Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwischen Gründerzeit und Weltkrieg

Heute wissen wir, wie bedeutsam und verhängnisvoll das alles auch mit
unseren nächsten Gegenwartssorgen zusammenhängt. Jeder von uns erinnert
sich an Gespräche mit nicht ganz übelwollenden Ausländern, mit Holländern,
Skandinaviern oder Schweizern, die uns das Kraftprotzentum unserer Gründer¬
zeit vorwarfen, und Deutschland eben nur als das Land dieser unerfreulichen
Entwicklung, der seelenlosen Arbeit und des kulturlosen Vergnügens sahen, der
kapitalistisch auftrumpfenden und innerlich unsicheren Emporkömmlinge. Wenn
man ihnen dann von jenem neuen, inneren, werdenden Deutschland sprach,
dann horchten einige erstaunt auf, andere schüttelten ungläubig den Kopf: wo
war es? Nicht links beim Politischen- und Jnteressentenliberalismus und nicht
rechts bei den ebenso von Interessen gebundenen und irregeleiteten politischen
Parteien, nicht bei den hervorragenden einzelnen, die einander bekämpften und
deren innerlichste Übereinstimmung für den Ausländer, zumal ja dieser selten
guten Willen zum näheren Erkennen mitbrachte, schwer erkennbar war, und
nicht in den freien Organisationen, die allzuwenig Einfluß auf die breiten Volks¬
massen gewannen. Wir boten, von außen gesehen, ein widerspruchsvolles, ver¬
wirrendes und Mißtrauen erweckendes Bild und jene werdende innerste Einheit
lag tief darunter verborgen.

Aber sie war da, sie wirkt sich jetzt in geschichtlichen Taten aus und sie
wird, allen bösartigen Hemmungen zum Trotz, im Wiederaufbau nach dem
Kriege, freilich nicht im Sinne vorzeitig geprägter Schlagworte, lebendig fein.
Späte Geschlechter jenseits des Krieges werden an der Pflege dessen arbeiten,
was in den Jahrzehnten vorher gesäet worden ist. Der Krieg, der jetzt viel¬
leicht nur Ablenkung von dieser Arbeit scheinen mag. hat sie nur in Zusammen¬
hang mit dem gebracht, was das Geschlecht vor dem Kriege, und gerade oft
die besten in ihm, allzuwenig erkannten: mit unserem Dasein in der Welt,
zwischen den Nationen. Zu ausschließlich sahen diese Kulturarbeiter vor dem
Kriege nur die inneren Notwendigkeiten: jetzt greift eines ins andere, unser
Leben nach außen hin und unser Leben im Innern muß in Wechselwirkung er¬
faßt und durchgebildet werden.

Vor Mir liegt ein erfreulich schlichtes und gediegenes Büchlein, das den
Blick auf diese Zusammenhänge von einer ganz bestimmten Stelle aus über¬
raschend unmittelbar öffnet, das Avenariusbuch. das W. Stapel zum Ge¬
burtstag des Kunstwartherausgebers zusammengestellt hat (Verlag von Georg
D. W. Callwey - München 1916). Man kann es nicht besser rühmen,
als wenn man sagt: es hat das Beste von der Art, in der Avenarius
die Werte, auf die es ihm ankam, zu zeigen und lebendig zu machen
verstand. Nach einer knappen Einleitung bietet es eine feinsinnige Aus¬
wahl aus seinen Aufsätzen und Gedichten, in denen das nicht leicht über¬
sehbare Wirken dieses Kulturförderers und -Helfers sehr deutlich wird. Mit
Recht ist dem Dichter ein besonders großer Raum zugewiesen, ein größerer,
als die breite Öffentlichkeit vielleicht im allgemeinen von sich aus tun würde.


Zwischen Gründerzeit und Weltkrieg

Heute wissen wir, wie bedeutsam und verhängnisvoll das alles auch mit
unseren nächsten Gegenwartssorgen zusammenhängt. Jeder von uns erinnert
sich an Gespräche mit nicht ganz übelwollenden Ausländern, mit Holländern,
Skandinaviern oder Schweizern, die uns das Kraftprotzentum unserer Gründer¬
zeit vorwarfen, und Deutschland eben nur als das Land dieser unerfreulichen
Entwicklung, der seelenlosen Arbeit und des kulturlosen Vergnügens sahen, der
kapitalistisch auftrumpfenden und innerlich unsicheren Emporkömmlinge. Wenn
man ihnen dann von jenem neuen, inneren, werdenden Deutschland sprach,
dann horchten einige erstaunt auf, andere schüttelten ungläubig den Kopf: wo
war es? Nicht links beim Politischen- und Jnteressentenliberalismus und nicht
rechts bei den ebenso von Interessen gebundenen und irregeleiteten politischen
Parteien, nicht bei den hervorragenden einzelnen, die einander bekämpften und
deren innerlichste Übereinstimmung für den Ausländer, zumal ja dieser selten
guten Willen zum näheren Erkennen mitbrachte, schwer erkennbar war, und
nicht in den freien Organisationen, die allzuwenig Einfluß auf die breiten Volks¬
massen gewannen. Wir boten, von außen gesehen, ein widerspruchsvolles, ver¬
wirrendes und Mißtrauen erweckendes Bild und jene werdende innerste Einheit
lag tief darunter verborgen.

