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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Omer

Bald wußte es das ganze Dorf: der arme Hauat von Jsnik war nun
wirklich ein "Delli Omer" geworden. Er mied die Menschen, verbrachte die
Tage am Grabe seiner Herrin und schlief nachts im Schutze alter Gartenmauern.
Da er sich nicht dazu bewegen ließ, in den Mi zurückzukehren, ließ Tachsim
Bey ihm ein kleines Bretterhäuschen nahe dem Friedhof errichten, in dem er
zur Not sitzen und liegen konnte. Andre Bequemlichkeiten duldete er nicht.
Einen Schemel, den sein Gönner hineinstellen ließ, warf er ins Meer.

Nur David, dem Spaniolen, blieb er treu, nur von ihm ließ er sich mit
Nahrung versorgen. Jeden Morgen holte der Jude zwei Brote im Daii ab
und trug sie zu seinem Freund hinaus. Einmal in der Woche brachte er ein
Päckchen Kerzen mit, denn jeden Abend, wenn die Muezzins von den fernen
Minaretts die Gebetsstunde ausriefen, saß Omer am Grabe der Harum, putzte
die Laterne und zündete eine neue Totenkerze an.

Wer vorüberging, konnte ihn oft am Wasser hocken sehen, wo er kleine
Fische mit der Angel fing, um sie nachher am Holzfeuer vor der Hütte zu
braten. Merkte er, daß man ihn beobachtete, so ließ er alles stehen, flüchtete
in seine Behausung und zog den Teppich vor die Öffnung. Die Stürme des
Frühlings und des Sommers Gluten brannten sein Gesicht. Wenn ein Fremder
des Weges kam und den finsteren Mann mit langem struppigen Haar am Ufer
des Bosporus hin- und hergehen fah, unverständliche Worte murmelnd, erschrak
er und lief hastig weiter.

Von Zeit zu Zeit suchte Tachsim Bey den Kranken auf. Es war ihm ein
Rätsel geblieben, warum der Tod Aische Hanums seinen Diener so tief erschüttert
hatte. Aber er vermochte nichts aus ihm herauszubringen; Omers Geist hatte
sich umnachtet.

"Es muß etwas geschehen", sagte Tachsim Bey zu sich, "wenn die rauhen
Monate kommen, bringen wir ihn in ein Krankenhaus."

Als es Winter wurde, schien Omers Zustand sich zu bessern. Dem alten
Achmed, der unter dem Schutz Davids zu ihm hinauskam, schrieb er einen
Brief. Es ging zwar sehr langsam damit, und Achmed mußte jedes Wort
zweimal vorsagen, aber Haut. der Imam, der ihn nachher prüfte, fand kaum
einen Fehler zu verbessern. David kam zu Tachsim Bey in den Mi und
erzählte, was vorgefallen war.

"Sei versichert, Effendi", sprach er, "Omer wird uns wieder gesund.
Neulich gab er mir zu verstehen, daß es in seiner Hütte sehr unbehaglich sei,
weil der Regen nachts durch das Holz hintere. Ich trug altes Tenekeh hinaus
und nagelte ein Blechdach auf seine Hütte, und da hättest du sehen sollen!
Er streckte mir beide Hände zum Dank hin. Das hat er noch nie getan, seit
er in der Einsamkeit lebt."

"Um so besser", entgegnete der Bey, "ich will dieser Tage den armen
Burschen im Wagen holen kommen, denn in den Nächten ist es jetzt empfindlich
kalt. Heute morgen hatten wir schon Forst. Mein Freund Hakki Bey vom


Delli Omer

Bald wußte es das ganze Dorf: der arme Hauat von Jsnik war nun
wirklich ein „Delli Omer" geworden. Er mied die Menschen, verbrachte die
Tage am Grabe seiner Herrin und schlief nachts im Schutze alter Gartenmauern.
Da er sich nicht dazu bewegen ließ, in den Mi zurückzukehren, ließ Tachsim
Bey ihm ein kleines Bretterhäuschen nahe dem Friedhof errichten, in dem er
zur Not sitzen und liegen konnte. Andre Bequemlichkeiten duldete er nicht.
Einen Schemel, den sein Gönner hineinstellen ließ, warf er ins Meer.

Nur David, dem Spaniolen, blieb er treu, nur von ihm ließ er sich mit
Nahrung versorgen. Jeden Morgen holte der Jude zwei Brote im Daii ab
und trug sie zu seinem Freund hinaus. Einmal in der Woche brachte er ein
Päckchen Kerzen mit, denn jeden Abend, wenn die Muezzins von den fernen
Minaretts die Gebetsstunde ausriefen, saß Omer am Grabe der Harum, putzte
die Laterne und zündete eine neue Totenkerze an.

Wer vorüberging, konnte ihn oft am Wasser hocken sehen, wo er kleine
Fische mit der Angel fing, um sie nachher am Holzfeuer vor der Hütte zu
braten. Merkte er, daß man ihn beobachtete, so ließ er alles stehen, flüchtete
in seine Behausung und zog den Teppich vor die Öffnung. Die Stürme des
Frühlings und des Sommers Gluten brannten sein Gesicht. Wenn ein Fremder
des Weges kam und den finsteren Mann mit langem struppigen Haar am Ufer
des Bosporus hin- und hergehen fah, unverständliche Worte murmelnd, erschrak
er und lief hastig weiter.

