russischen Kirchen und Kapellen. Die prächtige Kathedrale der heiligen
Dreieinigkeit in Jerusalem wie die nicht minder schöne Magdalenenkirche am
Fuß des Ölberges, die Gotteshäuser an der Küste wie in Jaffa und in der
Jordanaue in Jericho, die Klöster und Kapellen mit ihren weiten, vortrefflich
bebauten Ländereien geben einen imposanten Eindruck von der Macht des großen
nordischen Reiches, das sich auf diese Weise zugleich als Großgrundbesitzer im Lande
festgesetzt hat. Jahr um Jahr füllten sich diese Gotteshäuser und die geräumigen
Herbergen der Klöster mit Tausenden von russischen Pilgern, die ihr Staat als
Reklameschild für seine selbstsüchtigen Interessen den weiten Weg aus der nor¬
dischen Heimat nach Palästina machen ließ, das namentlich um die Osterzeit
infolge des starken russischen Pilgerandrangs einen fast russischen Eindruck zu
machen schien. Die „Russische Handels- und Dampfschiffahrtsgesellschaft" be¬
förderte mit staatlicher Unterstützung die Pilger von Odessa bis Jaffa für den
geringen Preis von 130 Mark hin und zurück, und für 10 Pfennige erhielten
sie täglich Nahrung und Obdach in den Pilgerhäusern, in denen mächtige
mannshohe Samoware auch für die Stillung des bekannten russischen Durstes
sorgten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/240>, abgerufen am 29.05.2024.