Aber sie war da, sie wirkt sich jetzt in geschichtlichen Taten aus und sie
wird, allen bösartigen Hemmungen zum Trotz, im Wiederaufbau nach dem
Kriege, freilich nicht im Sinne vorzeitig geprägter Schlagworte, lebendig fein.
Späte Geschlechter jenseits des Krieges werden an der Pflege dessen arbeiten,
was in den Jahrzehnten vorher gesäet worden ist. Der Krieg, der jetzt viel¬
leicht nur Ablenkung von dieser Arbeit scheinen mag. hat sie nur in Zusammen¬
hang mit dem gebracht, was das Geschlecht vor dem Kriege, und gerade oft
die besten in ihm, allzuwenig erkannten: mit unserem Dasein in der Welt,
zwischen den Nationen. Zu ausschließlich sahen diese Kulturarbeiter vor dem
Kriege nur die inneren Notwendigkeiten: jetzt greift eines ins andere, unser
Leben nach außen hin und unser Leben im Innern muß in Wechselwirkung er¬
faßt und durchgebildet werden.

Vor Mir liegt ein erfreulich schlichtes und gediegenes Büchlein, das den
Blick auf diese Zusammenhänge von einer ganz bestimmten Stelle aus über¬
raschend unmittelbar öffnet, das Avenariusbuch. das W. Stapel zum Ge¬
burtstag des Kunstwartherausgebers zusammengestellt hat (Verlag von Georg
D. W. Callwey - München 1916). Man kann es nicht besser rühmen,
als wenn man sagt: es hat das Beste von der Art, in der Avenarius
die Werte, auf die es ihm ankam, zu zeigen und lebendig zu machen
verstand. Nach einer knappen Einleitung bietet es eine feinsinnige Aus¬
wahl aus seinen Aufsätzen und Gedichten, in denen das nicht leicht über¬
sehbare Wirken dieses Kulturförderers und -Helfers sehr deutlich wird. Mit
Recht ist dem Dichter ein besonders großer Raum zugewiesen, ein größerer,
als die breite Öffentlichkeit vielleicht im allgemeinen von sich aus tun würde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331362"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwischen Gründerzeit und Weltkrieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1456" prev="#ID_1455"> Heute wissen wir, wie bedeutsam und verhängnisvoll das alles auch mit<lb/>
unseren nächsten Gegenwartssorgen zusammenhängt. Jeder von uns erinnert<lb/>
sich an Gespräche mit nicht ganz übelwollenden Ausländern, mit Holländern,<lb/>
Skandinaviern oder Schweizern, die uns das Kraftprotzentum unserer Gründer¬<lb/>
zeit vorwarfen, und Deutschland eben nur als das Land dieser unerfreulichen<lb/>
Entwicklung, der seelenlosen Arbeit und des kulturlosen Vergnügens sahen, der<lb/>
kapitalistisch auftrumpfenden und innerlich unsicheren Emporkömmlinge. Wenn<lb/>
man ihnen dann von jenem neuen, inneren, werdenden Deutschland sprach,<lb/>
dann horchten einige erstaunt auf, andere schüttelten ungläubig den Kopf: wo<lb/>
war es? Nicht links beim Politischen- und Jnteressentenliberalismus und nicht<lb/>
rechts bei den ebenso von Interessen gebundenen und irregeleiteten politischen<lb/>
Parteien, nicht bei den hervorragenden einzelnen, die einander bekämpften und<lb/>
deren innerlichste Übereinstimmung für den Ausländer, zumal ja dieser selten<lb/>
guten Willen zum näheren Erkennen mitbrachte, schwer erkennbar war, und<lb/>
nicht in den freien Organisationen, die allzuwenig Einfluß auf die breiten Volks¬<lb/>
massen gewannen. Wir boten, von außen gesehen, ein widerspruchsvolles, ver¬<lb/>
wirrendes und Mißtrauen erweckendes Bild und jene werdende innerste Einheit<lb/>
lag tief darunter verborgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1457"> Aber sie war da, sie wirkt sich jetzt in geschichtlichen Taten aus und sie<lb/>
wird, allen bösartigen Hemmungen zum Trotz, im Wiederaufbau nach dem<lb/>
Kriege, freilich nicht im Sinne vorzeitig geprägter Schlagworte, lebendig fein.<lb/>
Späte Geschlechter jenseits des Krieges werden an der Pflege dessen arbeiten,<lb/>
was in den Jahrzehnten vorher gesäet worden ist. Der Krieg, der jetzt viel¬<lb/>
leicht nur Ablenkung von dieser Arbeit scheinen mag. hat sie nur in Zusammen¬<lb/>
hang mit dem gebracht, was das Geschlecht vor dem Kriege, und gerade oft<lb/>
die besten in ihm, allzuwenig erkannten: mit unserem Dasein in der Welt,<lb/>
zwischen den Nationen. Zu ausschließlich sahen diese Kulturarbeiter vor dem<lb/>
Kriege nur die inneren Notwendigkeiten: jetzt greift eines ins andere, unser<lb/>
Leben nach außen hin und unser Leben im Innern muß in Wechselwirkung er¬<lb/>