Von Zeit zu Zeit suchte Tachsim Bey den Kranken auf. Es war ihm ein
Rätsel geblieben, warum der Tod Aische Hanums seinen Diener so tief erschüttert
hatte. Aber er vermochte nichts aus ihm herauszubringen; Omers Geist hatte
sich umnachtet.

„Es muß etwas geschehen", sagte Tachsim Bey zu sich, „wenn die rauhen
Monate kommen, bringen wir ihn in ein Krankenhaus."

Als es Winter wurde, schien Omers Zustand sich zu bessern. Dem alten
Achmed, der unter dem Schutz Davids zu ihm hinauskam, schrieb er einen
Brief. Es ging zwar sehr langsam damit, und Achmed mußte jedes Wort
zweimal vorsagen, aber Haut. der Imam, der ihn nachher prüfte, fand kaum
einen Fehler zu verbessern. David kam zu Tachsim Bey in den Mi und
erzählte, was vorgefallen war.

„Sei versichert, Effendi", sprach er, „Omer wird uns wieder gesund.
Neulich gab er mir zu verstehen, daß es in seiner Hütte sehr unbehaglich sei,
weil der Regen nachts durch das Holz hintere. Ich trug altes Tenekeh hinaus
und nagelte ein Blechdach auf seine Hütte, und da hättest du sehen sollen!
Er streckte mir beide Hände zum Dank hin. Das hat er noch nie getan, seit
er in der Einsamkeit lebt."

„Um so besser", entgegnete der Bey, „ich will dieser Tage den armen
Burschen im Wagen holen kommen, denn in den Nächten ist es jetzt empfindlich
kalt. Heute morgen hatten wir schon Forst. Mein Freund Hakki Bey vom


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[0423] Delli Omer Bald wußte es das ganze Dorf: der arme Hauat von Jsnik war nun wirklich ein „Delli Omer" geworden. Er mied die Menschen, verbrachte die Tage am Grabe seiner Herrin und schlief nachts im Schutze alter Gartenmauern. Da er sich nicht dazu bewegen ließ, in den Mi zurückzukehren, ließ Tachsim Bey ihm ein kleines Bretterhäuschen nahe dem Friedhof errichten, in dem er zur Not sitzen und liegen konnte. Andre Bequemlichkeiten duldete er nicht. Einen Schemel, den sein Gönner hineinstellen ließ, warf er ins Meer. Nur David, dem Spaniolen, blieb er treu, nur von ihm ließ er sich mit Nahrung versorgen. Jeden Morgen holte der Jude zwei Brote im Daii ab und trug sie zu seinem Freund hinaus. Einmal in der Woche brachte er ein Päckchen Kerzen mit, denn jeden Abend, wenn die Muezzins von den fernen Minaretts die Gebetsstunde ausriefen, saß Omer am Grabe der Harum, putzte die Laterne und zündete eine neue Totenkerze an. Wer vorüberging, konnte ihn oft am Wasser hocken sehen, wo er kleine Fische mit der Angel fing, um sie nachher am Holzfeuer vor der Hütte zu braten. Merkte er, daß man ihn beobachtete, so ließ er alles stehen, flüchtete in seine Behausung und zog den Teppich vor die Öffnung. Die Stürme des Frühlings und des Sommers Gluten brannten sein Gesicht. Wenn ein Fremder des Weges kam und den finsteren Mann mit langem struppigen Haar am Ufer des Bosporus hin- und hergehen fah, unverständliche Worte murmelnd, erschrak er und lief hastig weiter. Von Zeit zu Zeit suchte Tachsim Bey den Kranken auf. Es war ihm ein Rätsel geblieben, warum der Tod Aische Hanums seinen Diener so tief erschüttert hatte. Aber er vermochte nichts aus ihm herauszubringen; Omers Geist hatte sich umnachtet. „Es muß etwas geschehen", sagte Tachsim Bey zu sich, „wenn die rauhen Monate kommen, bringen wir ihn in ein Krankenhaus." Als es Winter wurde, schien Omers Zustand sich zu bessern. Dem alten Achmed, der unter dem Schutz Davids zu ihm hinauskam, schrieb er einen Brief. Es ging zwar sehr langsam damit, und Achmed mußte jedes Wort zweimal vorsagen, aber Haut. der Imam, der ihn nachher prüfte, fand kaum einen Fehler zu verbessern. David kam zu Tachsim Bey in den Mi und erzählte, was vorgefallen war. „Sei versichert, Effendi", sprach er, „Omer wird uns wieder gesund. Neulich gab er mir zu verstehen, daß es in seiner Hütte sehr unbehaglich sei, weil der Regen nachts durch das Holz hintere. Ich trug altes Tenekeh hinaus und nagelte ein Blechdach auf seine Hütte, und da hättest du sehen sollen! Er streckte mir beide Hände zum Dank hin. Das hat er noch nie getan, seit er in der Einsamkeit lebt." „Um so besser", entgegnete der Bey, „ich will dieser Tage den armen Burschen im Wagen holen kommen, denn in den Nächten ist es jetzt empfindlich kalt. Heute morgen hatten wir schon Forst. Mein Freund Hakki Bey vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/423>, abgerufen am 31.05.2024.