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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Akademische Rriegsliteratur

"Wissenschaft ist nicht eines Staates, nicht eines Volkes. Der versündigt sich
an ihr, der sie ihres übernationalen, überirdischen Wesens entkleiden will."
Und diese überschwengliche Auffassung führt naturgemäß dazu, auf die Wissen¬
schaft als Versöhnerin große Zukunftshoffnungen zu setzen. "Die Liebe zur
Wissenschaft," so sagt der gleiche Gelehrte in seiner Rektoratsrede, "der Drang
empor zu denselben Idealen ist ein göttliches Feuer, und die Herzen, in denen
es brennt, müssen sich einander trotz allem verwandt fühlen. Eros, der Mittler
zwischen Göttern und Menschen, wird auch die Seelen wieder zueinander
führen, sobald nicht die ebenso heilige Liebe zum Vaterlande unsere ganze Kraft
des Leibes und der Seele in Anspruch nimmt." Und auch der Leipziger
Rektor Professor Adolf Strümpell betonte in seiner Ansprache an die Vertreter
der neutralen Presse am 16. Dezember 1915 nachdrücklich "daß gerade
die Wissenschaft und die Universitäten die ersten Fäden spinnen werden, die in
einer nicht allzu fernen Zeit des Friedens die Völker wieder verknüpfen können
und ihnen aufs neue zum Bewußtsein bringen werden, daß es über der Welt
der Interessen- und Machtkämpfe auch eine lichte Welt des Geistes und der
Gedanken gibt -- ohne Kanonen und blutige Menschenopfer." *) Wann aller¬
dings in der Wissenschaft eine Wiederherstellung der alten internationalen Be¬
ziehungen, deren bisherigen Wert ein erfahrener Beurteiler wie der Münchener
Historiker Th. v. Heigel übrigens ziemlich niedrig einschützt, wirklich erfolgen
dürfte, ist heute eine schwer zu beantwortende Frage.

Eine eigenartige, für den Kenner der sehr konservativen akademischen
Verhältnisse allerdings nicht auffallende Erscheinung, zeigt sich in der gesamten
akademischen Kriegsliteratur insofern, als von offizieller Stelle aus nirgends
die Frage behandelt wird, welche Änderungen oder gar Umwälzungen der
Weltkrieg in den Einrichtungen des zukünftigen Hochschulwesens hervorrufen
purste. Professor Albert Küster stellt in seiner feinsinnigen Leipziger Rektorats¬
rede fest, wie die Verbindung der Universität mit den Kriegen der Neuzeit seit
dem Erwachen deutschen Lebens unter Friedrich dem Großen immer enger
geworden sei, und meint am Schlüsse allgemein, der gegenwärtige Weltkrieg
wirke auch auf die Universität und ihre Einrichtungen umgestaltend und nach
Friedeeisschluß müßten einige Zöpfe am Hochschulwesen abgeschnitten werden.
Ebensowenig berührt der Jenaer Professor Kartelliert diese Seite des akade¬
mischen Lebens in seinem Vortrag, worin er sehr kurz von den Einwirkungen
des Krieges auf die wissenschaftliche Arbeit spricht. Rein negativ kritisierend
und verdammend ist die in den ungemein scharfen Streitschriften Hans Blühers
gehaltene Philippika gegen die heutige Universität, jene "Unioersal-Lehranstalt,
in der das jeweilige Jntellektuellengewerbe die jeweiligen Tendenzen der Öffent¬
lichkeit bedient." Die Ausführungen Blühers, der zuerst durch seine Geschichte
des "Wandervogels" bekannt geworden ist, erscheinen als der lebendige Aus-



*) Die Rede ist nur in der Tagespresse, nicht als selbständige Veröffentlichung erschienen.
Akademische Rriegsliteratur

„Wissenschaft ist nicht eines Staates, nicht eines Volkes. Der versündigt sich
an ihr, der sie ihres übernationalen, überirdischen Wesens entkleiden will."
Und diese überschwengliche Auffassung führt naturgemäß dazu, auf die Wissen¬
schaft als Versöhnerin große Zukunftshoffnungen zu setzen. „Die Liebe zur
Wissenschaft," so sagt der gleiche Gelehrte in seiner Rektoratsrede, „der Drang
empor zu denselben Idealen ist ein göttliches Feuer, und die Herzen, in denen
es brennt, müssen sich einander trotz allem verwandt fühlen. Eros, der Mittler
zwischen Göttern und Menschen, wird auch die Seelen wieder zueinander
führen, sobald nicht die ebenso heilige Liebe zum Vaterlande unsere ganze Kraft
des Leibes und der Seele in Anspruch nimmt." Und auch der Leipziger
Rektor Professor Adolf Strümpell betonte in seiner Ansprache an die Vertreter
der neutralen Presse am 16. Dezember 1915 nachdrücklich „daß gerade
die Wissenschaft und die Universitäten die ersten Fäden spinnen werden, die in
einer nicht allzu fernen Zeit des Friedens die Völker wieder verknüpfen können
und ihnen aufs neue zum Bewußtsein bringen werden, daß es über der Welt
der Interessen- und Machtkämpfe auch eine lichte Welt des Geistes und der
Gedanken gibt — ohne Kanonen und blutige Menschenopfer." *) Wann aller¬
dings in der Wissenschaft eine Wiederherstellung der alten internationalen Be¬
ziehungen, deren bisherigen Wert ein erfahrener Beurteiler wie der Münchener
Historiker Th. v. Heigel übrigens ziemlich niedrig einschützt, wirklich erfolgen
dürfte, ist heute eine schwer zu beantwortende Frage.

