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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Weltweizenversorgnng im Wirtschaftsjahre ^6/47

hebt von Waltershausen nicht genügend hervor, wird sich die ganze Erbitterung
der eventuell notleidenden Länder gegen England richten, sobald es Miene
machen sollte, ihnen die Zufuhren zu entziehen oder sie auch nur erheblich ein¬
zuschränken. Es ist nicht zu leugnen, daß dieser Zustand im Frühsommer ein-
treten kann, und daß England im äußersten Notfalle zuerst und eventuell aus¬
schließlich an sich und seine Versorgung denken wird.

Der Möglichkeit einer vermehrten Abhängigkeit der Verbündeten und Neutralen
von England, die von Wälderhäuser betont, steht also die Wahrscheinlichkeit einer
starken Verminderung des englischen Einflusses oder noch Schlimmeres gegenüber.

Von den sieben großen Getreideausfuhrländern sind, wohl für die ganze
Kriegsdauer, den Westmächten Rumänien gänzlich, Rußland fast völlig ver¬
schlossen. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Kanada haben nach
amtlicher Feststellung Ernten hervorgebracht, die nur geringe Überschüsse er¬
geben, und zwar nicht nur qualitativ, sondern auch qualitativ, nicht nur für
Weizen, sondern auch für alle übrigen Feldfrüchte. Nach englischen Berichten
scheint Argentinien hinsichtlich seiner demnächst fälligen Ernte dasselbe Schicksal
zu erleiden. Nur im Süden des Landes sind normale Erträgnisse zu erwarten.
So bleiben nur noch Indien und Australien zur Beurteilung übrig. Indien sieht
nach einer mäßigen Ernte im Frühjahr 1916 einer mittelguten im März 1917 ent¬
gegen, doch beginnt jetzt erst die eigentliche Prüfungszeit für deren endgültige Ge¬
staltung. Hinsichtlich der australischen Ernte war die englische Fachpresse noch
vor einem Monat vom größten Optimismus erfüllt. Ihr Ton wird von Monat
zu Monat kleinlauter. Die Ausfuhrkapazität, zuerst mit 4,8 Millionen Tonnen
Weizen berechnet, wird jetzt nur noch auf 2,7 Millionen Tonnen angegeben.
In diesen Tagen meldete die "Times" aus Sydney, daß die Getreideernte in
New-South-Wales nicht mehr als die Hälfte einer normalen verspräche.

Bei Betrachtung des Bedarfs der Einfuhrländer ist das wichtigste Moment,
daß England und Frankreich bei weitem schlechtere Ernten im Jahre 1916 zu
beklagen haben. Die englische Weizenernte ist mit 6 Millionen Tonnen um
18 Prozent, die französische mit 5,6 Millionen Tonnen um 7 Prozent kleiner
ausgefallen als im Vorjahre. Italiens Weiz-nernte überragt die vorjährige
um ein Geringes, dagegen ist dort die Maisernte ein Fehlschlag, was bei dem
starken Polentabedarf des Landes eine Vermehrung des Weizenverbrauchs zur
Folge haben könnte. Trotz dieser Voraussetzung wollen wir den Weizeneinfuhr-
bedars der drei Länder nicht höher, sondern ebenso ansetzen, wie der tatsächliche
Import im abgelaufenen Wirtschaftsjahre war, zumal da ja der wesentlich
höhere Preisstand eine gewisse Verbrauchsbeschränkung immerhin verursachen
könnte. Allerdings steht einer Verminderung des Brotverbrauchs der Umstand
im Wege, daß die anderen Nahrungsmittel, wie namentlich Fleisch, Fett.
Butter, Eier und Fisch usw. teils in gleichem, teils in noch höherem Maße
verteuert sind als das Brot. Bei den Neutralen sind erhebliche Verschiebungen


Weltweizenversorgnng im Wirtschaftsjahre ^6/47

hebt von Waltershausen nicht genügend hervor, wird sich die ganze Erbitterung
der eventuell notleidenden Länder gegen England richten, sobald es Miene
machen sollte, ihnen die Zufuhren zu entziehen oder sie auch nur erheblich ein¬
zuschränken. Es ist nicht zu leugnen, daß dieser Zustand im Frühsommer ein-
treten kann, und daß England im äußersten Notfalle zuerst und eventuell aus¬
schließlich an sich und seine Versorgung denken wird.

Der Möglichkeit einer vermehrten Abhängigkeit der Verbündeten und Neutralen
von England, die von Wälderhäuser betont, steht also die Wahrscheinlichkeit einer
starken Verminderung des englischen Einflusses oder noch Schlimmeres gegenüber.

Von den sieben großen Getreideausfuhrländern sind, wohl für die ganze
Kriegsdauer, den Westmächten Rumänien gänzlich, Rußland fast völlig ver¬
schlossen. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Kanada haben nach
amtlicher Feststellung Ernten hervorgebracht, die nur geringe Überschüsse er¬
geben, und zwar nicht nur qualitativ, sondern auch qualitativ, nicht nur für
Weizen, sondern auch für alle übrigen Feldfrüchte. Nach englischen Berichten
scheint Argentinien hinsichtlich seiner demnächst fälligen Ernte dasselbe Schicksal
zu erleiden. Nur im Süden des Landes sind normale Erträgnisse zu erwarten.
So bleiben nur noch Indien und Australien zur Beurteilung übrig. Indien sieht
nach einer mäßigen Ernte im Frühjahr 1916 einer mittelguten im März 1917 ent¬
gegen, doch beginnt jetzt erst die eigentliche Prüfungszeit für deren endgültige Ge¬
staltung. Hinsichtlich der australischen Ernte war die englische Fachpresse noch
vor einem Monat vom größten Optimismus erfüllt. Ihr Ton wird von Monat
zu Monat kleinlauter. Die Ausfuhrkapazität, zuerst mit 4,8 Millionen Tonnen
Weizen berechnet, wird jetzt nur noch auf 2,7 Millionen Tonnen angegeben.
In diesen Tagen meldete die „Times" aus Sydney, daß die Getreideernte in
New-South-Wales nicht mehr als die Hälfte einer normalen verspräche.

