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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Goethes häusliches Leben

Graf in seinem zweibändigen Werke "Goethes Briefwechsel mit seiner
Frau" geschenkt (Frankfurt a. M., Literarische Anstatt Rütten u. Loening, 1916.
Geh. 15 M., in 2 Halblederbänden 20 M.). Graf, dem wir unter anderem
bereits das grundlegende Werk "Goethe über feine Dichtungen" in neun Bänden
verdanken (Frankfurt a. M. 1901 ff.), erweist sich auch hier wieder als den
sachkundigen, gewissenhaften und taktvollen Herausgeber und Erläuterer, als
den ihn die Goethe-Gemeinde längst schätzt; er zeigt sich aber auch, wenigstens
was Christianens Briefe anlangt, deren Orthographie sich nach Bernhard
Suphcms' Wort "gegen den Druck sträubt", und die nur auf dem Wege des
lauten Lesens zu enträtseln waren, als einen geduldigen und scharfsinnigen
Entzifferer, der freilich in dem köstlich frischen Stil, den er aus dem Wust von
Buchstaben und Universalzeichen herausschälen durste, den schönsten Lohn für
seine Mühe gefunden haben wird.

Christianens Briefe erscheinen spät an der Öffentlichkeit, genau hundert
Jahre nach dem Tode der Schreiberin. Sie zusammen mit denen des Gatten
"als ein seltsames, aber notwendiges Gegenstück zu Goethes Briefen an Frau
von Stein" zu veröffentlichen, erschien dem Herausgeber als eine Pflicht der
Dankbarkeit sowohl gegen Goethe als auch gegen Christiane. Galt es doch,
vor den Augen der Nachwelt die Beziehungen Goethes zu dem Wesen klar¬
zustellen, dem er achtundzwanzig Jahre lang in herzlicher Liebe zugetan war,
und das doch, durch den Klatsch pharisäischer und mißgünstiger Zeitgenossen
gebrandmarkt, wie eine Verfemte abseits stehen mußte, bis dann, nach dem
Erscheinen der Briefe von Goethes Mutter an den Sohn, die Schwiegertochter
und den Enkel im Jahre 1889, der Umschwung eintrat und man damit be¬
gann, Christiane zu überschätzen und gegen Frau von Stein auszuspielen.

Die geistige Kluft, die zwischen dem Dichter und seiner kleinen Haus-
genossin bestand, wird auch durch den Briefwechsel beider nicht überbrückt.
Christianens Natur war einfach und entwickelte sich durchaus folgerichtig, aber
bildungsfähig im höheren Sinn war sie nicht. "Ich habe Dich lieb und ganz
allein lieb", schreibt sie einmal, "sorge für mein Bübchen und halte mein
Hauswesen in Ordnung und mache mich lustig" -- in diesem Bekenntnis, das
man als Motto über die Briefe Christianens setzen könnte, liegt das ganze
Programm ihres Daseins. Tieferen Anteil am geistigen Leben ihres Beschützers
und Gatten zu nehmen, oder auch nur seine Bedeutung zu ahnen, war ihr
versagt. Goethe fand sich mit dieser Tatsache ab, er hat auch nie versucht, die
"Kleine" zur gebildeten Dame zu erziehen. "Sollte man wohl glauben", sagt
er einmal im Gespräch mit einem Vertrauten, "daß diese Person schon zwanzig
Jahre mit mir gelebt hat? Aber das gefällt mir eben an ihr. daß sie nichts
von ihrem Wesen aufgibt und bleibt, wie sie war." Und ein andermal
bemerkt er zum Grafen Reinhard: "Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß von
allen meinen Werken meine Frau keine Zeile gelesen hat. Das Reich des
Geistes hat kein Dasein für sie, für die Haushaltung ist sie geschaffen. Hier


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Goethes häusliches Leben

Graf in seinem zweibändigen Werke „Goethes Briefwechsel mit seiner
Frau" geschenkt (Frankfurt a. M., Literarische Anstatt Rütten u. Loening, 1916.
Geh. 15 M., in 2 Halblederbänden 20 M.). Graf, dem wir unter anderem
bereits das grundlegende Werk „Goethe über feine Dichtungen" in neun Bänden
verdanken (Frankfurt a. M. 1901 ff.), erweist sich auch hier wieder als den
sachkundigen, gewissenhaften und taktvollen Herausgeber und Erläuterer, als
den ihn die Goethe-Gemeinde längst schätzt; er zeigt sich aber auch, wenigstens
was Christianens Briefe anlangt, deren Orthographie sich nach Bernhard
Suphcms' Wort „gegen den Druck sträubt", und die nur auf dem Wege des
lauten Lesens zu enträtseln waren, als einen geduldigen und scharfsinnigen
Entzifferer, der freilich in dem köstlich frischen Stil, den er aus dem Wust von
Buchstaben und Universalzeichen herausschälen durste, den schönsten Lohn für
seine Mühe gefunden haben wird.

Christianens Briefe erscheinen spät an der Öffentlichkeit, genau hundert
Jahre nach dem Tode der Schreiberin. Sie zusammen mit denen des Gatten
„als ein seltsames, aber notwendiges Gegenstück zu Goethes Briefen an Frau
von Stein" zu veröffentlichen, erschien dem Herausgeber als eine Pflicht der
Dankbarkeit sowohl gegen Goethe als auch gegen Christiane. Galt es doch,
vor den Augen der Nachwelt die Beziehungen Goethes zu dem Wesen klar¬
zustellen, dem er achtundzwanzig Jahre lang in herzlicher Liebe zugetan war,
und das doch, durch den Klatsch pharisäischer und mißgünstiger Zeitgenossen
gebrandmarkt, wie eine Verfemte abseits stehen mußte, bis dann, nach dem
Erscheinen der Briefe von Goethes Mutter an den Sohn, die Schwiegertochter
und den Enkel im Jahre 1889, der Umschwung eintrat und man damit be¬
gann, Christiane zu überschätzen und gegen Frau von Stein auszuspielen.