Eine eigenartige, für den Kenner der sehr konservativen akademischen
Verhältnisse allerdings nicht auffallende Erscheinung, zeigt sich in der gesamten
akademischen Kriegsliteratur insofern, als von offizieller Stelle aus nirgends
die Frage behandelt wird, welche Änderungen oder gar Umwälzungen der
Weltkrieg in den Einrichtungen des zukünftigen Hochschulwesens hervorrufen
purste. Professor Albert Küster stellt in seiner feinsinnigen Leipziger Rektorats¬
rede fest, wie die Verbindung der Universität mit den Kriegen der Neuzeit seit
dem Erwachen deutschen Lebens unter Friedrich dem Großen immer enger
geworden sei, und meint am Schlüsse allgemein, der gegenwärtige Weltkrieg
wirke auch auf die Universität und ihre Einrichtungen umgestaltend und nach
Friedeeisschluß müßten einige Zöpfe am Hochschulwesen abgeschnitten werden.
Ebensowenig berührt der Jenaer Professor Kartelliert diese Seite des akade¬
mischen Lebens in seinem Vortrag, worin er sehr kurz von den Einwirkungen
des Krieges auf die wissenschaftliche Arbeit spricht. Rein negativ kritisierend
und verdammend ist die in den ungemein scharfen Streitschriften Hans Blühers
gehaltene Philippika gegen die heutige Universität, jene „Unioersal-Lehranstalt,
in der das jeweilige Jntellektuellengewerbe die jeweiligen Tendenzen der Öffent¬
lichkeit bedient." Die Ausführungen Blühers, der zuerst durch seine Geschichte
des „Wandervogels" bekannt geworden ist, erscheinen als der lebendige Aus-



*) Die Rede ist nur in der Tagespresse, nicht als selbständige Veröffentlichung erschienen.
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[0034] Akademische Rriegsliteratur „Wissenschaft ist nicht eines Staates, nicht eines Volkes. Der versündigt sich an ihr, der sie ihres übernationalen, überirdischen Wesens entkleiden will." Und diese überschwengliche Auffassung führt naturgemäß dazu, auf die Wissen¬ schaft als Versöhnerin große Zukunftshoffnungen zu setzen. „Die Liebe zur Wissenschaft," so sagt der gleiche Gelehrte in seiner Rektoratsrede, „der Drang empor zu denselben Idealen ist ein göttliches Feuer, und die Herzen, in denen es brennt, müssen sich einander trotz allem verwandt fühlen. Eros, der Mittler zwischen Göttern und Menschen, wird auch die Seelen wieder zueinander führen, sobald nicht die ebenso heilige Liebe zum Vaterlande unsere ganze Kraft des Leibes und der Seele in Anspruch nimmt." Und auch der Leipziger Rektor Professor Adolf Strümpell betonte in seiner Ansprache an die Vertreter der neutralen Presse am 16. Dezember 1915 nachdrücklich „daß gerade die Wissenschaft und die Universitäten die ersten Fäden spinnen werden, die in einer nicht allzu fernen Zeit des Friedens die Völker wieder verknüpfen können und ihnen aufs neue zum Bewußtsein bringen werden, daß es über der Welt der Interessen- und Machtkämpfe auch eine lichte Welt des Geistes und der Gedanken gibt — ohne Kanonen und blutige Menschenopfer." *) Wann aller¬ dings in der Wissenschaft eine Wiederherstellung der alten internationalen Be¬ ziehungen, deren bisherigen Wert ein erfahrener Beurteiler wie der Münchener Historiker Th. v. Heigel übrigens ziemlich niedrig einschützt, wirklich erfolgen dürfte, ist heute eine schwer zu beantwortende Frage. Eine eigenartige, für den Kenner der sehr konservativen akademischen Verhältnisse allerdings nicht auffallende Erscheinung, zeigt sich in der gesamten akademischen Kriegsliteratur insofern, als von offizieller Stelle aus nirgends die Frage behandelt wird, welche Änderungen oder gar Umwälzungen der Weltkrieg in den Einrichtungen des zukünftigen Hochschulwesens hervorrufen purste. Professor Albert Küster stellt in seiner feinsinnigen Leipziger Rektorats¬ rede fest, wie die Verbindung der Universität mit den Kriegen der Neuzeit seit dem Erwachen deutschen Lebens unter Friedrich dem Großen immer enger geworden sei, und meint am Schlüsse allgemein, der gegenwärtige Weltkrieg wirke auch auf die Universität und ihre Einrichtungen umgestaltend und nach Friedeeisschluß müßten einige Zöpfe am Hochschulwesen abgeschnitten werden. Ebensowenig berührt der Jenaer Professor Kartelliert diese Seite des akade¬ mischen Lebens in seinem Vortrag, worin er sehr kurz von den Einwirkungen des Krieges auf die wissenschaftliche Arbeit spricht. Rein negativ kritisierend und verdammend ist die in den ungemein scharfen Streitschriften Hans Blühers gehaltene Philippika gegen die heutige Universität, jene „Unioersal-Lehranstalt, in der das jeweilige Jntellektuellengewerbe die jeweiligen Tendenzen der Öffent¬ lichkeit bedient." Die Ausführungen Blühers, der zuerst durch seine Geschichte des „Wandervogels" bekannt geworden ist, erscheinen als der lebendige Aus- *) Die Rede ist nur in der Tagespresse, nicht als selbständige Veröffentlichung erschienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/34>, abgerufen am 12.05.2024.