Bei Betrachtung des Bedarfs der Einfuhrländer ist das wichtigste Moment,
daß England und Frankreich bei weitem schlechtere Ernten im Jahre 1916 zu
beklagen haben. Die englische Weizenernte ist mit 6 Millionen Tonnen um
18 Prozent, die französische mit 5,6 Millionen Tonnen um 7 Prozent kleiner
ausgefallen als im Vorjahre. Italiens Weiz-nernte überragt die vorjährige
um ein Geringes, dagegen ist dort die Maisernte ein Fehlschlag, was bei dem
starken Polentabedarf des Landes eine Vermehrung des Weizenverbrauchs zur
Folge haben könnte. Trotz dieser Voraussetzung wollen wir den Weizeneinfuhr-
bedars der drei Länder nicht höher, sondern ebenso ansetzen, wie der tatsächliche
Import im abgelaufenen Wirtschaftsjahre war, zumal da ja der wesentlich
höhere Preisstand eine gewisse Verbrauchsbeschränkung immerhin verursachen
könnte. Allerdings steht einer Verminderung des Brotverbrauchs der Umstand
im Wege, daß die anderen Nahrungsmittel, wie namentlich Fleisch, Fett.
Butter, Eier und Fisch usw. teils in gleichem, teils in noch höherem Maße
verteuert sind als das Brot. Bei den Neutralen sind erhebliche Verschiebungen


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[0405] Weltweizenversorgnng im Wirtschaftsjahre ^6/47 hebt von Waltershausen nicht genügend hervor, wird sich die ganze Erbitterung der eventuell notleidenden Länder gegen England richten, sobald es Miene machen sollte, ihnen die Zufuhren zu entziehen oder sie auch nur erheblich ein¬ zuschränken. Es ist nicht zu leugnen, daß dieser Zustand im Frühsommer ein- treten kann, und daß England im äußersten Notfalle zuerst und eventuell aus¬ schließlich an sich und seine Versorgung denken wird. Der Möglichkeit einer vermehrten Abhängigkeit der Verbündeten und Neutralen von England, die von Wälderhäuser betont, steht also die Wahrscheinlichkeit einer starken Verminderung des englischen Einflusses oder noch Schlimmeres gegenüber. Von den sieben großen Getreideausfuhrländern sind, wohl für die ganze Kriegsdauer, den Westmächten Rumänien gänzlich, Rußland fast völlig ver¬ schlossen. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Kanada haben nach amtlicher Feststellung Ernten hervorgebracht, die nur geringe Überschüsse er¬ geben, und zwar nicht nur qualitativ, sondern auch qualitativ, nicht nur für Weizen, sondern auch für alle übrigen Feldfrüchte. Nach englischen Berichten scheint Argentinien hinsichtlich seiner demnächst fälligen Ernte dasselbe Schicksal zu erleiden. Nur im Süden des Landes sind normale Erträgnisse zu erwarten. So bleiben nur noch Indien und Australien zur Beurteilung übrig. Indien sieht nach einer mäßigen Ernte im Frühjahr 1916 einer mittelguten im März 1917 ent¬ gegen, doch beginnt jetzt erst die eigentliche Prüfungszeit für deren endgültige Ge¬ staltung. Hinsichtlich der australischen Ernte war die englische Fachpresse noch vor einem Monat vom größten Optimismus erfüllt. Ihr Ton wird von Monat zu Monat kleinlauter. Die Ausfuhrkapazität, zuerst mit 4,8 Millionen Tonnen Weizen berechnet, wird jetzt nur noch auf 2,7 Millionen Tonnen angegeben. In diesen Tagen meldete die „Times" aus Sydney, daß die Getreideernte in New-South-Wales nicht mehr als die Hälfte einer normalen verspräche. Bei Betrachtung des Bedarfs der Einfuhrländer ist das wichtigste Moment, daß England und Frankreich bei weitem schlechtere Ernten im Jahre 1916 zu beklagen haben. Die englische Weizenernte ist mit 6 Millionen Tonnen um 18 Prozent, die französische mit 5,6 Millionen Tonnen um 7 Prozent kleiner ausgefallen als im Vorjahre. Italiens Weiz-nernte überragt die vorjährige um ein Geringes, dagegen ist dort die Maisernte ein Fehlschlag, was bei dem starken Polentabedarf des Landes eine Vermehrung des Weizenverbrauchs zur Folge haben könnte. Trotz dieser Voraussetzung wollen wir den Weizeneinfuhr- bedars der drei Länder nicht höher, sondern ebenso ansetzen, wie der tatsächliche Import im abgelaufenen Wirtschaftsjahre war, zumal da ja der wesentlich höhere Preisstand eine gewisse Verbrauchsbeschränkung immerhin verursachen könnte. Allerdings steht einer Verminderung des Brotverbrauchs der Umstand im Wege, daß die anderen Nahrungsmittel, wie namentlich Fleisch, Fett. Butter, Eier und Fisch usw. teils in gleichem, teils in noch höherem Maße verteuert sind als das Brot. Bei den Neutralen sind erhebliche Verschiebungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/405>, abgerufen am 12.05.2024.