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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Goethes häusliches Leben

nur ein paar Fläschchen Malaga hätte! Was recht übel war, daß wir in
Frankfurt keine Flasche Champagner getrunken haben. Das betrübt mich ordent¬
lich." Der Wein war ihr zum unentbehrlichen Bedürfnis geworden, und sie
behauptet ganz naiv: "Mem, Wägelchen tut mir gewaltig wehe, wenn ich keinen
trinke", wie sie denn auch den Rotwein als Universalmittel bei allen Krank¬
heiten benutzt und empfiehlt.

Im Gegensatz zu Küche und Keller scheinen die Garderobeverhältnisse im
Goethehause ziemlich bescheiden gewesen zu sein. Wenn Christiane auf der
Rückreise von Frankfurt in Marksuhl von einem Juden "vor 2 Laubthaler
kattunene Halstücher" kauft -- "es hieß doch: ich käme von Frankfurt, und
ich wollte doch auch ein bißchen Aufsehen machen" --, oder wenn sie von der
in Weimar ansässigen englischen Familie Gore getragene Kleider erhandelt, so
spricht das genau so für ihre Anspruchslosigkeit wie ihre Bemühungen, aus
alten Sachen etwas Neues zu machen, und wie die Äußerungen ihrer Freude
über die Geschenke Goethes an Stoffen, Spitzen, Hüten und andern Toiletten¬
gegenständen. Beim Auspacken eines aus Karlsbad erhaltenen Wiener Shawls
bricht sie in einen solchen Jubel aus, "daß August um Ruhe bitten mußte,
damit er ins Postbuch quittieren konnte." Wenn von Schmuck die Rede ist,
handelt es sich meist um Granaten und künstliche Steine, "die so schön sind,
als die natürlichen nicht sein können"; nur einmal wird ein Halsband mit
Rubinen, Smaragden und einem Chrysolith erwähnt. Von Goethes eigenen
Garderobenangelegenheiten erfahren wir weniger; er schreibt meist nach wärmeren
Westen, und die Bitte: "Schicke mir doch die grünen Manchefterbeinkleider, ich
bin wieder einmal in allem auf das erbärmlichste heruntergerissen", läßt ebenso,
wie sein Entschluß, den schwarzen Hofrock zu einem Frack umzuändern und
seinen alten Überrock an August abzutreten, nicht gerade auf einen überfüllten
Kleiderschrank schließen.

Mit wahrer Leidenschaft widmet sich die kleine Hausfrau der Wäsche und,
wenn der Gates abwesend ist, den notwendigen Erneuerungen im Hause und
dem Großreinemachen. Die gelegentliche Bemerkung: "Von Wanzen haben
wir bei allem nicht Eine Spur entdeckt und auch keine Wanze gesehen" berech¬
tigt zu der Vermutung, daß auch diese kleinen Geißeln der Menschheit dem
Liebling der Götter nicht fremdgeblieben sind.

Wenn sich die 1798 angeschafften Pferde und mehr noch das im selben
Jahre erworbene Freigut zu Ober-Roßla als Quellen stetiger Sorge erweisen,
so spenden die Gärten am Haus und am Park Goethe wie Christiane trotz
dem allsommerlichen Ärger wegen der gefräßigen Schnecken desto reinere Freuden.
Hier war es, wo sich das ungleiche Paar in seinen Neigungen berührte und
vollkommen verstand, und wo beide Teile Werden und Vergehen mit gleichem
Interesse verfolgten. Noch zwei Wochen vor ihrem Tode, unterm 18. Mai 1816,
berichtet die kleine Frau dem Gatten nach Jena: "Dein Garten steht gegen¬
wärtig in seiner größten Pracht, und es macht wirklich verdrüßlich, daß die


Goethes häusliches Leben

nur ein paar Fläschchen Malaga hätte! Was recht übel war, daß wir in
Frankfurt keine Flasche Champagner getrunken haben. Das betrübt mich ordent¬
lich." Der Wein war ihr zum unentbehrlichen Bedürfnis geworden, und sie
behauptet ganz naiv: „Mem, Wägelchen tut mir gewaltig wehe, wenn ich keinen
trinke", wie sie denn auch den Rotwein als Universalmittel bei allen Krank¬
heiten benutzt und empfiehlt.

Im Gegensatz zu Küche und Keller scheinen die Garderobeverhältnisse im
Goethehause ziemlich bescheiden gewesen zu sein. Wenn Christiane auf der
Rückreise von Frankfurt in Marksuhl von einem Juden „vor 2 Laubthaler
kattunene Halstücher" kauft — „es hieß doch: ich käme von Frankfurt, und
ich wollte doch auch ein bißchen Aufsehen machen" —, oder wenn sie von der
in Weimar ansässigen englischen Familie Gore getragene Kleider erhandelt, so
spricht das genau so für ihre Anspruchslosigkeit wie ihre Bemühungen, aus
alten Sachen etwas Neues zu machen, und wie die Äußerungen ihrer Freude
über die Geschenke Goethes an Stoffen, Spitzen, Hüten und andern Toiletten¬
gegenständen. Beim Auspacken eines aus Karlsbad erhaltenen Wiener Shawls
bricht sie in einen solchen Jubel aus, „daß August um Ruhe bitten mußte,
damit er ins Postbuch quittieren konnte." Wenn von Schmuck die Rede ist,
handelt es sich meist um Granaten und künstliche Steine, „die so schön sind,
als die natürlichen nicht sein können"; nur einmal wird ein Halsband mit
Rubinen, Smaragden und einem Chrysolith erwähnt. Von Goethes eigenen
Garderobenangelegenheiten erfahren wir weniger; er schreibt meist nach wärmeren
Westen, und die Bitte: „Schicke mir doch die grünen Manchefterbeinkleider, ich
bin wieder einmal in allem auf das erbärmlichste heruntergerissen", läßt ebenso,
wie sein Entschluß, den schwarzen Hofrock zu einem Frack umzuändern und
seinen alten Überrock an August abzutreten, nicht gerade auf einen überfüllten
Kleiderschrank schließen.