Die geistige Kluft, die zwischen dem Dichter und seiner kleinen Haus-
genossin bestand, wird auch durch den Briefwechsel beider nicht überbrückt.
Christianens Natur war einfach und entwickelte sich durchaus folgerichtig, aber
bildungsfähig im höheren Sinn war sie nicht. „Ich habe Dich lieb und ganz
allein lieb", schreibt sie einmal, „sorge für mein Bübchen und halte mein
Hauswesen in Ordnung und mache mich lustig" — in diesem Bekenntnis, das
man als Motto über die Briefe Christianens setzen könnte, liegt das ganze
Programm ihres Daseins. Tieferen Anteil am geistigen Leben ihres Beschützers
und Gatten zu nehmen, oder auch nur seine Bedeutung zu ahnen, war ihr
versagt. Goethe fand sich mit dieser Tatsache ab, er hat auch nie versucht, die
„Kleine" zur gebildeten Dame zu erziehen. „Sollte man wohl glauben", sagt
er einmal im Gespräch mit einem Vertrauten, „daß diese Person schon zwanzig
Jahre mit mir gelebt hat? Aber das gefällt mir eben an ihr. daß sie nichts
von ihrem Wesen aufgibt und bleibt, wie sie war." Und ein andermal
bemerkt er zum Grafen Reinhard: „Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß von
allen meinen Werken meine Frau keine Zeile gelesen hat. Das Reich des
Geistes hat kein Dasein für sie, für die Haushaltung ist sie geschaffen. Hier


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[0063] Goethes häusliches Leben Graf in seinem zweibändigen Werke „Goethes Briefwechsel mit seiner Frau" geschenkt (Frankfurt a. M., Literarische Anstatt Rütten u. Loening, 1916. Geh. 15 M., in 2 Halblederbänden 20 M.). Graf, dem wir unter anderem bereits das grundlegende Werk „Goethe über feine Dichtungen" in neun Bänden verdanken (Frankfurt a. M. 1901 ff.), erweist sich auch hier wieder als den sachkundigen, gewissenhaften und taktvollen Herausgeber und Erläuterer, als den ihn die Goethe-Gemeinde längst schätzt; er zeigt sich aber auch, wenigstens was Christianens Briefe anlangt, deren Orthographie sich nach Bernhard Suphcms' Wort „gegen den Druck sträubt", und die nur auf dem Wege des lauten Lesens zu enträtseln waren, als einen geduldigen und scharfsinnigen Entzifferer, der freilich in dem köstlich frischen Stil, den er aus dem Wust von Buchstaben und Universalzeichen herausschälen durste, den schönsten Lohn für seine Mühe gefunden haben wird. Christianens Briefe erscheinen spät an der Öffentlichkeit, genau hundert Jahre nach dem Tode der Schreiberin. Sie zusammen mit denen des Gatten „als ein seltsames, aber notwendiges Gegenstück zu Goethes Briefen an Frau von Stein" zu veröffentlichen, erschien dem Herausgeber als eine Pflicht der Dankbarkeit sowohl gegen Goethe als auch gegen Christiane. Galt es doch, vor den Augen der Nachwelt die Beziehungen Goethes zu dem Wesen klar¬ zustellen, dem er achtundzwanzig Jahre lang in herzlicher Liebe zugetan war, und das doch, durch den Klatsch pharisäischer und mißgünstiger Zeitgenossen gebrandmarkt, wie eine Verfemte abseits stehen mußte, bis dann, nach dem Erscheinen der Briefe von Goethes Mutter an den Sohn, die Schwiegertochter und den Enkel im Jahre 1889, der Umschwung eintrat und man damit be¬ gann, Christiane zu überschätzen und gegen Frau von Stein auszuspielen. Die geistige Kluft, die zwischen dem Dichter und seiner kleinen Haus- genossin bestand, wird auch durch den Briefwechsel beider nicht überbrückt. Christianens Natur war einfach und entwickelte sich durchaus folgerichtig, aber bildungsfähig im höheren Sinn war sie nicht. „Ich habe Dich lieb und ganz allein lieb", schreibt sie einmal, „sorge für mein Bübchen und halte mein Hauswesen in Ordnung und mache mich lustig" — in diesem Bekenntnis, das man als Motto über die Briefe Christianens setzen könnte, liegt das ganze Programm ihres Daseins. Tieferen Anteil am geistigen Leben ihres Beschützers und Gatten zu nehmen, oder auch nur seine Bedeutung zu ahnen, war ihr versagt. Goethe fand sich mit dieser Tatsache ab, er hat auch nie versucht, die „Kleine" zur gebildeten Dame zu erziehen. „Sollte man wohl glauben", sagt er einmal im Gespräch mit einem Vertrauten, „daß diese Person schon zwanzig Jahre mit mir gelebt hat? Aber das gefällt mir eben an ihr. daß sie nichts von ihrem Wesen aufgibt und bleibt, wie sie war." Und ein andermal bemerkt er zum Grafen Reinhard: „Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß von allen meinen Werken meine Frau keine Zeile gelesen hat. Das Reich des Geistes hat kein Dasein für sie, für die Haushaltung ist sie geschaffen. Hier 4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/63>, abgerufen am 13.05.2024.