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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Dell, Omer

Omer nickte bejahend und kritzelte ruhig weiter.

Jetzt ließ sich auch Achmed bei ihm nieder. "Hör' mal. Omer, wie wär's,
wenn du morgen Abend auch für mich eine Postkarte schriebest? Nach Kara-
Hissar, weißt du, aber das ist fünf Tage weit von hier weg. Kennst du das
auch?"

"Dummkopf," fuhr Omer ihn an, "wenn ich nach Jsnik schreiben kann,
wird's wohl auch für Kara-Hissar langen, wenn nämlich jemand dort überhaupt
zu lesen versteht!"

"Wieviel verlangst du für die Arbeit? Unser Imam Haut Effendi nimmt
nur zehn..."

"Phe!" flüsterte sein Nachbar, "sag' ihm das nicht, du Eselssohn!"

"Was verlangt er nur?" fragte Omer boshaft.

"Er läßt sich halt nur eine Zigarette für seine Mühe geben."

"Ich verstehe schon." lachte der Bursche, "mir brauchst du nichts dafür zu
zahlen, das Schreiben macht mir Spaß, verstehst du?"

Damit war der jüngste Hauat von Bebel bei seinen Genossen eingeführt.
Als sie ihre Matratzen zum Schlafen auf den Fußboden des Kaffeehauses aus¬
breiteten, bekam Omer sogar eine Ecke an der Wand eingeräumt. Niemand
dachte daran, ihm den zugigen Platz neben der Tür anzuweisen. "Wir müssen
ihn uns warmhalten!" dachten sie.

Und Omer legte sich wie ein Pascha zur Ruhe nieder.




Wahrhaftig, in Bebel ließ sich's leben! Man stand in einer neuen Welt
und konnte von früh bis spät schauen und beobachte". Immerfort gab es
etwas zu sehen, von dem die Jsniker daheim nichts wußten. Omer kam aus
dem Staunen gar nicht heraus. Wenn er am Morgen mit verschlafenen Augen
die Straße betrat und nach dem Brunnen ging, um sich zu waschen, lag schon
der schimmernde Bosporus in warmer Sonne wohlig hingestreckt und tat ganz
mühelos seine Arbeit. Große Dampfer mit bunten Wimpeln glitten vorüber,
und Berge von Gischt und Schaum spritzten am Ufer empor, daß man sich
vorsehen mußte, um nicht gleich pudelnaß zu werden.

Etwas später stellte sich auch der Nordwind ein und half dem Riesen bei
seinem Werk. Mit weißen geblähten Segeln kamen schwerbeladene Schiffe in
langer Reihe vom Schwarzen Meer her angeschwommen. Die einen strichen
lautlos vorüber, andere machten eine scharfe Schwenkung und steuerten gerade
auf die Bucht zu. Immer größer wurden sie, immer drohender streckte jedes
den Hals mit dem Drachenkopf dem Lande entgegen. Es war, als müßten
diese Ungeheuer im nächsten Augenblick den Rachen aufreißen und ein paar von
den kleinen Lebewesen am Ufer verschlucken. Da rasselten Ketten, Anker rollten
in die Tiefe, und mit einem Ruck standen die Schiffe still.


Dell, Omer

Omer nickte bejahend und kritzelte ruhig weiter.

Jetzt ließ sich auch Achmed bei ihm nieder. „Hör' mal. Omer, wie wär's,
wenn du morgen Abend auch für mich eine Postkarte schriebest? Nach Kara-
Hissar, weißt du, aber das ist fünf Tage weit von hier weg. Kennst du das
auch?"

„Dummkopf," fuhr Omer ihn an, „wenn ich nach Jsnik schreiben kann,
wird's wohl auch für Kara-Hissar langen, wenn nämlich jemand dort überhaupt
zu lesen versteht!"

„Wieviel verlangst du für die Arbeit? Unser Imam Haut Effendi nimmt
nur zehn..."

„Phe!" flüsterte sein Nachbar, „sag' ihm das nicht, du Eselssohn!"

„Was verlangt er nur?" fragte Omer boshaft.

„Er läßt sich halt nur eine Zigarette für seine Mühe geben."

„Ich verstehe schon." lachte der Bursche, „mir brauchst du nichts dafür zu
zahlen, das Schreiben macht mir Spaß, verstehst du?"

Damit war der jüngste Hauat von Bebel bei seinen Genossen eingeführt.
Als sie ihre Matratzen zum Schlafen auf den Fußboden des Kaffeehauses aus¬
breiteten, bekam Omer sogar eine Ecke an der Wand eingeräumt. Niemand
dachte daran, ihm den zugigen Platz neben der Tür anzuweisen. „Wir müssen
ihn uns warmhalten!" dachten sie.

Und Omer legte sich wie ein Pascha zur Ruhe nieder.




Wahrhaftig, in Bebel ließ sich's leben! Man stand in einer neuen Welt
und konnte von früh bis spät schauen und beobachte«. Immerfort gab es
etwas zu sehen, von dem die Jsniker daheim nichts wußten. Omer kam aus
dem Staunen gar nicht heraus. Wenn er am Morgen mit verschlafenen Augen
die Straße betrat und nach dem Brunnen ging, um sich zu waschen, lag schon
der schimmernde Bosporus in warmer Sonne wohlig hingestreckt und tat ganz
mühelos seine Arbeit. Große Dampfer mit bunten Wimpeln glitten vorüber,
und Berge von Gischt und Schaum spritzten am Ufer empor, daß man sich
vorsehen mußte, um nicht gleich pudelnaß zu werden.

Etwas später stellte sich auch der Nordwind ein und half dem Riesen bei
seinem Werk. Mit weißen geblähten Segeln kamen schwerbeladene Schiffe in
langer Reihe vom Schwarzen Meer her angeschwommen. Die einen strichen
lautlos vorüber, andere machten eine scharfe Schwenkung und steuerten gerade
auf die Bucht zu. Immer größer wurden sie, immer drohender streckte jedes
den Hals mit dem Drachenkopf dem Lande entgegen. Es war, als müßten
diese Ungeheuer im nächsten Augenblick den Rachen aufreißen und ein paar von
den kleinen Lebewesen am Ufer verschlucken. Da rasselten Ketten, Anker rollten
in die Tiefe, und mit einem Ruck standen die Schiffe still.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/411>, abgerufen am 09.06.2024.