faßt und durchgebildet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1458" next="#ID_1459"> Vor Mir liegt ein erfreulich schlichtes und gediegenes Büchlein, das den<lb/>
Blick auf diese Zusammenhänge von einer ganz bestimmten Stelle aus über¬<lb/>
raschend unmittelbar öffnet, das Avenariusbuch. das W. Stapel zum Ge¬<lb/>
burtstag des Kunstwartherausgebers zusammengestellt hat (Verlag von Georg<lb/>
D. W. Callwey - München 1916). Man kann es nicht besser rühmen,<lb/>
als wenn man sagt: es hat das Beste von der Art, in der Avenarius<lb/>
die Werte, auf die es ihm ankam, zu zeigen und lebendig zu machen<lb/>
verstand. Nach einer knappen Einleitung bietet es eine feinsinnige Aus¬<lb/>
wahl aus seinen Aufsätzen und Gedichten, in denen das nicht leicht über¬<lb/>
sehbare Wirken dieses Kulturförderers und -Helfers sehr deutlich wird. Mit<lb/>
Recht ist dem Dichter ein besonders großer Raum zugewiesen, ein größerer,<lb/>
als die breite Öffentlichkeit vielleicht im allgemeinen von sich aus tun würde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] Zwischen Gründerzeit und Weltkrieg Heute wissen wir, wie bedeutsam und verhängnisvoll das alles auch mit unseren nächsten Gegenwartssorgen zusammenhängt. Jeder von uns erinnert sich an Gespräche mit nicht ganz übelwollenden Ausländern, mit Holländern, Skandinaviern oder Schweizern, die uns das Kraftprotzentum unserer Gründer¬ zeit vorwarfen, und Deutschland eben nur als das Land dieser unerfreulichen Entwicklung, der seelenlosen Arbeit und des kulturlosen Vergnügens sahen, der kapitalistisch auftrumpfenden und innerlich unsicheren Emporkömmlinge. Wenn man ihnen dann von jenem neuen, inneren, werdenden Deutschland sprach, dann horchten einige erstaunt auf, andere schüttelten ungläubig den Kopf: wo war es? Nicht links beim Politischen- und Jnteressentenliberalismus und nicht rechts bei den ebenso von Interessen gebundenen und irregeleiteten politischen Parteien, nicht bei den hervorragenden einzelnen, die einander bekämpften und deren innerlichste Übereinstimmung für den Ausländer, zumal ja dieser selten guten Willen zum näheren Erkennen mitbrachte, schwer erkennbar war, und nicht in den freien Organisationen, die allzuwenig Einfluß auf die breiten Volks¬ massen gewannen. Wir boten, von außen gesehen, ein widerspruchsvolles, ver¬ wirrendes und Mißtrauen erweckendes Bild und jene werdende innerste Einheit lag tief darunter verborgen. Aber sie war da, sie wirkt sich jetzt in geschichtlichen Taten aus und sie wird, allen bösartigen Hemmungen zum Trotz, im Wiederaufbau nach dem Kriege, freilich nicht im Sinne vorzeitig geprägter Schlagworte, lebendig fein. Späte Geschlechter jenseits des Krieges werden an der Pflege dessen arbeiten, was in den Jahrzehnten vorher gesäet worden ist. Der Krieg, der jetzt viel¬ leicht nur Ablenkung von dieser Arbeit scheinen mag. hat sie nur in Zusammen¬ hang mit dem gebracht, was das Geschlecht vor dem Kriege, und gerade oft die besten in ihm, allzuwenig erkannten: mit unserem Dasein in der Welt, zwischen den Nationen. Zu ausschließlich sahen diese Kulturarbeiter vor dem Kriege nur die inneren Notwendigkeiten: jetzt greift eines ins andere, unser Leben nach außen hin und unser Leben im Innern muß in Wechselwirkung er¬ faßt und durchgebildet werden. Vor Mir liegt ein erfreulich schlichtes und gediegenes Büchlein, das den Blick auf diese Zusammenhänge von einer ganz bestimmten Stelle aus über¬ raschend unmittelbar öffnet, das Avenariusbuch. das W. Stapel zum Ge¬ burtstag des Kunstwartherausgebers zusammengestellt hat (Verlag von Georg D. W. Callwey - München 1916). Man kann es nicht besser rühmen, als wenn man sagt: es hat das Beste von der Art, in der Avenarius die Werte, auf die es ihm ankam, zu zeigen und lebendig zu machen verstand. Nach einer knappen Einleitung bietet es eine feinsinnige Aus¬ wahl aus seinen Aufsätzen und Gedichten, in denen das nicht leicht über¬ sehbare Wirken dieses Kulturförderers und -Helfers sehr deutlich wird. Mit Recht ist dem Dichter ein besonders großer Raum zugewiesen, ein größerer, als die breite Öffentlichkeit vielleicht im allgemeinen von sich aus tun würde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/390>, abgerufen am 13.05.2024.