Mit wahrer Leidenschaft widmet sich die kleine Hausfrau der Wäsche und,
wenn der Gates abwesend ist, den notwendigen Erneuerungen im Hause und
dem Großreinemachen. Die gelegentliche Bemerkung: „Von Wanzen haben
wir bei allem nicht Eine Spur entdeckt und auch keine Wanze gesehen" berech¬
tigt zu der Vermutung, daß auch diese kleinen Geißeln der Menschheit dem
Liebling der Götter nicht fremdgeblieben sind.

Wenn sich die 1798 angeschafften Pferde und mehr noch das im selben
Jahre erworbene Freigut zu Ober-Roßla als Quellen stetiger Sorge erweisen,
so spenden die Gärten am Haus und am Park Goethe wie Christiane trotz
dem allsommerlichen Ärger wegen der gefräßigen Schnecken desto reinere Freuden.
Hier war es, wo sich das ungleiche Paar in seinen Neigungen berührte und
vollkommen verstand, und wo beide Teile Werden und Vergehen mit gleichem
Interesse verfolgten. Noch zwei Wochen vor ihrem Tode, unterm 18. Mai 1816,
berichtet die kleine Frau dem Gatten nach Jena: „Dein Garten steht gegen¬
wärtig in seiner größten Pracht, und es macht wirklich verdrüßlich, daß die


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[0070] Goethes häusliches Leben nur ein paar Fläschchen Malaga hätte! Was recht übel war, daß wir in Frankfurt keine Flasche Champagner getrunken haben. Das betrübt mich ordent¬ lich." Der Wein war ihr zum unentbehrlichen Bedürfnis geworden, und sie behauptet ganz naiv: „Mem, Wägelchen tut mir gewaltig wehe, wenn ich keinen trinke", wie sie denn auch den Rotwein als Universalmittel bei allen Krank¬ heiten benutzt und empfiehlt. Im Gegensatz zu Küche und Keller scheinen die Garderobeverhältnisse im Goethehause ziemlich bescheiden gewesen zu sein. Wenn Christiane auf der Rückreise von Frankfurt in Marksuhl von einem Juden „vor 2 Laubthaler kattunene Halstücher" kauft — „es hieß doch: ich käme von Frankfurt, und ich wollte doch auch ein bißchen Aufsehen machen" —, oder wenn sie von der in Weimar ansässigen englischen Familie Gore getragene Kleider erhandelt, so spricht das genau so für ihre Anspruchslosigkeit wie ihre Bemühungen, aus alten Sachen etwas Neues zu machen, und wie die Äußerungen ihrer Freude über die Geschenke Goethes an Stoffen, Spitzen, Hüten und andern Toiletten¬ gegenständen. Beim Auspacken eines aus Karlsbad erhaltenen Wiener Shawls bricht sie in einen solchen Jubel aus, „daß August um Ruhe bitten mußte, damit er ins Postbuch quittieren konnte." Wenn von Schmuck die Rede ist, handelt es sich meist um Granaten und künstliche Steine, „die so schön sind, als die natürlichen nicht sein können"; nur einmal wird ein Halsband mit Rubinen, Smaragden und einem Chrysolith erwähnt. Von Goethes eigenen Garderobenangelegenheiten erfahren wir weniger; er schreibt meist nach wärmeren Westen, und die Bitte: „Schicke mir doch die grünen Manchefterbeinkleider, ich bin wieder einmal in allem auf das erbärmlichste heruntergerissen", läßt ebenso, wie sein Entschluß, den schwarzen Hofrock zu einem Frack umzuändern und seinen alten Überrock an August abzutreten, nicht gerade auf einen überfüllten Kleiderschrank schließen. Mit wahrer Leidenschaft widmet sich die kleine Hausfrau der Wäsche und, wenn der Gates abwesend ist, den notwendigen Erneuerungen im Hause und dem Großreinemachen. Die gelegentliche Bemerkung: „Von Wanzen haben wir bei allem nicht Eine Spur entdeckt und auch keine Wanze gesehen" berech¬ tigt zu der Vermutung, daß auch diese kleinen Geißeln der Menschheit dem Liebling der Götter nicht fremdgeblieben sind. Wenn sich die 1798 angeschafften Pferde und mehr noch das im selben Jahre erworbene Freigut zu Ober-Roßla als Quellen stetiger Sorge erweisen, so spenden die Gärten am Haus und am Park Goethe wie Christiane trotz dem allsommerlichen Ärger wegen der gefräßigen Schnecken desto reinere Freuden. Hier war es, wo sich das ungleiche Paar in seinen Neigungen berührte und vollkommen verstand, und wo beide Teile Werden und Vergehen mit gleichem Interesse verfolgten. Noch zwei Wochen vor ihrem Tode, unterm 18. Mai 1816, berichtet die kleine Frau dem Gatten nach Jena: „Dein Garten steht gegen¬ wärtig in seiner größten Pracht, und es macht wirklich verdrüßlich, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/70>, abgerufen am 11.05.2024.